Schopenhauer : Leid und Freude

Leid und Freude gehören zum Leben jedes Menschen, obgleich in sehr unterschiedlichem Maße. Arthur Schopenhauer hatte diese Lebenserfahrung so eindrucksvoll wie kaum ein anderer Philosoph in seinen Werken beschrieben. Hierbei wurde ihm – und wird auch heute noch – mitunter vorgeworfen, er hätte das Leid übermäßig hervorgehoben und dabei die Freude, die es im Leben ja auch gäbe, mehr oder weniger vergessen. So hätte er ein zu düsteres Bild des Lebens gezeichnet. Schopenhauer begegnete diesem Vorwurf mit einem Argument, das sich kaum, ja eigentlich überhaupt nicht widerlegen lässt:

„Ehe man so zuversichtlich ausspricht, dass das Leben ein wünschenswertes, oder dankenswertes Gut sei, vergleiche man ein Mal gelassen die Summe der nur irgend möglichen Freuden, welche ein Mensch in seinem Leben genießen kann, mit der Summe der nur irgend möglichen Leiden, die ihn in seinem Leben treffen können. Ich glaube, die Bilanz wird nicht schwer zu ziehen sein. Im Grunde aber ist es ganz überflüssig, zu streiten, ob des Guten oder des Übeln mehr auf der Welt sei: denn schon das bloße Dasein des Übels entscheidet die Sache; da dasselbe nie durch das daneben oder danach vorhandene Gute getilgt, mithin auch nicht ausgeglichen werden kann. … Denn, dass Tausende in Glück und Wonne gelebt hätten, höbe ja nie die Angst und Todesmarter eines Einzigen auf.“1

Um das ganze Ausmaß des Leides eines Menschen oder eines Tieres zu ermessen, dürfte ein kühles philosophisches Abwägen von Leid und Freude kaum ausreichen. Vielmehr ist hierbei die Fähigkeit zum Mitleid mit Mensch und Tier unerlässlich. Dann wird wohl auch verständlich, warum Schopenhauer die Welt als zutiefst leidvoll ansah. Er wurde schon frühzeitig durch eigenes Erleben von dieser Erkenntnis so durchdrungen, dass diese dann zu einer Grundlage seiner Philosophie wurde.

Schopenhauers Philosophie beschränkt sich jedoch nicht auf eine Beschreibung von Freude und Leid. In ihrem Kern, nämlich der Lehre von der „Bejahung und Verneinung des Willens“, enthält sie eine durchaus positive und spirituell tief gegründete Aussage.2 Hiernach hat alles Leid ein Ende, und zwar dort, wo „statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Überganges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid … jener Friede“ ist, „der höher ist als alle Vernunft“.3 Der „Buddhaist“ Arthur Schopenhauer nannte es Nirwana.4

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
(1) Zitat aus: Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden,
Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 674.
(2) Hierzu sei hingewiesen auf die sehr bedeutsamen Ausführungen in:
Schopenhauer, a. a. O., Werke, Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I,
Viertes Buch, dort besonders wichtig § 71, S. 504-508!
(3) Ebd., S. 507.
(4) Vgl. Schopenhauer, a. a. O., Band IX: Parerga und Paralipomena II, S. 350 und
Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden,
hrsg. von Arthur Hübscher, Band 4, I: Die Manuskriptbücher der Jahre 1830-1852,
München 1985, S. 230. Mehr dazu:
> Der buddhistische Weg zum Nirwana (Erlösung) und Schopenhauer.

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