Jainismus – Religion ohne Gewalt

Von Natur, meinte Arthur Schopenhauer, würde nicht das Recht, sondern die Gewalt auf Erden herrschen. Auch heute noch stoßen wir in allen Bereichen des Lebens auf Gewalt. Das gilt mehr oder minder auch für die Religionen, verdanken sie doch selbst ihre weltweite Verbreitung in starken Maße der Gewalt. So zeigt ein Blick in die Geschichte, dass die konfessionelle Verteilung in der Welt, auch in Deutschland,  weitgehend das Ergebnis von Kriegen, das heißt der erfolgreichen Ausübung von Gewalt ist. Eine unerfreuliche und im Sinne politischer Opportunität unerwünschte, aber leider wahre Feststellung. Um so ermutigender ist die Tatsache, dass es Ausnahmen gibt. Eine solche Ausnahme, und zwar in sehr eindrucksvoller Weise, ist eine uralte indische, auch heute noch existierende, durchaus lebendige Religion, nämlich der Jainismus.

Schon vor fast 200 Jahren erwähnte Schopenhauer diese, dem Buddhismus nah verwandte Religion. Jedoch im Gegensatz zum Buddhismus ist die Religion der Jainas bei uns immer noch ziemlich unbekannt. Das ist auch deshalb bedauerlich, weil es sich beim Jainismus nicht nur um eine der ältesten Religionen der Welt handelt, sondern weil es eine Religion ist, die sich – konsequent und so allumfassend wie keine andere – für Gewaltlosigkeit und dementsprechend entschieden für den Vegetarismus einsetzt,  wobei sie von ihren Anhängern sogar die vegetarische Lebensweise fordert.

Die Anfänge des Jainismus liegen im Dunkeln. Einer ihrer ersten historischen Persönlichkeiten war wohl Parshva, der um 800 v. u. Ztr. in Indien  lebte und als einer der „Tirthankaras“ (Furtbereiter, d. h. Gründer) des Jainismus gilt. Sein bis heute bedeutendster Nachfolger war Mahavira, der etwa zur Zeit des Buddha, also um 550 v. u. Ztr.,  in Nordindien wirkte. Somit ist der Jainismus erheblich älter als der Buddhismus. Das erklärt vielleicht auch manche Unterschiede, die trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen Jainismus und Buddhismus bestehen. Es sind wohl diese Gemeinsamkeiten, die Arthur Schopenhauer glauben ließen, dass die Jainas „nur dem Namen nach von den Buddhaisten verschieden sind“.

Gerade in ihrer allumfassenden Ethik sowie ihrer Ablehnung des brahmanischen Tieropfers und Kastenwesens stimmen Jainismus und Buddhismus überein. Hierbei ist die Gewaltlosigkeit, im altindischen Sanskrit AHIMSA genannt, das zentrale ethische Prinzip des Jainismus. Dieses Prinzip gilt im fundamentalen Gegensatz  zu den bei uns herrschenden Religionen gegenüber allen Lebewesen. Die AHIMSA äußert sich noch konsequenter als beim Buddhismus in allen Lebensbereichen der Jainas.  Dementsprechend ist, wie oben bereits erwähnt, bei ihnen die vegetarische Lebensweise eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht nur für den Vegetarismus, sondern auch in vielen anderen Bereichen setzen sich Jainas für den Tierschutz ein. So unterstützen sie in Indien seit  jeher Tierkrankenhäuser, worüber sich – was bezeichnend ist – „Westler“ schon vor Jahrhunderten wunderten.

Durch ein solches Tierkrankenhaus wurde ich erstmals auf den Jainismus aufmerksam: Tief beeindruckt las ich 1970 einen Zeitungsbericht über ein Vogelhospital, das die Jainas in Indien unterhalten. Das führte dann dazu, dass ich mich für den Jainismus näher interessierte und dann in Vorträgen, Artikeln usw. über diese einmalige Religion berichtete.  Übrigens kam ich dadurch, welch` ein Zufall (?), zu Schopenhauer, und zwar im Zusammenhang mit meinem Beitrag in „Der Vegetarier“ (Heft 3/1977) über „Vegetarismus und Tierschutz in der Jaina-Religion“. Von diesem Artikel, das sei hier angemerkt, wurde kürzlich ein etwas veränderter Auszug durch die Jain Association International auf der Website vom Vegetarierbund Deutschland veröffentlicht. Vor Erscheinen meines Artikels in der genannten Zeitschrift hatte ich (1976) eine Diskussion mit dem damaligen Redakteur, Professor Brockhaus. Es ging dabei um einige tiefergehende philosophische Fragen, die weit über den Jainismus hinaus von Bedeutung sind. Schließlich fand ich dazu bei Schopenhauer Antworten, die nicht nur mich, sondern – wie mir schien – auch den Professor zufrieden stellten. Nun sind inzwischen 35 Jahre vergangen, doch das Thema “ Jainismus “ und Schopenhauers Philosophie sind seitdem für mich unverändert aktuell geblieben.

