Glück und Gesundheit

In seinen Aphorismen schrieb Arthur Schopenhauer über eine Lebensweisheit, die vielleicht manche Menschen befremden mag, und zwar insbesondere dann, wenn sie noch voller Optimismus dem Leben entgegenschauen:

„Wir treten in die Welt, voll Ansprüche auf Glück und Genuß, und hegen die thörichte Hoffnung, solche
durchzusetzen. In der Regel jedoch kommt bald das Schicksal, packt uns unsanft an und belehrt uns, daß nichts unser ist, sondern Alles sein

Jedenfalls aber kommt, nach einiger Zeit, die Erfahrung und bringt die Einsicht, daß Glück und Genuß eine Fata Morgana sind, welche, nur aus der Ferne sichtbar, verschwindet, wenn man herangekommen ist; daß hingegen Leiden und Schmerz Realität haben …

Fruchtet nun die Lehre; so hören wir auf, nach Glück und Genuß zu jagen, und sind vielmehr darauf bedacht, dem Schmerz und Leiden möglichst den Zugang zu versperren. Wir erkennen alsdann, daß das Beste, was die Welt zu bieten hat, eine schmerzlose, ruhige, erträgliche Existenz ist, und beschränken unsere Ansprüche auf diese, um sie desto sicherer durchzusetzen. Denn, um nicht sehr unglücklich
zu werden, ist das sicherste Mittel, daß man nicht verlange, sehr glücklich zu sein …

Demnach ist es gerathen, seine Ansprüche auf Genuß, Besitz, Rang, Ehre u. s. f. auf ein ganz Mäßiges herabzusetzen; weil gerade das Streben und Ringen nach Glück, Glanz und Genuß es ist, was die
großen Unglücksfälle herbeizieht. Aber schon darum ist Jenes weise und rathsam, weil sehr unglücklich zu sein gar leicht ist; sehr glücklich hingegen nicht etwan schwer, sondern ganz unmöglich.“ 1

Sich zu bescheiden und sein Streben nach Glück „auf ein ganz Mäßiges herabzusetzen“, ist nicht leicht, denn eher das Gegenteil, das unersättliche Habenwollen, scheint dem Menschen angeboren zu sein. Doch das Schicksal ist mitunter ein sehr strenger, ja schmerzhafter Lehrmeister, der auch den größten Optimisten zwingen kann, Schopenhauers Rat nicht leichtfertig als bloßen Pessimismus abzutun.

Doch selbst wenn Arthur Schopenhauer das Große Glück für „ganz unmöglich“ hielt, bleibt immerhin noch Raum für ein bescheidenes Glück. Vielleicht ist es erst die Erfahrung von Leid und Unglück, die manche Menschen dazu bringt, solches bescheidene, nicht selbstverständliche Glück zu schätzen.

„Der drei größten Güter des Lebens, Gesundheit, Jugend und Freiheit“, so meinte Schopenhauer, werden wir uns nicht bewusst, „so lange wir sie besitzen; sondern erst nachdem wir sie verloren haben“. 2 Das gilt vor allem für die Gesundheit, denn wie Arthur Schopenhauer in seinen Aphorismen hervorhob:

„Besonders überwiegt die Gesundheit alle äußern Güter so sehr, daß wahrlich ein gesunder Bettler glücklicher ist, als ein kranker König.“ 3

Gute Gesundheit ist demnach weit mehr als nur bescheidenes Glück, und wer sich noch im höheren Alter einer solchen Gesundheit erfreuen kann, der hat das Glückslos in der Lotterie des Lebens gezogen. Übrigens, der Verfasser dieses Beitrags ist im 84. Lebensjahr.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VIII: Parerga und Paralipomena I / Aphorismen zur Lebensweisheit, Zürich 1977, S. 445 f.
(2) Schopenhauer , a. a. O., Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 653.
(3) Schopenhauer , Aphorismen, a. a. O., S. 348.

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