Schopenhauer und der Edle Achtfache Pfad des Buddha

Arthur Schopenhauer verehrte den Buddha als den Siegreich-Vollendeten, nannte sich Buddhist und den Buddhismus unsere allerheiligste Religion. 1 Daher liegt es nahe, im Zusammenhang mit Schopenhauers Lebensphilosophie auf den Edlen Achtfachen Pfad hinzuweisen, denn dieser steht im Mittelpunkt des buddhistischen Lebensweges.

Der Edle Achtfache Pfad ist die letzte der Vier Edlen Wahrheiten, die der Buddha bereits in seiner ersten öffentlichen Predigt in Benares verkündet hatte. Bei diesen Wahrheiten geht es um das Leid, seine Ursachen und den Weg zu seiner Überwindung – einen Weg, den der Buddha nach den alten überlieferten Schriften nicht nur verkündete, sondern auch vorlebte. Er wird auch mittlerer Weg genannt, weil er die beiden Extreme, nämlich Selbstpeinigung und Ausleben sinnlicher Genüsse, vermeidet.

Der Edle Achtfache Pfad besteht aus acht Stufen: 1. rechte Anschauung, 2. rechte Gesinnung, 3. rechtes Reden, 4. rechtes Handeln, 5. rechtes Leben, 6. rechtes Streben, 7. rechtes Überdenken, 8. rechtes Sich-Versenken. 2 Dieser Weg wird im Pfad zur Weisheit (Dhammapada), der ältesten Spruchsammlung buddhistischer Weisheiten, mit den Worten zusammengefasst:

Vermeide jede böse Tat,
Vermehre guter Werke Saat,
Beständig läutere den Geist,

Das ist der Weg, den Buddha weist. 3

Die ersten beiden Zeilen des obigen Verses betreffen die buddhistische Ethik. Nach Meinung des Indologen und Religionswisenschaftlers Helmuth von Glasenapp, würde sich diese „in völliger Harmonie“ mit der Schopenhauers befinden. 4

In diesem Zusammenhang wies von Glasenapp auf ein lateinisches Zitat hin, auf das sich Schopenhauer in seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral oftmals bezog und in deutscher Übersetzung lautet:

Verletze niemanden; vielmehr hilf allen, soviel du kannst. 5

Hierzu ein persönliches Wort zur Praxis dieser Ethik: Schopenhauer hat in seinen Schriften mehrmals sehr deutlich hervorgehoben, dass in seine Ethik und in die des Buddha – im Gegensatz zur Ethik der im Abendland vorherrschenden Religionen – auch die Tiere einbezogen sind. „Verletze niemanden“ bezieht sich somit auch auf das Verhältnis von Mensch und Tier. Bedeutet nicht dieser hohe ethische Anspruch, wenn er konsequent in das tägliche Leben umgesetzt wird, die Notwendigkeit, vegan zu leben, also alle tierische Produkte, soweit möglich, zu meiden?

So zitierte der buddhistische Autor Hellmuth Hecker in seinem Buch Die Ethik des Buddha einen Vierzeiler von Eugen Roth:

Es denkt der Mensch zufrieden froh:
Ich bin kein Schlächter, blutig roh;
doch da der Mensch kein Wurstverächter,
so trägt die Mitschuld er am Schlächter.
6

Die Lehre des Buddha geht davon aus, dass jede ethisch gute oder böse Tat, wozu auch das Schlachten von Tieren gehört, eine den Menschen prägende geistige Spur hinterlässt. Dementsprechend sind die heilsamen oder unheilsamen Auswirkungen auf dem buddhistischen Heilsweg, dem Edlen Achtfachen Pfad, und zwar sei es im gegenwärtigen oder in einem der künftigen Leben.

Somit kommt es entscheidend auf die Praxis an, denn was nützt ein solcher Pfad, wenn über ihn nur philosophiert, er aber nicht beschritten wird? Es ist wie bei der Weisheit, über die Arthur Schopenhauer schrieb: Die Weisheit, welche in einem Menschen nur theoretisch da ist, ohne praktisch zu werden, gleicht einer gefüllten Rose, welche durch Farbe und Geruch, Andere ergötzt, aber abfällt, ohne Frucht angesetzt zu haben. 7

Die „Frucht“ des Edlen Achtfachen Pfades ist die Erlösung von allem Leid oder – wie es Arthur Schopenhauer nannte – vom Jammer des Lebens. 8 Welch´ ein Optimismus!

H.B.

Weiteres > Leid und Erlösung
sowie zum > Buddhismus und zu > Schopenhauer .

Anmerkungen
1 S. hierzu Schopenhauers Briefe vom 2. Januar 1852 und 13. Mai 1856 an Julius Frauenstädt, in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 273 und 391; Gespräch mit Carl Georg Bähr am 1. Mai 1858, in: Arthur Schopenhauer , Gespräche, neue Ausgabe, hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 244.
2 Helmuth von Glasenapp, Die Weisheit des Buddha, Wiesbaden o. J., S. 126.
S. auch Einführung in die Vier Edlen Wahrheiten des Buddha mit dem Edlen Achtfachen Pfad > hier.
3 Vers 183, zit. aus: Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf / Köln, S. 92.
4 Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 100.
5 Ebd., S. 100 f.
6 Hellmuth Hecker, Die Ethik des Buddha, 2. Aufl., Hamburg 1976, S. 113.
7 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 704.
8 Der Jammer des Lebens war wohl eine der Gründe, warum Schopenhauer sich vom Christentum abwandte und sich dem Buddhismus als einer nicht-theistischen Religion zuwandte, denn so schrieb er 1832 in sein Manuskriptbuch: „In meinem 17ten Jahre [,] ohne alle gelehrte Schulbildung wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche laut und deutlich aus der Welt sprach, überwandt bald auch die mir eingeprägten […] Dogmen, und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels , der Geschöpfe ins Daseyn gerufen, um am Anblick sich zu weiden: darauf deuteten die Data, und der Glaube, daß es so sei, gewann die Oberhand.“ (Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 4 I, Cholerabuch, München 1985, S. 96.)

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