Magnus Schwantje : Schopenhauer und Tierschutz

Dass der tierliebende Arthur Schopenhauer zu den ersten Mitgliedern der in Deutschland gerade gegründeten Tierschutzvereine gehörte, wurde in diesem Blog schon erwähnt. Deshalb ist es verständlich, wenn Schopenhauerianer ein Herz für Tiere haben. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist Magnus Schwantje, der sich um den neuzeitlichen Tierschutz sowie den ethischen Vegetarismus sehr verdient gemacht hatte und zu einem Wegbereiter für die heutige Tierrechtsbewegung wurde.

Magnus Schwantje

Magnus Schwantje
(1877-1959)

Schwantje ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Bezeichnung Schopenhauerianer nicht bedeutet, blind an Schopenhauers Philosophie zu glauben und dementsprechend von vornherein alles völlig kritiklos zu übernehmen, was von dem hochverehrten Philosophen kommt. Das wäre auch nicht in Schopenhauers Sinne, denn dieser erwartete von seinen Anhängern, dass sie „Selbstdenker“ sind – und Magnus Schwantje war das in hohem Maße.

Wie sehr Schwantje trotz einiger Kritik am Philosophen doch im Grunde überzeugter Schopenhauerianer war, zeigte sich auch daran, dass er bereits bei der Gründung oder sehr bald danach in die Schopenhauer-Gesellschaft eintrat und in derem ersten Jahrbuch einen Beitrag unter der Überschrift Der Pessimismus in der Ethik veröffentlichte.(1) Dort schrieb Schwantje:

„Es ist betrübend zu sehen, wie viele sittlich strebende Menschen in unserer Zeit eine philosophische Begründung ihres sittlichen Wollens und eine Richtschnur für ihr Handeln in den seichten Werken von Modeschriftstellern suchen, während die unermeßlichen Schätze der Werke Schopenhauers ihnen unbekannt bleiben.

In unserer Zeit wird allerdings oft die Ansicht ausgesprochen, daß die Lehren Schopenhauers auf das sittliche Streben nur unheilvoll wirken könnten, da eine pessimistische Weltanschauung, wie sie in seinen Werken dargestellt sei, die Tatkraft lähme; ja, oft wird der Pessimismus sogar als die Frucht einer materialistischen und egoistischen Gesinnung hingestellt. Tatsächlich muß gerade ein idealistisch gesinnter und mitleidiger Mensch, wenn er mutig und unbefangen die Wahrheit erforscht, zu einer pessimistischen Weltanschauung kommen; und gerade diese erzeugt den höchsten Opfermut. Wer von der Wirklichkeit befriedigt wird, kann kein Bedürfnis fühlen, sich ein Ideal zu bilden und ihm nachzustreben.

Freilich kann der Pessimismus auch das Ergebnis von Enttäuschungen egoistischen Strebens sein, und dann bestärkt er meistens die Selbstsucht des Menschen. Aber ein Pessimismus, der aus einer idealistischen und altruistischen Gesinnung erwächst, lähmt nicht den Trieb zum Wirken. Ebenso wie die Erkenntnis der Beschränktheit unseres Intellektes nicht den Trieb vernichtet, alles zu erforschen, was unserer Erkenntnis erreichbar ist, so kann die Erkenntnis, daß alle Liebestätigkeit die schlimmsten Übel der Welt nicht ausrotten kann, nicht den Trieb lähmen, diejenigen Leiden zu verhüten, die wir verhüten können; ja, gerade eine pessimistische Weltanschauung führt oft zu dem Verzicht auf eigenes Glück, der alle Kräfte frei macht zum Wirken für andere.

Während also die Furcht vor dem Pessimismus Schopenhauers in den meisten Fällen einer kurzsichtigen Denkweise entspringt, haben einige seiner politischen Ansichten und seiner Ansichten über die Frauen gerade viele derjenigen Menschen von einer Prüfung seiner Werke zurückgehalten, denen Schopenhauer eine Klärung und Vertiefung ihrer eigenen Anschauungen und eine erhebende, tröstende und stärkende Erbauung geben könnte.

Wie die Werke jedes andern philosophischen Genies, sind auch die Schopenhauers nicht frei von Fehlern; und zu diesen rechne ich hauptsächlich einige seiner politischen Ansichten und seiner Ansichten über die Frauen. Aber den wenigen einseitigen und übertreibenden Urteilen steht in Schopenhauers Werken eine Fülle der tiefsinnigsten Lehren gegenüber, wie wir sie kaum in den Werken irgend eines andern Menschen finden.“

Besonderes Interesse hatte Schwantje für Schopenhauers Einstellung zu den Tieren und zum Tierschutz. So gab er 1919 eine Schrift unter dem Titel Schopenhauer´s Ansichten von der Tierseele und vom Tierschutz heraus:

Schwantje, der von 1901 bis 1904 Vorsitzender des Berliner Tierschutzvereins und 1907 Gründer der Gesellschaft zur Förderung des Tierschutzes (seit 1919 Bund für radikale Ethik) war, sah in der Philosophie Schopenhauers, und zwar vor allem in dessen Mitleidsethik, die „wissenschaftliche Begründung“ und „kräftigste Stütze“ in seinem Kampf für den Schutz der Tiere. Hierzu schrieb er in dem schon genannten Beitrag im Schopenhauer-Jahrbuch:

„Auch seine [Schopenhauers] Moral-Philosophie gehört zu dem Wertvollsten, was je ein Genie der Menschheit gegeben hat. Es würde einen höchst segensreichen Einfluß auf die sittliche Entwicklung der Menschheit ausüben, wenn diese Lehre allgemeine Anerkennung fände. Insbesondere die Erkenntnis, daß wir den Antrieb zu allem moralischen Handeln nicht durch ein Gebot der Vernunft, sondern durch das Mitleid empfangen, würde die Menschen befähigen, sowohl die Handlungen des Einzelnen, wie die politischen und sozialen Verhältnisse und die Bestrebungen ethischer Vereine mit tieferem moralischem Verständnis zu beurteilen. Sie würde auch bewirken, daß die Menschen jedes Wesen nicht nach dem Grade seiner Fähigkeit zum abstrakten Denken, sondern nach dem Grade seines Mitgefühls schätzen und lieben, und daß sie an den Leiden und Freuden aller Wesen, nicht nur der Menschen, inniger teilnehmen.

Damit wäre auch die Scheidewand niedergerissen, welche der Mensch hochmütig zwischen sich und der Tierwelt aufgerichtet hat ; denn wenn auch die Erkenntniskraft des Menschen die der Tiere weit überragt, so sehen wir doch bei unbefangener Beobachtung, daß die Tiere ebensosehr wie wir Lust und Schmerz fühlen, und daß sie heute durch die Schuld des Menschen schwer leiden.

Die Änderung der Ansichten von den Tieren und die dadurch bewirkte Verstärkung der Bestrebungen zum Schutze der Tiere, insbesondere des Vegetarismus, des Kampfes gegen die Vivisektion und des Kampfes gegen das Jagdvergnügen, würden aber nicht nur eine ungeheure Menge von Qualen unschuldiger Wesen beseitigen, sondern auch sowohl die Lebensführung wie die Anschauungen der Menschheit wesentlich umgestalten und veredeln. Alle diese und ähnliche Bestrebungen finden ihre wissenschaftliche Begründung und damit ihre kräftigste Stütze in der Philosophie Schopenhauers.“

Gestützt auf Schopenhauers Philosophie wurde Schwantje, wie es auch Schopenhauer selbst war, zu einem Wegbereiter für die heutige Tierrechtsbewegung.(2) Sein oben zitierter Beitrag erschien vor mehr als 100 Jahren. Dennoch hat das, was Schwantje dort zu Schopenhauer und seiner Philosophie schrieb, nichts an Aktualität verloren. Besonders gilt das auch für den letzten Absatz von Schwantjes Beitrag, denn das Leid der Tiere ist seitdem nicht geringer geworden. Ein umfassender und wirksamer Tierschutz, für den sich Magnus Schwantje zeitlebens mit all seiner Kraft einsetzte, ist notwendiger denn je, und hierbei kann Arthur Schopenhauers Mitleidsethik, da sie auch die Tiere als die „Brüder des Menschen“ einbezieht, die beste Begründung und kräftigste Stütze sein.(3)

H.B.

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Anmerkungen

(1) Erstes Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft, Kiel 1912, S. 58 ff.
Dieses Jahrbuch wurde ausgegeben am 22. Febr. 1912. Es enthält ein Mitgliederverzeichnis, in welchem Schwantje aufgeführt ist. Da die Gesellschaft am 30. Okt. 1911 gegründet wurde, ist Schwantje entweder bei der Gründung oder kurz danach ihr beigetreten.

(2) > Schopenhauer – ein Wegbereiter für Tierrechte .

(3) Magnus Schwantjes obiger Beitrag wurde nicht nur im Schopenhauer-Jahrbuch, sondern fast wortgleich auch im ersten Heft (1. Jg., Jan.-Febr. 1912) der von ihm herausgegebenen Monatsschrift Ethische Rundschau veröffentlicht. Gleich die erste Seite dieser Schrift zeigt als Titelbild Arthur Schopenhauer mit einem sich auf dessen allumfassender Mitleidsethik beziehenden Schopenhauer-Zitat: Das Mitleid ist die alleinige echt moralische Triebfeder. – Die von mir aufgestellte moralische Triebfeder bewährt sich als die echte … dadurch, daß sie auch die Tiere in ihren Schutz nimmt.