Arthur Schopenhauer : Mitleid und Mitgefühl

Mitleid – ein aktuelles Wort? Ein Freund, studierter Germanist,  sagte mir, als wir über Arthur Schopenhauers Mitleidsethik sprachen, das Wort Mitleid sei nicht mehr „in“.  Es wäre wohl daher besser, wenn ich es z. B. durch das Wort Mitgefühl ersetzen würde.  Abgesehen davon, dass Schopenhauer gerade das Wort Mitleid verwendete und dieses in den Mittelpunkt seiner Ethik stellte, halte ich das Wort Mitgefühl nicht für gleichbedeutend. So kann sich Mitgefühl nicht nur als Mitleid, sondern auch als Mitfreude äußern.

Mitleid bezieht sich eindeutiger als Mitgefühl auf das Leid, dem Menschen, Tiere und wahrscheinlich auch Pflanzen unterworfen sind. Schopenhauers Philosophie ist in ihrem Kern eine dem Buddhismus nahe stehende Erlösungslehre. Diese setzt voraus, dass die Welt als leidvoll erkannt wird. Daher ist z. B. die erste der vier Edlen Wahrheiten des Buddha,  die Wahrheit vom Leid. Hierbei ist der Zusammenhang zwischen Leid und Mitleid unmittelbar aus diesen Worten selbst erkennbar.

Es mag sein, dass in gewissen intellektuellen Kreisen dem Wort Mitleid mit Zurückhaltung, vielleicht sogar mit Ablehnung begegnet wird. Die Gründe dafür sollen  hier nicht untersucht werden, denn wichtiger scheint mir die Frage zu sein, ob Mitleid als Begriff tatsächlich nicht mehr „in“ ist.  Eine erste und somit vorläufige  Antwort auf  diese Frage geben mir detaillierte Besucherstatistiken dieses Blogs. Dabei zeigt sich ziemlich klar, dass bei den vielen Themen, die ich hier im Zusammenhang mit Schopenhauer angesprochen habe, der Begriff Mitleidsethik  auf besonderes Interesse stößt. Danach folgen, was recht aufschlussreich ist, Themen und Begriffe, die ebenfalls mit Mitleid zusammenhängen, denn sie betreffen das Verhältnis von  Mensch und Tier. Ãœbrigens, auch in den Statistiken meiner Schopenhauer-Webseiten nehmen Themen, die sich auf Mitleid und Tierschutz beziehen, vordere Plätze ein.

Sicherlich ermöglichen meine Webstatistiken noch keine repräsentativen Aussagen. Ich habe deshalb im „Keyword-Tool“ von Google nacheinander die Begriffe  Mitleid und Mitgefühl eingegeben. Dabei ergaben sich als durchschnittliches Suchvolumen / Monat bei Mitleid:14800 (Schopenhauer und Mitleid 260) und Mitgefühl: 5400 (Schopenhauer und Mitgefühl: -) Keywords.   Ich möchte obige Statistiken nicht überbewerten, aber das Ergebnis scheint mir eindeutig zu sein:  Der Begriff Mitleid ist keineswegs „out“ und schon gar nicht im Zusammenhang mit Schopenhauer!  Ich freue mich darüber, denn es zeigt, dass Arthur Schopenhauer mit der für seine Philosophie zentralen Mitleidsethik nach wie vor aktuell ist.  Das ermutigt mich, den Arthur  – Schopenhauer –  Blog  in diesem Sinne fortzuführen.
hb

Übersicht (alphabet. in Stichwörtern) zu den Themen der Arthur Schopenhauer Blogs > hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
> www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de

 

13 Gedanken zu “Arthur Schopenhauer : Mitleid und Mitgefühl

  1. Mitleid ist sicherlich ein aktuelles Thema – aber vermutlich tatsächlich „out“. Die westlichen Idealvorstellung von der idealen menschlichen Persönlichkeit liegen nunmal eher bei Stärke, Stressunempflindlichkeit, Härte („tough sein“) und allgemein Produktivität. Ganz sicher nicht bei Weichherzigkeit und Emotionalität. Das ist nicht überall auf der Welt so, aber sogar in Ländern, wo es anders herum ist (z.B. in manchen asiatischen Gebieten) und das Ideal bei Sensibilität und „Menschlichkeit“ liegt, fehlt dennoch bei der Hauptgruppe der Bevölkerung das Mitleid. Gegenüber allen Mitlebewesen, egal ob Mensch oder Tier.

    Dass Mitgefühl nicht gleich Mitleid ist, finde ich auch.