Was mich als Tierrechtler besonders am Jainismus fasziniert, ist die Konsequenz, mit der die Jainas ihren Grundsatz der Gewaltlosigkeit ( AHIMSA ) seit mehr als 2500 Jahren auch auf nichtmenschliche Wesen ausdehnen. Eine solche allumfassende Ethik, und zwar nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert, dürfte in der Religionsgeschichte einmalig sein! Voll und ganz kann ich dem zustimmen, was ich in einer Veröffentlichung der Jainas las:
Wenn jemand seinen Körper durch das Fleisch anderer Lebewesen mästet, so ist seine Verehrung der AHIMSA in Wahrheit Scheinheiligkeit.
hb

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Hinweis: Die vollständige Fassung meines o. g. Beitrages “ Vegetarismus und Tierschutz in der Jaina-Religion “ wurde in: „Der Vegetarier“ Nr.3/1977 veröffentlicht.

33 Gedanken zu “Jainismus – Religion ohne Gewalt

  1. Im Gegensatz zu früher muss nach heutigem Verständnis eine Religion nicht unbedingt theistisch sein. Insofern wird der Jainismus zu den Religionen gezählt. Wie der Buddhismus ist er im Kern nicht anthropozentrisch. Im übrigen ist der Jainismus schon wegen seines Alters eine hochinteressante Religion, die manche Ähnlichkeiten mit den Pythagoräern aufweist.

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    1. Soweit ich feststellen konnte, erwähnte Schopenhauer die Jainas erstmals in den „Studienheften“ 1811-1818. (Arthur Schopenhauer. Der handschriftliche Nachlaß. Hrsg. v. Arthur Hübscher. dtv klassik, München 1985, Band 2, S.395.)

      Die Äußerung Schopenhauers, dass die Jainas „nur dem Namen nach von den Buddhaisten verschieden sind“, ist zu finden in: Arthur Schopenhauer. Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 48 (Zürcher Ausgabe. 2. Teilband, S. 712).

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    1. Natürlich gibt es – wie überall – auch in der Ethik der Jainas Grenzen, auf die ich dann im Laufe der Zeit, und zwar besonders nachdem ich Veganer wurde, gestoßen bin: So habe ich mich im in (englischsprachigen) Internetforen der Jainas an Diskussionen beteiligt. Hierbei ging es darum, ob der oben erwähnte Jaina-Grundsatz der Ahimsa, also der allumfassenden Gewaltlosigkeit, nicht nur die traditionelle vegetarische, sondern eine konsequente vegane Lebensweise erfordert. Einige, vor allem im Westen lebende Jainas haben diese Frage selbstverständlich bejaht, wogegen andere sich auf die alten Traditionen beriefen, zu denen der Konsum von Milchprodukten gehört. Es wird vielleicht noch einige Zeit dauern, bis sich überall im Jainismus die Erkenntnis durchsetzen wird, dass dessen Anliegen, die Ahimsa auch im Westen zu verbreiten, nur überzeugen kann, wenn sie mit veganer Lebensweise verbunden ist. Das wäre die Krönung einer mehr als 2800-jährigen Lebenspraxis, die in der Religionsgeschichte ohne Beipiel ist.

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  2. Seit dem letzten Sommer meide ich auch Lauchgewächse und Wurzelgemüse, also alles was unter der Erde wächst. Das kommt recht gut. Ein Jaina werde ich deshalb wohl nicht, dennoch haben sie mich dazu auch ein wenig inspiriert. Dass ich da nicht früher drauf gekommen bin? Leider kenne nicht nicht einen, der vegan lebt und auch alles meidet was unter der Erde wächst.

