Schopenhauer : Natur und Mensch

„Wie ästhetisch ist doch die Natur!“ – schrieb Arthur Schopenhauer voller Bewunderung angesichts der Schönheit der Natur:

„Jedes ganz unangebaute und verwilderte, d. h. ihr selber frei überlassene Fleckchen, sei es auch klein, wenn nur die Tatze des Menschen davon bleibt, dekoriert sie alsbald auf die geschmackvollste Weise, bekleidet es mit Pflanzen, Blumen und Gesträuchen, deren ungezwungenes Wesen, natürliche Grazie und anmutige Gruppierung davon zeugt, daß sie nicht unter der Zuchtrute des großen Egoisten aufgewachsen sind, sondern hier die Natur frei gewaltet hat.“ (1)

Der „große Egoist“, unter dessen „Zuchtrute“ die Natur leidet, ist der Mensch. Leider kann er sich hierbei durch die Religion gerechtfertigt fühlen, „denn es ist“, wie Martin Luther sagte, „Alles um unser, der Menschen, Willen geschaffen“. (2) Luther konnte sich dabei auf die Bibel berufen, wo es zum Beispiel in der Genesis (1,28) heißt:

„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht!“

Im Gegensatz zu manchen ökologisch orientierten Christen, denen dieses Zitat ziemlich unangenehm ist, blieb Schopenhauer bei der Wahrheit und versuchte nicht, es zu beschönigen, also etwa durch abwegige Auslegungen den eindeutigen Wortlaut umzuinterpretieren. So sah Schopenhauer, dem das Wohl auch der Tiere am Herzen lag, in dieser Bibelstelle einen „Grundfehler des Christentums“, weil hiernach „der Schöpfer … sämtliche Tiere, ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter Behandlung, … dem Menschen übergibt, damit er über sie herrsche, also mit ihnen tue, was ihm beliebt“. (3)

„Mehret euch und füllet die Erde“ – die Menschen haben diesen vermeintlich göttlichen Auftrag erfüllt und erfüllen ihn weiter! Wohin diese unbegrenzte Vermehrung auf einer begrenzten Erde mit begrenzten Ressourcen führt, muss nicht näher erläutert werden. Die katastrophalen Folgen sind offenbar.

Weit mehr noch als zu Zeiten Schopenhauers wird immer deutlicher: die „Tatze des Menschen“ lässt kaum noch ein Fleckchen Natur unberührt. Das ist nicht nur zum Schaden der Natur, sondern auch des Menschen, denn er ist ja selbst – wie Tier und Pflanze – ein untrennbarer Teil der Natur!

Wie kaum ein anderer weltbekannter Philosoph hatte Arthur Schopenhauer die Einheit allen Lebens in seiner Philosophie hervorgehoben und dabei den angemaßten Anspruch des Menschen, Herrscher über die übrige Natur zu sein, entschieden zurückgewiesen.

Gerade die heutigen Diskussionen über mehr Umwelt- und Klimaschutz, über die Vernichtung der tropischen Regenwälder oder andere gewaltige Zerstörungen der Natur zeigen, wie Recht der Philosoph Max Horkheimer hatte, als er in einem Vortrag meinte:

Das Denken Schopenhauers ist unendlich aktuell. (4)

H.B.

Weiteres zum Thema Natur in Schopenhauers Schriften > hier .

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 33: Vereinzelte Bemerkungen über die Naturschönheit, S. 478.
(2) Vollständiges Luther-Zitat in: D. Martin Luther´s Tischreden oder Colloquia, hrsg. und erl. von Karl Eduard Förstemann, Leipzig 1844, S. 141.
(3) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga und Paralipomena II, § 177: Ueber das Christenthum, S. 408 f.
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(4) Zit. aus: Über Arthur Schopenhauer , hrsg. von Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1977, S. 159.