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    1. Leider muss ich Dir weitgehend recht geben. Zumindest in der Öffentlichkeit scheint das Wort „Mitleid“ out zu sein. Privat ist es aber oft anders. So kann man es erleben, dass gerade diejenigen, die sonst nichts von Mitleid halten, dann, wenn sie ein, vielleicht nur kleines Leid mal selbst getroffen hat, durchaus Mitleid von ihren Mitmenschen erwarten.

      In der Öffentlichkeit hingegen, jedenfalls ist das mein Eindruck, ist es „cool“, nicht von Mitleid zu reden. Ich glaube aber, dass wohl die meisten von uns lieber einen warmherzigen, mitleidigen Menschen zum Freund nehmen würden als einen nur coolen Typ, wobei ich selbstverständlich hier nur wahre Freundschaft meine.

      Friedrich Nietzsche hielt (entsprechend seiner Philosophie des „Ãœbermenschen“) das Mitleiden für „verächtlich und einer starken, furchtbaren Seele unwürdig“. Sehr aufschlussreich dazu eine Begebenheit aus seinem Leben: Es war 1889 in Turin. Nietzsche hatte gerade seine Wohnung verlassen, als er sah, wie ein brutaler Kutscher sein Pferd mißhandelt hatte. Unter Tränen und Wehklagen warf er sich dem Tier um den Hals und brach zusammen. Wenige Tage später musste ihn sein Freund in die Nervenheilanstalt bringen. Den Rest seines Lebens verbrachte er dann in geistiger Umnachtung.

      So traurig das Schicksal Nietzsches auch war, es beweist mir: das Mitleid kann man nicht wegphilosophieren! Egal, was eine kleine, aber die öffentliche Meinung beherrschende intellektuelle Schicht darüber denken mag, das Mitleid existiert, sonst gäbe es zum Beipiel keine Tierschutzvereine in Deutschland mit immerhin etwa 2.000.000 Mitgliedern. Insofern ist für mich das Mitleid „in“, jedoch leider immer noch zu wenig „in“.

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      1. Als Beispiel für Mitleid hast Du die Tierschutzvereine genannt. Ist nicht auch die erhebliche Spendenbereitschaft bei Unglücken ein deutliches Zeichen für Mitleid?

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      2. Spendenbereitschaft bei Unglücken ist sehr zu begrüßen. Dennoch ist sie nicht ein so eindeutiges Zeichen für Mitleid wie das Beispiel Tierschutzvereine: Menschen zu helfen, muss nicht unbedingt auf Mitleid beruhen. Die im Westen vorherrschenden Religionen versprechen, wenn man Menschen hilft, Belohnung im Himmel. Soweit ich diese Religionen verstanden habe, gilt das aber nicht für Tierschutz. Wer Tieren trotzdem hilft, macht das nicht, um religiöse Verdienste zu erwerben, sondern aus Mitleid. Anders als bei den westlichen ist bei den aus Indien stammenden Religionen, vor allem im Buddhismus und Jainismus, Tierschutz ein wichtiger Teil ihrer Ethik.

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      3. So sehe ich das auch! Ãœbrigens, in seinem „Buddhistischen Wörterbuch“ übersetzt Nyanatiloka das altindische Pali-Wort „Karuna“ mit „Mitleid“ und verweist dazu auf die „vier göttlichen Verweilungszustände“ („Brahmavihara“), von denen einer das Mitleid ist. Das beweist, welchen außerordentlich hohen Wert der Buddhismus dem Mitleid beimisst. Selbstverständlich gilt das im Buddhismus auch gegenüber Tieren. Auch darin unterscheidet sich der Buddhismus fundamental von den im Westen maßgebenden Religionen.

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  2. ich mag deine schreibweise sehr und gerade im zusammenhang mit den ideen schopenhauers, den ich auch sehr schätze, macht es großen spaß, deine einträge zu lesen!

    ich stimme dir in deinen äußerungen zum mitleidsbegriff zu und möchte nur eine kleinigkeit anfügen: was auch immer die menschen für verhaltensweisen in der wirklichkeit zeigen, hier in diesem streit zwischen dem befreundeten germanisten und dir, geht es um die begriffe, also um die sprache. ob aber jemand für notleidende menschen spendet oder sich um gequälte tiere kümmert steht im grunde ja nicht in einem zusammenhang zu sprache sondern zu taten. die person fühlt sich weniger durch den begriff genötigt, sondern tut es aus einer bestimmten haltung heraus. mit anderen mitleiden oder mitgefühl zu ihnen haben, das kann auch ein taubstummer, und wir wissen nicht, welchen begriff jener sich dabei denkt…

    aber wie gesagt, das nur am rande. deinen eintrag schmälert dieser einwurf in keiner weise.