    Vegan-Jain Menü:
    http://tierrechte.blog.de/2010/10/07/vegan-jain-menue-9550577/

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    1. Obwohl ich dem Jainismus und Buddhismus mit großer Sympathie gegenüberstehe, orientiere ich mich in meiner Ernährung nicht nach diesen Religionen, sondern nach dem allgemein-ethischen Grundsatz, möglichst wenig Leid zu verursachen. Deshalb bin ich Veganer. Da ich glaube, dass Kühe mehr Leid und Schmerz empfinden als Pflanzen, halte ich es für noch wichtiger, auf Milchprodukte zu verzichten als auf Pflanzennahrung. Selbstverständlich sind nach Möglichkeit auch Pflanzen zu schützen, denn auch sie sind empfindsame Wesen.

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      1. In den Veganismus bin ich 1982 eingestiegen. Veganismus ist allerdings keine Endstation, so dass es nicht nicht verkehrt sein kann sich gesünder und ethisch korrekter zu ernähren. So jemand versucht gewaltfreier zu leben gibt es eben keine speziesistischen Grenzen, so dass auch der Umgang mit Pflanzen auf den Prüfstand gehört. Und dabei orientiere ich mich an meinem eigenen Empfinden und Erkenntnissen. Nach meiner direkten Anschauung ist es nun mal gewalttätiger eine Pflanze samt Wurzeln aus der Erde zu reißen um sie zu verspeisen, als Obst oder Getreide zu essen. Daneben ist alles was über der Erde wächst viel mehr mit Sonnenenergie durchdrungen, als das was unter der Erde wächst, so dass sich all dieses viel besser für die menschliche Ernährung eignet. Es ist halt besser eine Symbiose mit Tieren und Pflanzen zu suchen, als dies nie versucht zu haben. So wir Wurzelgemüse essen zerstören wir ganze Pflanzen, so wir aber Körner und Früchte essen ernähren wir uns von den Überschüssen der Pflanzen.

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  3. Schon wegen seiner eindrucksvollen Ethik finde ich es schade, dass bei uns nur sehr wenige Leute etwas über den Jainismus wissen. Woran liegt das?

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    1. Ich hatte mich bereits vor mehr als 20 Jahren gewundert, dass der Jainismus bei uns so wenig bekannt ist. Dazu möchte ich eine persönliche Erfahrung erwähnen: Damals hielt ich in Berliner Volkshochschulen und Rathäusern Vorträge, darunter einen über „2800 Jahre Jainismus – die Religion der Gewaltlosigkeit“. Gerade bei diesem Thema, das wahrscheinlich für fast alle Zuhörer neu war, merkte ich ein erstaunlich großes Interesse und Verständnis der Anwesenden. Das mag nicht nur daran liegen, dass die Ethik der Jainas konsequent ist, sondern dass sich auch sonst ihre Lehre besser erklären lässt als etwa die des Buddhismus: Während die Jainas von einer Vielzahl erlösungsbedürftiger Seelen ausgehen, wird der Buddhismus von manchen seiner maßgeblichen Interpreten als seelenlos hingestellt, was zu erheblichen Verständnisproblemen führt. Es ist wohl das reiche buddhistische Meditationsangebot und die Popularität des Dalai Lamas, die mit dazu beitragen, dass der Buddhismus inzwischen in Europa einen hohen Bekanntschaftsgrad erreichen konnte. Beim Jainismus habe ich jedoch den Eindruck, dass bei uns noch ein großer Informationsbedarf besteht.

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  4. Bei den Google-News finden sich permanent viele Artikel zum Thema AHIMSA. Deutsche Artikel befinden sich allerdings kaum darunter. Woran das wohl liegt? Und so man mal bei Veganern etwas über AHIMSA und den Jainismus postet, vermuten viele sogleich, dass man in irgend einer Sekte sei???

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    1. Ich vermute, das liegt auch daran, dass die meisten der außerhalb Indiens wohnenden Jainas in Nordamerika und Großbritannien leben. Daher ist der Jainismus dort weit bekannter und vertrauter als in Deutschland. Bei uns ist der Jainismus etwas Neues. Da sind die Leute zunächst misstrauisch und glauben, der Jainismus sei eine neue „Sekte“. Wie ich als Antwort zu obigem Kommentar von wotan schrieb, besteht noch ein erheblicher Aufklärungsbedarf. Es gibt hier leider noch zu wenig Leute, die überzeugend und vertrauenserweckend die Lehre der Jainas erklären können, und zwar in gut verständlicher deutscher Sprache! Übrigens sollten die Vertreter der AHIMSA Veganer sein, denn traditioneller Vegetarismus mag vielleicht in Indien reichen, hier ist er nicht mehr überzeugend.

