Schopenhauer – der Querdenker

Querdenker ist laut DUDEN „jemand, der unkonventionell denkt“. Arthur Schopenhauer war ein solcher Querdenker, ja mehr noch: „Er war“, wie Ludwig Marcuse meinte, „der radikalste aller Unruhestifter … Er war ein Aufsässiger – im Vergleich zu ihm war Marx nur auf kleine Reformen aus. Nicht Marx, Schopenhauer ist in einem sehr ernsten Sinne subversiv… Der geheime Radikalismus Schopenhauers ist viel umstürzlerischer als der offene, der nur die Diktatur eines andern Verteilungssystem will.“(1)

Gemäßigter äußerte sich über Schopenhauer der verdienstvolle Herausgeber von Schopenhauers Werken, Arthur Hübscher. Er bezeichnete Schopenhauer sehr zutreffend als Denker gegen den Strom. So lautet auch der Titel, unter dem Hübscher ein Buch herausgab, in welchem er die Wirkungsgeschichte von Schopenhauers Philosophie umfassend untersuchte. Zunächst beschrieb Hübscher, worum es ihm bei dieser Darstellung ging:

„Jedes Kunstwerk, jeder philosphische Gedanke stellt sich als ein Akt der Befreiung dar. Befreiung von Formen und Denkweisen der Vergangenheit und von den Einflüssen und Hemmnissen der Gegenwart. Im Widerstreit mit ihnen erhebt sich das Werk ins Überzeitliche … In dieser Weise verstehe ich die Aufgabe, das Werken und das Wirken Schopenhauers aus dem geistigen Umfeld seines Jahrhunderts herauszuheben.“(2)

Vielleicht noch deutlicher als in Schopenhauers Jahrhundert hebt sich Schopenhauers Werk vom Zeitgeist dieses Jahrhunderts ab, denn wie Hübscher schrieb: „Die Jetztzeit unserer Tage bevorzugt Zusammenhänge gesellschaftlicher Entwicklungen, ohne zu begreifen, daß Schopenhauer selbst diese Entwicklungen unberührt gelassen haben: Er spricht nicht die Gesellschaft an, den großen Haufen, er fügt sich schlecht in den Begriffsapparat heutiger Soziologen. Er hat den Einzelnen vor sich. Er gibt eine Kritik des Herzens, nicht eine Kritik der Masse.“(3)

Übrigens, genau wie im vorstehenden Zitat geht es auch hier in diesem Blog zu Schopenhauers Lebensphilosopie nicht um irgendeine „Masse“, sondern um den einzelnen Menschen. Das ist ganz im Sinne Schopenhauers, denn dieser, so meinte Hübscher, „bescheidet sich nicht bei einem gedanklichen Erfassen und der begrifflichen Zergliederung von Welt- und Lebenszusammenhängen, seine Philosophie hat das Ziel, unmittelbar auf unser Leben einzuwirken, sie ist, wie es die großen Denker der Antike wollten, als Wegweiser zur Lebensgestaltung und Lebensmeisterung gemeint. Schopenhauer lehrt uns die Welt kennen und durchschauen. … Er sagt den Menschen Wahrheiten, die sie nicht hören wollen, er entlarvt ihre Vorurteile, er entwertet altgeheiligte Irrtümer und zerstört die liebsten Wunschträume. ´Wo ist eine Eitelkeit, die ich nicht gekränkt hätte?`, schreibt er an [einen seiner wichtigsten Anhänger,] Frauenstädt. Man kann nicht der Welt und der Wahrheit zugleich dienen.„(4)

Es ist deshalb durchaus verständlich, dass ein Querdenker wie Arthur Schopenhauer – damals wie heute – auf viele Gegner stösst. Andererseits gibt es nicht wenige Menschen, denen Schopenhauer aus dem Herzen spricht. Damit meine ich weniger die, welche durch akademische Vorträge und Abhandlungen über Schopenhauer wissenschaftlich hervortreten wollen, sondern vielmehr jene, die in Zurückgezogenheit und Stille bei „ihrem“ Schopenhauer Trost und Lebensorientierung finden, denn „hier ist einer, der uns anspricht wie ein Freund in vertieften Abendstunden; kein Lehrer, der vom Katheder herab harte Systempanzer uns über die Köpfe stülpt“.(5)

Anmerkungen:
(1) Ludwig Marcuse , Das Gespräch ohne Schopenhauer , zit. aus: Über Arthur Schopenhauer. Hrsg. v. Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1981, S. S. 136 f.
(2) Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom: Schopenhauer : gestern – heute – morgen, 4. Aufl., Bonn 1988, S. 5.
(3) Ebd.
(4) Arthur Hübscher, a. a. O., S. 284 f.
(5) Jean Améry, Für Schopenhauer als Erzieher, Entdeckungen beim Wiederlesen des großen Philosophen, zit. aus: Gerd Haffmans, a. a. O., S. 165.
 H.B.                                                  

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