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    1. Zunächst besten Dank für Deine Ermutigung!

      Ich kann Dir da nur zustimmen: Wer notleidenden Menschen oder Tieren hilft, wird dazu nicht durch irgendwelche Begriffe veranlasst. Natürlich wusste das auch Schopenhauer. Wie wohl kein anderer westlicher Philosoph hat Schopenhauer menschliches und tierisches Leid in den Mittelpunkt seiner Philosophie gestellt. Er hat es aber dabei nicht belassen, dieses Leid höchst eindrucksvoll zu beschreiben, sondern darüber hinaus den Blick auf das Befreiende gerichtet. Es ist das Leidlose, auf das z. B. die altindischen Schriften hindeuten. Um den Weg dorthin zu beschreiben, benötigen wir, solange wir uns im Bereich der Sprache bewegen, Begriffe, und da scheint mir der Begriff „Mitleid“ etwas deutlicher den Zusammenhang mit „Leid“ zum Ausdruck zu bringen, als wenn ich das umfassendere Wort „Mitgefühl“ verwende.

      Auch in Deinem Beispiel kann es sinnvoll sein, Mitleid und Mitgefühl voneinander zu unterscheiden: Wenn ein Taubstummer sich über den Erfolg eines anderen freut, so ist das Mitfreude, also eine Art von Mitgefühl, jedoch nicht Mitleid.

      Aber wie dem auch sei, es geht hier nur um den Versuch, einen alltäglichen Vorgang, nämlich Mitleid bzw. Mitgefühl, sprachlich im Rahmen einer Lebensphilosophie möglichst treffend zum Ausdruck zu bringen. Dass es solche Empfindungen gibt, hielt Schopenhauer für „mysteriös“, denn wir kennen zwar den Anlass, aber nicht den eigentlichen Grund, warum wir Mitleid bzw. Mitgefühl empfinden. Auch die von der Hirnforschung gefundenen Spiegelneuronen können dafür nicht die letzte Ursache sein, weil dann zu fragen ist, weshalb sich solche Neuronen überhaupt entwickelt haben. Fragen wir weiter, so nähern wir uns wie Schopenhauer einem Bereich jenseits von Begriff und Sprache.

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      1. meinst du (und a.s.), dass wir nur, wenn es um den grund von mitleid geht, im dunkeln tappen? trifft das nicht auch auf anderes zu? das lachen, die liebe, das rotwerdenimgesicht? und einiges mehr sicherlich auch…

        mir würde es schon reichen, wenn wir menschen uns klar wären, wie mitleid anzuwenden ist! gerade in den täglichen nachrichten in solch friedlichen ländern wie denen in mitteleuropa, gibt es viel zu viele berichte über jugendliche und kinder, die von misshandlungen und perversitäten zeugen, die zeigen, dass diese heranwachsenden schlicht keine ahnung von ihrer aufblühenden gefühlsvielfalt haben, weil sie es nie vorgelebt bekamen, wie sich so etwas wie mitleid mit anderen z.b. anfühlt. und wenn sie es nicht nachahmen können, dann zeigen sie roheit stattdessen, und verwechseln skrupellosigkeit mit fun, nur um ihre eigenartigen gefühle von mitleid und liebe, die sie aber nicht verstehen, zu vertuschen, weil sie meinen, das wäre irgendwie nicht das, „was man macht“, „wie man sich zeigt“, „was man darstellt“…

        ach, was soll’s, bin schon gespannt auf dein nächstes thema!

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      2. Deine Frage muss ich, zumindest was mich betrifft, eindeutig bejahen. Ja, wir tappen wohl in allem, was nicht oberflächlich, sondern „wesen“tlich ist, im Dunkeln. Vielleicht gab es, jedenfalls halte ich das für möglich, Erleuchtete. „Buddha“ wird ja oft mit „Der Erleuchtete“ übersetzt. Jedoch selbst wenn solche Erleuchteten uns den Weg erleuchten, wird es zwar um uns heller, aber damit noch nicht in uns.

        Die „eigenartigen Gefühle von Mitleid und Liebe“ lassen sich nicht wie irgendein Produkt erzeugen. Man hat sie, und zwar auch ohne sie zu begreifen – oder hat man sie nicht. In Deinen Beispielen geht es wohl darum, solche (verborgenen) Gefühle durch Vorleben zu erwecken und sie dann auch wirksam werden zu lassen. Aber dafür bedarf es Vorbilder!

        Was nützen aber Vorbilder, wenn auf diese nicht geschaut wird, also die Augen geschlosssen gehalten werden. Keiner ist so blind wie der, der nicht sehen will! Der „Wille“ muss da sein und damit sind wir bei der Kernfrage Schopenhauers. Können wir den „Willen“ ändern oder ändert der „Wille“ uns?