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      1. Nun, es gibt aber auch viele andere Gruppen, denen AHIMSA etwas bedeutet. Von denen liest man allerdings auch nicht viel. Der deutsche Vertreter des Jainismus ( http://www.jain-germany.de ) hielt aber Veganismus gar nicht mal für lebbar??? Das fand ich schon mehr als seltsam. So einige Schriften und ein Buch über Jainismus und MAHAVIRA waren aber doch ganz interessant.

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      2. AHIMSA ist auch im Hinduismus von großer Bedeutung, was sehr wahrscheinlich dem Jainismus zu verdanken ist. Der „deutsche Vertreter des Jainismus“ muss nicht unbedingt repräsentativ für die Mehrheitsmeinung sein.

        Soweit ich aus englischsprachigen Jaina-Foren, in denen ich mitdiskutiert habe, weiß, ist das Thema „Veganismus“ zwischen den Jainas umstritten. Es scheint mir aber unter den westlichen Jainas eine Tendenz zum Veganismus zu geben. Wie dem auch sei, den Jainismus halte ich für eine sehr interessante Religion.

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      3. Dass es in Indien diese Jains gibt, die mit einem Besen Insekten von der Straße fegen wissen viele, obwohl dies wohl nur einige Jains tun. Es trägt ja auch nicht jeder einen Mundschutz.
        Nun ja, Kuhmilch ist in Indien eh etwas heiliges. Da haben es Veganer schwer. Und hiesigen, veganen Atheisten ist manch Heiligenschein etwas unheimlich, da sie das wohl zu sehr an das Christentum erinnert. Jainismus ist wohl nicht nur eine sehr interessante Religion, sondern wird auch viele Vegetarier in Europa mit geprägt haben. Als Alexander der Große in Indien war, haben die Griechen bestimmt auch Jains kennen gelernt und etliche Erfahrungen mit ihnen mit nach Griechenland gebracht. Es gab jedenfalls danach einige kulturelle Vermischungen zwischen den Griechen und den Indern. Es wäre interessant mal zu erfahren,ob oder inwieweit Jainismus und Pythagoräer sich gekannt oder gar beeinflusst haben.

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      4. Ob der Jainismus wirklich viele Vegetarier in Europa geprägt hat, halte ich für sehr zweifelhaft. Als ich 1973 mit dem „Bund für Lebenserneuerung“, der sich heute „Vegetarierbund Deutschland“ nennt, in Verbindung trat, war dort der Jainismus fast unbekannt, und auch sonst traf ich keine Vegetarier, die etwas über den Jainismus wussten. Auch in der britischen Vegetarian Society hatten die Jainas, soweit ich damals feststellen konnte, keine besondere Bedeutung.

        Die Griechen hatten zwar unter Alexander auf ihrem Feldzug nach Indien auch Jainas kennen gelernt, einer von ihnen hatte sogar die Griechen auf ihrem Rückzug begleitet, aber das blieb lediglich eine Episode ohne größere geistige Folgen. Bedeutsamer waren wahrscheinlich die Begegnungen zwischen Griechen und Indern in der ägyptischen Hafen- und Handelsstadt Alexandria. Da viele indische Kaufleute Jainas waren (was auch heute noch der Fall ist!), dürften manche von ihnen auch in Alexandria gewesen sein, wo sie sicherlich auf Griechen gestoßen sind.

        Trotz solcher griechisch-indischer Begegnungen glaube ich nicht, dass dadurch die griechische Kultur wesentlich beeinflusst wurde. Nach allem, was ich dazu aus der Literatur entnehmen konnte, hatten die Pythagoräer und die Jainas unterschiedliche Ursprünge, nämlich die einen entstammen wahrscheinlich den Orphikern, wogegen die anderen ihre Wurzel in der altindischen, vorarischen Asketenbewegung hatten. Ich gehe deshalb eher davon aus, dass hier eine weitgehend unabhängig verlaufende Parallelentwicklung stattfand. Das allerdings finde ich höchst erstaunlich.

