Arthur Schopenhauer : Selbsterkenntnis

Arthur Schopenhauer erzählte einem Freund von einem Besuch im Botanischen Garten zu Dresden, und zwar noch zu einer Zeit als er sein Hauptwerk „Die Welt als Welt und Vorstellung“ konzipierte. Er wäre dort, wie er berichtete, ganz in Betrachtungen versunken gewesen, wobei er „in seinem ganzen Wesen und seinen Gebärden etwas so Auffallendes“ gezeigt hätte, dass der Aufseher ihn fragte, wer er sei. Schopenhauers Antwort: „Ja, wenn Sie mir das sagen könnten, wer ich bin, dann wäre ich Ihnen vielen Dank schuldig.“

Wer bin ich? –  Diese Frage zu beantworten, erfordert Selbsterkenntnis. Ist diese überhaupt möglich? Der Selbsterkenntnis stehe ja, wie Schopenhauer meinte, schon beim ersten Schritte die Schwierigkeit entgegen, dass man trotz allen Spiegeln nicht eigentlich wisse, wie man aussehe. “ Man vermag nicht auf sein eigenes Bild im Spiegel den Blick der Entfremdung zu werfen, welcher die Bedingung der Objektivität der Auffassung desselben ist.“

Somit bleibt die Frage: Woran kann ich überhaupt erkennen, wer ich eigentlich bin? Es ist das, was wir wollen, und das, was wir tun, also unser Wille und unser Handeln, welche uns Aufschluss über das gibt, was wir sind. So können wir  uns selbst erst nach und nach aus der Erfahrung kennen lernen. Dabei, so Schopenhauer,  wird man oft, wie über Andere, so auch über sich selbst entäuscht, wenn man entdeckt, daß man diese oder jene Eigenschaft, z. B. Gerechtigkeit, Uneigennützigkeit, Mut, nicht in dem Grade besitzt, als man gütigst voraussetzte.

Jedoch, so schränkte Schopenhauer ein, ist die Kenntnis, welche wir von uns selbst haben, keineswegs eine vollständige und erschöpfende, vielmehr sehr oberflächlich, und dem größern, ja hauptsächlichen Teil nach sind wir uns selbst unbekannt und ein Rätsel, oder, wie Kant sagt: Das Ich erkennt sich nur als Erscheinung , nicht nach dem, was es an sich sein mag. 

Dennoch hat Schopenhauer, dabei weit über Kant hinausgehend,  eine keineswegs oberflächliche Antwort gefunden über das, was wir nicht nur als Erscheinung, sondern unserem innersten Wesen nach sind, nämlich WILLE. Dieser allumfassende (metaphysische) Wille äußert sich in allem. Er kommt in jedem von uns im „Willen zum Leben“  zum Ausdruck!

Diese sehr  tiefe Erkenntnis Schopenhauers wird mancher (noch) nicht nachvollziehen können. Aber wohl jeder kann den Worten Schopenhauers zustimmen: Haben wir nun erforscht, wo unsere Stärken und unsere Schwächen liegen, so werden wir unsere hervorragenden natürlichen Anlagen ausbilden, gebrauchen, auf alle Weisen zu nutzen suchen und immer uns dahin wenden, wo diese taugen und gelten, aber durchaus und mit Selbstüberwindung die Bestrebungen vermeiden, zu denen wir von Natur geringe Anlagen haben, werden uns hüten, das zu versuchen, was uns doch nicht gelingt. Nur wer dahin gelangt ist, wird stets mit voller Besonnenheit ganz er selber sein und wird nie von sich selbst im Stiche gelassen werden, weil er immer wußte, was er sich selber zumuten konnte. Er wird alsdann oft der Freude teilhaftig werden, seine Stärken zu fühlen , und selten den Schmerz erfahren, an seine Schwächen erinnert zu werden…
hb

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9 Gedanken zu “Arthur Schopenhauer : Selbsterkenntnis

  1. Bis heute habe ich schon mein Leben lang Probleme, mir mich selbst vor meinem inneren Auge bildlich vorzustellen. Aber eigentlich gehe ich auch davon aus, dass das nicht mich ausmacht, wie ich aussehe.
    WAS mich ausmacht – dazu hat mir dein/ Schopenhauers Text mal wieder einen wundervollen Denkansatz geliefert. Dankeschön. 🙂

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  2. Ich hatte vorher erhebliche Zweifel, ob es überhaupt einen Sinn hat, im Rahmen eines Blogs über die nicht immer einfach zu verstehende Lebensphilosophie Schopenhauers zu schreiben. Gerade nach Deinen Kommentaren sehe ich nun diesen Sinn. Deshalb auch meinerseits: Danke! 😉

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  3. Vor längerer Zeit gab sich mir ein Spruch ein.
    Gott (was immer das sein mag) schaut durch aller Menschen Augen auf sich selbst.
    Daher glaube ich, dass sich ein Mensch nur durch Spiegelung im anderen erkennen
    kann.

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    1. Es ist äußerst schwer, sich durch Spiegelung in einem anderen Menschen zu erkennen. Dazu müsste ich mich in ihm meditativ „versenken“. Bin ich dazu berechtigt? Eher nein! Bei Tieren habe ich aber schon etwas erkannt, was ich dann auch in mir fand.

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  4. Berechtigt? Selbst (obwohl/gerade) wenn Du Dich in einem anderen versenkst, wirst Du Dich selbst finden.

    So interessant es ist, einem großen Geist auf seinem Weg zu folgen; ich möchte jedem nur soweit folgen, als es mich selbst fördert. Denn nicht die Betrachtung, die Erkenntnis, sondern das Leben, die eigene Tätigkeit ist das Wertvolle.

    J.W. von Goethe

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    1. „Tat Tvam Asi“ = „das Absolute ist mit Dir wesenseins“. Schopenhauer hielt das für die tiefste indische Weisheit. Ist sie wahr, dann finde ich mich in dem anderen.

      Goethes Aussage gilt auch für ihn selbst. Daher muss ich nicht unbedingt ihm zustimmen. Nicht die eigene Tätigkeit schlechthin, sondern die über die Betrachtung gewonnene Erkenntnis, aus der dann die Tat folgt, halte ich für das Wertvolle. Nicht die Tat, sondern der sie veranlassende „Willen“ ist entscheidend – da folge ich einem „großen Geist“, nämlich Schopenhauer.

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