        Was meine nächsten Themen betrifft, so hoffe ich Deine Erwartungen nicht zu enttäuschen. Es geht immer um Themen, auf die mich das Leben stößt. Schopenhauer hat mir dazu in der Dunkelheit, in der ich herumtappe, einige Lichtblicke vermittelt. Das ist nicht Erleuchtung, aber auch nicht völliges Dunkel.

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  3. Das Wort „Mitleid“ könnte auch deshalb nicht gut ankommen, weil es einerseits Ãœberlegenheit signalisiert, demjenigen gegenüber, dem es eben schlechter geht als dem, der Mitleid hat oder andererseits sogar Hilflosigkeit, weil derjenige der Mitleid hat, den Leidenden nicht wirklich von seinem Leid befreien kann, höchstens lindern und der Leidende fühlt sich vielleicht da doch allein und nicht wirklich verstanden. Mitgefühl kommt besser an, weil da das Gefühl hervorgehoben wird. Mitfühlen, also auf gleicher Ebene sein können und der Leidende kann sich eher vorstellen, der mitfühlende Mensch weiß wie es sich anfühlt (bezogen auf sein Leid oder auch seine Freude) und fühlt sich dadurch innerlich nicht so unverstanden und allein.

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    1. Seit Schopenhauer sind mehr als 150 Jahre vergangen, und da kann es durchaus sein, dass es heute angebrachter ist, besser von „Mitgefühl“ als von „Mitleid“ zu sprechen. Entscheidend ist für mich, dass durch richtige Wortwahl das, was man wirklich meint, verstanden wird.

      Allerdings kann ich dabei nicht ganz verstehen, warum „Mitleid“ eine Art von „Ãœberlegenheit“ signalisieren soll. Abgesehen davon, möchte ich auf folgendes hinweisen: Wer z. B. an seinen Gebrechen schwer leiden muss, ist dem Gesunden an physischer Leistungsfähigkeit unterlegen. Das ist eine Tatsache, dessen sich alle bewusst sind, egal, ob man sie ausspricht oder nicht. Es geht hierbei doch nur um körperliche Ãœberlegenheit, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Wert eines Menschen zu tun hat.

      Im übrigen bin ich der Meinung, dass man seine Formulierungen nicht danach ausrichten sollte, was besser „ankommt“, sondern nach dem, was der Wahrheit näher kommt. Auch wenn man um Zustimmung bemüht ist, darf man den Menschen nicht immer nach dem Mund reden, sondern muss bereit sein, mitunter auch Ablehnung und – was in unserer Mediendemokratie besonders nachteilig ist – niedrige Quoten hinzunehmen. Für Schopenhauer war das geradezu ein moralischer Grundsatz.

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  4. Mit Art der Überlegenheit beim Mitleid empfinden war nur gemeint, das einer, der z.B. im Moment seiner Verletzung nur daran interessiert ist, egal ob seelisch oder physisch, diese zu heilen. Es wird schwierig für jemanden, der z.B. gerade am Unfallort liegt und ein Bein verloren hat, mit z.B. seinem Beifahrer noch Mitleid empfinden zu können, da er sich selbst in einem traumatischen Zustand befindet. Aber all die, die Mitleid in der Situation empfinden können, sind in der besseren, gesünderen und daher überlegeneren Position.

    Formulierungen danach ausrichten, was besser ankäme? Sowas kenne ich nicht. Anderen nach dem Mund reden? Mache ich nie. Wertefrei sich zu äußern ist eine schöne Sache und so versuche ich alles zu betrachten, soweit es mir möglich ist. Jeder Mensch ist wertvoll und daher stellt sich für mich die Frage gar nicht, ob etwas mit dem Wert eines Menschen zu tun hat oder nicht.

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  5. Wenn „Ãœberlegenheit“ in völlig wertneutralem Sinne gemeint ist und so auch verstanden wird, dann halte ich es in diesem Zusammenhang nicht für problematisch, das Wort „Mitleid“ zu verwenden.

    „Nie“ Menschen nach dem Mund zu reden, ist ein guter Vorsatz. Ob dieser auch immer eingehalten werden kann (z. B. unter starkem Druck in einer Diktatur), scheint mir aber fraglich zu sein.

    Obwohl ich versuche, die Welt möglichst objektiv zu sehen, habe ich doch Wertmaßstäbe, nach denen ich Menschen beurteile. Mit Äußerungen dazu bin ich allerdings vorsichtig, weil man sich in der Einschätzung eines Menschen auch irren kann.

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