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      5. Ich denke mir eher, dass der indische Einfluss gar nicht immer erkennbar gewesen sein muss, als vegetarische Denker in Europa ihre eigene Tierethik formulierten, da auch sie oft Quellen benutzten, die den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt waren. Dazu müssten aber mal alte Ur-Texte verglichen werden. Auf antiken Handelsrouten reisten auch damals stets fremdländische Weltanschauungen mit und verbreiteten sich so selbstverständlich, dass sie später nicht selten als europäische Ur-Kultur ausgegeben wurden. Ganz so isoliert lebte man in der Antike auch nicht. Was zB. ist schon typisch griechisch? In Griechenland haben sich so ziemlich alle Kulturen der damaligen Zeit vermengt. Ich gehe auch nicht davon aus, dass das indische AHIMSA die Ursache des antiken Vegetarismus ist, wohl aber könnte es einige Einflüsse gegeben haben.

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      6. Dass es auf den Vegetarismus im antiken Griechenland einige Einflüsse gegeben haben könnte, die von außerhalb des Mittelmeerraums kamen, halte ich für möglich. Jedoch bezweifele ich, dass diese prägend waren. Schopenhauer glaubte zum Beipiel, dass das Christentum, soweit es vom Judentum abwich, wesentlich von Indien her beeinflusst wurde – eine Annahme, die heute weitgehend abgelehnt wird.

        Was indische Ur-Texte betrifft, so sind die ältesten von ihnen die Veden (Rigveda). Bei den vedischen Schriften ist der Zusammenhang mit den indoeuropäischen Religionen, soweit ich weiß, nachgewiesen. Die buddhistischen Texte sind nicht so alt, und noch jünger sind die Schriften der Jainas, obwohl der Jainismus mit Sicherheit älter ist als der Buddhismus.

        Unto Tähtinen stelle in seiner Untersuchung „AHIMSA. Non Violence in Indian Tradtion“ (London 1976, S. 2 f.) fest, „that ahimsa seems to have been used in the Chandogya-Upanishad in a moral sense, i. e. being extended to all living beings with certain exceptions. The first reference to ahimsa in a moral sense may be found in Kapisthala-Katha-Samhita. There the non-killing of animals is refered to in the context of sacrifice. This reference is pre-upanishadic“. Sofern das zutrifft, dann dürften wahrscheinlich die Upanishaden die ältesten schriftlichen Urtexte zu diesem Thema sein.

        Selbst wenn AHIMSA älter als die Upanishaden sind, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Vegetarismus ebenso alt ist. So schrieb der Indologe Walther Schubring, der sich vor allem mit dem Jainismus befasst hatte, in seinem Beitrag „Der Jinismus“ (in: Die Religionen Indiens. Band 3.Stuttgart 1964, S. 235): „Fleisch und Fisch sind in der alten Praxis (der Jainas) wohl eßbar. Die betreffenden Textstellen sind aber schon frühzeitig in vegetarischem Sinn interpretiert worden, und heute stößt jede andere Auffassung auf entrüsteten Widerspruch“. Auch laut Ludwig Alsdorf (Beiträge zur Geschichte von Vegetarismus und rinderverehrung in Indien,Wiesbaden 1962, S.561) soll aus den ältesten kanonischen Texten hervorgehen, dass der Fleischverzehr selbst bei den Jaina-Mönchen ursprünglich erlaubt war.

        Ich erwähne das hier nur, um zu zeigen, wie problematisch die Ur-Texte bei diesem Thema sind. Meine Vermutung ist, dass der Vegetarismus in alter Zeit auch mit dem damals fast weltweit verbreitenen Glauben an Seelenwanderung zusammenhängen kann. So brandmarkte im Hinblick auf die Seelenwanderung der altgriechische Philosoph Empedokles, der etwa zur Zeit des Buddha lebte, das Schlachten von Tieren: „Da schlachtet der Vater in arger Verblendung den lieben Sohn, der seine Gestalt gewandelt hat … So ergreift der Sohn den Vater und die Tochter die Mutter, rauben ihnen das Leben und verschlingen das Fleisch der Verwandten! … Wehe mir, dass mich nicht vorher ein erbarmungsloser Tag sterben ließ, bevor ich den grausamen Gedanken fasste, meine Lippen an gräßlichem Fraße zu weiden!“

        Empedokles war – wie obiges Zitat beweist – zweifellos Vegetarier, beim Buddha hingegen, bin ich mir da nicht so sicher. In Griechenland gab es möglicherweise den Vegetarismus schon zu einer Zeit, als Jainas und Buddhisten vermutlich noch Fleisch gegessen hatten. Das spräche dann eher gegen die Annahme, der Vegetarismus im alten Griechenland wäre von Indien her beeinflusst worden.

