Zur Ethik Schopenhauers

Die Ethik ist wohl der wichtigste Teil der Philosophie Arthur Schopenhauers, denn „es ist die Ethik, auf die das ganze Werk letztlich hinzielt“.* Die zitierten Worte sind aus einem Vortrag, den der Schopenhauer-Forscher und Herausgeber von Schopenhauers Werken, Arthur Hübscher, 1972 anlässlich des Besuches des deutschen Bundespräsidenten im Schopenhauer-Archiv hielt. Der Vortrag, der – meiner Meinung nach – gut verständlich in Schopenhauers Philosophie, insbesondere in dessen Ethik, einführt, wurde dann unter der Überschrift „Schopenhauer ist dabei“ publiziert. Dieser Veröffentlichung habe ich das nachfolgende Zitat entnommen.

Zur Ethik verwies Hübscher besonders auf Schopenhauers Schrift Die beiden Grundprobleme der Ethik, „die nicht etwa eine neue Ethik sittlicher Vorschriften und Gebote entwickelt, sondern einfach die Grundlage der moralischen Handlungen nachweist: im Mitleid, dem ethischen Urphänomen, das die Wand zwischen Du und Ich niederreißt …

Schopenhauers Ethik hat eine vermittelnde, ausgleichende, verbindende und versöhnende Funktion, zwischen Menschen und zwischen Völkern. Er findet das Einigende, über das eigene Selbst Hinausweisende nicht in der sekundären Sphäre des menschlichen Wesens, im Intellekt, sondern in der primären, ursprünglichen Sphäre, dem Willen; nicht da also, wo von Geist, Wissen, Bildung die Rede ist, sondern da, wo es um die Eigenschaften des Charakters geht, um Liebe, Freundschaft, Redlichkeit, Sanftmut, Toleranz, Güte des Herzens, um Eigenschaften, die insgesamt auf die von Schopenhauer nachgewiesene alleinige moralische Triebfeder zurückgehen, auf das Mitleid.

Mitleid ist die unmittelbare Teilnahme am Leiden des anderen. In seinen reinsten und höchsten Formen weitet es sich zu einem tiefen universellen Mitleiden mit allem Lebenden, Mensch und Tier. Mitleid beruht nicht auf Dogmen, Geboten und Erziehung; es ist von keiner Anstrengung des Begriffs begleitet, es liegt in der menschlichen Natur selbst …

Er [Schopenhauer] schreibt dem Menschen keine Handlungsweisen vor, er gibt keine Anweisungen zur Tugend, zum rechten Handeln, wie es Kant und nach ihm die Ethiker aller Schulen zu seiner Zeit getan haben. Er lehrt nicht, wie man sich sittlich verhalten soll, er zeigt, wie sich die Menschen wirklich verhalten, er sucht ihre verschiedenen Verhaltensweisen zu erklären und auf ihren letzten Grund zurückzuführen.

Der moralische Charakter ist unveränderlich – Schopenhauer betont es immer wieder -, die Grundeigenschaften eines Menschen sind nicht umzuschaffen. Wohl aber ist die Betätigungsweise seiner Anlagen beeinflußbar, eine bessere Erkenntnis kann ihm neue, andere Motive liefern und ihn zu anderen Willenshandlungen führen. Was man zu tun vermag, ist also dieses: ´daß man den Kopf aufhellt, die Einsicht berichtigt, den Menschen zu einer richtigen Auffassung des objektiv Vorhandenen, der wahren Verhältnisse des Lebens bringt`.“ *

Den Kopf aufzuhellen, die Menschen zur Einsicht zu bringen, dass zum Beispiel Tiere auch leidende Wesen sind und dementsprechend in die Ethik einzubeziehen sind, ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. Arthur Schopenhauer hat sie, so meine ich, wie kaum ein anderer weltbekannter Philosoph, mit seiner allumfassenden Mitleidsethik erfüllt. Da Schopenhauers Werke nach wie vor viel gelesen werden, erfüllt er diese zutiefst ethische Aufgabe auch weiterhin!

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

* Zitatquelle: Arthur Hübscher, Schopenhauer ist dabei, Einführungsvortrag aus Anlaß des Besuchs des Bundespräsidenten Walter Scheel bei einer Ausstellung im Schopenhauer-Archiv in Frankfurt am Main am 1. Dezember 1976, veröffentlicht in: Über Arthur Schopenhauer , hrsg. von Gerd Haffmans. 2. Auflage, Zürich 1978, S. 171 ff.