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      7. Gut wenn man alles in Frage stellt! 🙂 Das Christentum ist sicherlich durch viele frühere alte Mittelmeerkulte geprägt worden, wobei das Judentum nur einen sehr kleinen Teil ausmachte, der Glaube an griechische Götter hingegen einen einen viel größeren. So Schopenhauer vermutete, dass der indische Einfluß auf das Christentum sehr groß gewesen sei, irrte er sicherlich. In unzähligen Werken von Karl-Heinz Deschner kann man sehr gut nachlesen, aus was für „heidnischen“ Kulturen sich das Christentum zusammen setzt. Dennoch taucht bei mir ein ähnlicher Gedanke auf, so ich Bilder von christlichen und indischen Heiligenscheine sehe. Es kann natürlich auch sein, dass die Inder diese Darstellungen erst später von den Griechen übernahmen. Es ist ja auch bekannt, dass nach Alexander, in Indien etliche damit begannen ihre Heiligen im griechischem Stile zu malen. So gesehen ist etliches vorstellbar.

        Warum aber sollen fast zeitgleich in Indien und in Griechenland ähnliche Lehren von Seelenwanderungen und Vegetarismus entstanden sein? Wer Geschichtsschreibungen kennt, der weiß natürlich auch, wie diese permanent uminterpretiert werden. Das wird sicherlich nicht nur im Judentum und Christentum so sein. So darum gestritten wurde wer als Erster den Vegetarismus als ethische Notwendigkeit erfand, konnte sich natürlich weder Indien noch Griechenland mit dem 2 Platz zufrieden geben. Vielleicht einigten sich Griechen, Jains und Buddhisten dann ganz friedlich, in dem sie den ersten Platz ganz einfach teilten?

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      8. Wichtiger als die Frage, wer als erster zum Vegetarismus kam, ist für mich die Tatsache, dass alle drei indischen Hochreligionen sich während der letzten Jahrhunderte v. u. Ztr. mehr und mehr in Richtung Vegetarismus entwickelten, wobei der Jainismus darin besonders konsequent war. Hiermit verbinde ich die Hoffnung, dass nun vor allem bei den Jainas und Buddhisten entsprechend ihrer allumfassenden Ethik die weitere, m. E. notwendige Konsequenz gezogen wird, nämlich der Übergang zur veganen Lebensweise, auch wenn das sicherlich noch einige Zeit dauern wird.

        Rückschritte sind jedoch immer möglich, und wenn man Karlheinz Deschner liest, dann ist die Entwicklung des Christentums ein gewaltiger Rückschritt, insbesondere was das Verhältnis von Mensch und Tier angeht. Schopenhauer sah das wohl ähnlich, denn gerade das herrschende Christentum machte er für die furchtbare Behandlung der Tiere im Abendland verantwortlich.

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      9. So wir aber die historischen Ursachen für eine Tierethik bei den Griechen und den Jains besser verstehen, können wir selber Tierethik auch besser fördern. Dabei ist aber der Glaube an eine Seelenwanderung keine Grundbedingung für das heutige Tierrecht. Die Bemeisterung des eigenen Ego incl. seinen Täuschungen verspricht da schon mehr Erfolg. Im Grunde genommen reicht es schon das bei allen Menschen vorhandene Mitgefühl mit nichtmenschlichen Tieren zu benutzen und es mit dem menschlichen Verstand, nebst allem anderen zu verknüpfen. So wir dieses Mitgefühl mit allem verknüpfen, kann es uns nicht mehr abhanden kommen oder unaktiv werden. Nur ein nicht verknüpftes Mitgefühl kann verdrängt, also ignoriert werden.

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      10. Auch ich sehe im Glauben an Seelenwanderung keine Grundlage für das heutige Tierrecht. Ich halte mich dabei vielmehr an Schopenhauer, der in Übereinstimmung mit der buddhistischen Ethik und dem „Tat-Tvam-Asi“ der Upanishaden, davon ausging, dass die Lebewesen zwar im Äußeren unterschiedlich, aber im innersten Wesen gleich sind. Wenn Mensch und Tier im „wesentlichen“ gleich sind, dann müssten sie auch im wesentlichen gleiche, ihrer Art entsprechend modifizierte Rechte haben.

        Von ganz besonderer Bedeutung ist das Mitgefühl, denn das Mitleid ist für Schopenhauer die Grundlage der Moral – und das gilt gegenüber allem Lebendigen! Das Mitgefühl überwindet die sonst kaum überschreitbare Schranke zwischen dem „Ich“ und dem „Du“. Mitgefühl ist eine Charaktereigenschaft, die bei den Menschen unterschiedlich vorhanden ist. Ich kenne viele Menschen, die anderen Menschen gegenüber durchaus mitfühlend sind, aber für Tiere kein oder nur wenig Mitleid zeigen. Das ist eine Tatsache, die ich im Laufe von Jahrzehnten aktiver Tierschutzarbeit leider immer wieder zur Kenntnis nehmen musste.

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      11. Auch wenn es merkwürdig klingt, reduziert man Tiere auf die primären, inneren Organe, die wir alle gemeinsam haben, so haben alle eine Mundöffnung, After und einen Darm. Nach unseren Grundorganen gleichen wir also Schlangen. Alle anderen Organe wie Kopfhirn, Beine, Flossen oder Flügel usw. sind nichts weiter als Zusatzorgane, die in der Evolution irgend wann einmal dazu kamen. Im innersten seines Wesens gleicht jeder Mensch also einer Schlange. Auch die Skelette der Tiere sind erst viel später entstanden, lange nach dem es Wurm oder schlangenähnliche Lebewesen gab. An Anfang war also der Wurm, der in der Evolution bis heute, sich stets mit unterschiedlichen Schutzhäuten (Körpern und Zusatzorganen) umgibt. Und da sage noch mal einer : „Dummer Wurm“ Jeder Mensch ist in seinem Inneren länger als viele glauben. Würde man den Darm ausrollen und vom Kopf bis zum After messen, so kämmen einige Meter zusammen.

        Auch Hirnforscher begreifen schon lange Jahre, dass der Darm nicht nur ein Verdauungsapparat ist, sondern ein regelrechtes Darmhirn, welches das Kopfhirn mehr kontrolliert als umgekehrt. Daher kennt auch jeder Mensch das sogenannte Kopf und Bauchdenken. Der Darm ist also der innere Kern aller tierischen Wesen. Das hört sich erst wohl nicht so schön an, entspricht aber voll dem heutigen, wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Es können etliche ohne Arme, Flügel,Beine oder Flossen leben, nie aber ohne Darm. Nur was bedeutet das heute für eine Tierrechtsethik? Können wir Lebewesen moralisch abwerten, so sie mehr nach ihrem Bauch als nach ihrem Kopfhirn leben, so wir Menschen doch auch viele Entscheidungen aus unserem Bauchhirn heraus treffen und die meisten anderen nichtmenschlichen Tiere ebenfalls über ein Kopfhirn verfügen, welches sie ganz artgerecht benutzen? Genügen die Verschiedenheiten mancher Hilfsorgane schon als Grund, anderen Lebewesen Grundrechte abzusprechen?

        Das Mitgefühl ist sicherlich das primäre bei der Moral, obwohl und gerade weil beide sich als Gegensätze gegenüber stehen. Das eine kann aber nicht ohne das andere. Aus diesem Impuls des Mitgefühles, welcher oft noch keine festen Formen kennt, entwickeln sich dann eben später festere Formen von ethischen, alltäglichen Verhaltensweisen. Um das eigene Mitgefühl zu aktivieren und mit dem Alltagsleben zu verknüpfen muss es bei vielen aber meist erst dieses Kickerlebnis geben. Ansonsten bleibt das eigene Mitgefühl mit nichtmenschlichen Tieren weiterhin inaktiv und unverknüpft.

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      12. Wo kein Mitgefühl mit Tieren ist, können wir auch keins erzeugen. Wir können aber versuchen, dort, wo Mitgefühl vorhanden ist, aber nur „schlummert“, es zu aktivieren. Darin sehe ich den Sinn von Aufklärungsarbeit, nämlich dieses „Klickerlebnis“ zu bewirken. Manchmal hat man ja dabei Erfolg, aber leider ist oft auch Frustration das Ergebnis. Die Erklärung hierfür fand ich bei Schopenhauer, wonach wir den Menschen nur die „Motive“ z. B. für Tierschutz, nahebringen können, ihren Charakter aber können wir nicht ändern. Das habe ich leider immer wieder bestätigt gefunden

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      13. Warum sollten wir auch dem Wahn erliegen das Wesen der Menschen ändern zu können? Mein eigenes Wesen kann auch keiner ändern. Jeder kann sein eigenes Wesen nur besser oder schlechter ausleben, also sein eigenes Tun oder Nichttun ändern. Kann aber sein, dass ich diese Erkenntnis auch von Schopenhauer habe? Mindestens hat er mich zu ihr inspiriert. Wer allerdings Rechte für andere Wesen fordert, der muss eben auch ihr Wesen so akzeptieren wie es ist. Rechte nur für jene zu fordern, dessen Wesen wir uns so zusammen basteln könnten wie wir es wollten, ja was für Rechte wären das? Dies entspräche wohl eher einer eigenen Diktatur.

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      14. Dem „Wahn“, den Menschen ändern zu wollen, erliegen viele Weltanschauungen – und sind damit gescheitert! Sie konnten die Menschen nicht ändern, sondern sie nur zerbrechen. Auch die Religionen haben es nicht vermocht, die Menschheit nachhaltig zu bessern und, vielleicht von Ausnahmen abgesehen, den tief in der menschlichen Natur verankerten Egoismus zu überwinden

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      15. Monotheismus ist eben oft auch nichts anderes als kollektiver, geheiligter Egowahn. Manch östliche Kulturen haben die Tücken und Täuschungen des Egos aber schon sehr gut beschrieben und der Denkansatz bei Schopenhauer über die Tücken des menschlichen Willens geht in eine ähnliche Richtung. Die Welt des Egos ist die Welt der Täuschungen. Doch wie sollten wir zu Erkenntnissen gelangen, die nicht vom eigenen Ego mit bestimmt werden? Der Mensch ist nun mal kein Neutron. Auch kann kein Mensch sein eigenes Ego beseitigen, sondern diesem nur stets verschiedene Richtungen geben. So gesehen erscheint mir auch der sogenannte Altruismus oft als eine weitere Egomaske. die etwas vorgibt, was es gar nicht gibt, um das eigene Ego nicht offen, sondern nur versteckten ausleben zu können. Nur wenn wir die Unveränderlichkeit mancher Dinge einsehen, dann können wir auch nicht von anderen fordern diese bei sich zu ändern oder gar Grundrechte von solchen Forderungen abhängig machen. Die Forderungen nach Tierrechten muss somit auch mit dem eigenem Ego begründet werden und darf sich nicht feige hinter altruistischen Täuschungsmanövern verstecken.

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      16. Letztlich können wir als Außenstehende nicht genau wissen, warum ein anderer Mensch sich z. B. für Tierschutz bzw. Tierrechte einsetzt. Wenn sein Verhalten auf Mitgefühl beruht, dann gehe ich – in Übereinstimmung mit Schopenhauer – davon aus, dass es altruistisch und somit ethisch begründet ist.

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      17. Es stellt sich dabei aber die Frage, ob es Altruismus wirklich gibt. So ich zum Beispiel sehe wie einem Säugetier Schmerz zugefügt wird, erleide ich selbst einen Schmerz, den ich, da ich ihn nicht ertragen kann, abstellen möchte. Ist so etwas aber altruistisch? Es ist sicherlich auch egoistisch. Klar, ich könnte weg schauen und das Erlebnis verdrängen und schon hätte ich diesen Schmerz nicht mehr. Nur verbietet mir das oft schon meine eigene Eitelkeit, die doch keine derartigen Verdrängungen für nötig erachtet.

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      18. Es ist eine Tatsache, dass viele Menschen von Schlachthäusern nichts sehen und hören wollen. Das nenne ich egoistisch, aber nicht diejenigen, die sich solchem Horror stellen und daraus Konsequenzen ziehen, etwa indem sie trotz erheblicher Probleme (z. B. mit ihren Lebenspartnern) vegan leben.

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      19. Ich empfehle dazu Schopenhauers „Preisschrift über die Grundlage der Moral“. Meiner Meinung nach die beste Begründung für Tierschutzethik – sehr verständlich geschrieben und, wie ich finde, durchaus überzeugend!

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  5. languor

    Zitat: „…Übrigens kam ich dadurch, welch` ein Zufall (?), zu Schopenhauer,“

    Mir gings ähnlich, nur war es nicht der Jainismus/Jinismus, sondern sein „Halbbruder“ der Buddhismus, durch den ich zu Schopenhauers Werken fand. :] Und ich muss sagen, ich freue mich darüber, denn so stellte ich fest, dass jemand (Schopenhauer) längst in Worten ausdrückte, was sich schon als Kind in mir regte.

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