Bessere Welt ?

Zu den besonders interessierten Lesern Arthur Schopenhauers gehörte auch einer der Großen der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, nämlich Theodor Fontane. Dieser schrieb gegen Ende seines Lebens das folgende, mich sehr nachdenklich stimmende Gedicht:

Leben; wohl dem, der es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, daß es endet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.
1

Wenn ich diese Zeilen Fontanes lese, fällt mir ein Vers des während des Dreißigjährigen Krieges lebenden Dichters und Aphoristikers Friedrich von Logau ein:

Weißt du, was in dieser Welt
Mir am meisten wohlgefällt?
Daß die Zeit sich selbst verzehret
Und die Welt nicht ewig währet.
2

Ich weiß nicht, ob Schopenhauer diesen Vers kannte. Dennoch glaube ich, dass er ganz in seinem Sinne war, denn Schopenhauer hielt die Welt für einen „Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehn, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist“. 3

Schopenhauers obige Beschreibung scheint mir nicht unrealistisch, aber vielleicht etwas einseitig zu sein, weil es inmitten dieser Welt des „Fressens und Gefressenwerdens“ auch etwas höchst Positives gibt, das in Schopenhauers Philosophie, insbesondere seiner Ethik, von größtem Wert ist: das Mitleid.

Mitleid sei, so hob Schopenhauer hervor, „ein alltägliches Phänomen und … ganz allein die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller echten Menschenliebe. Nur sofern eine Handlung aus ihm entsprungen ist, hat sie moralischen Wert.“ 4

Gerade in dieser Hinsicht stand Theodor Fontane der Ethik Arthur Schopenhauers sehr nahe. So schrieb er in einem Brief an seine Tochter:

Schopenhauer hat ganz recht: Das Beste, was wir haben, ist Mitleid. 5

Mitleid mit Mensch und Tier ist eine höchst edle Eigenschaft, die sich während der Evolution herausgebildet hat. Sie führte dazu, dass Mitleid zu einem – laut Schopenhauer – „alltäglichen Phänomen“ wurde. Wenn diese Entwicklung möglich war, besteht dann nicht auch Grund zur Hoffnung auf eine bessere Welt – oder bin ich da zu optimistisch? 6

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
1 Theodor Fontanes Gedicht Leben, zit. aus: Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom, Schopenhauer: gestern – heute – morgen, 4. Aufl., Bonn 1988, S. 299. Weiteres > Fontane : Schopenhauer .
2 Friedrich von Logau, Das Beste der Welt, zit. aus: Deutsche Epigramme aus fünf Jahrhunderten, hrsg. von Klemens Altmann, o. Ort und J. und O. S. 23.
3 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 680.
4 Schopenhauer, Werke, a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik, Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 248.
5 Fontanes Brief an seine Tochter Mete vom 24.08.1893, zit. aus: Hübscher, Denker, a. a. O., S. 297.
6 Das bedeutet nicht, dass sich an dem Prinzip des „Fressens und Gefressenwerdens“, das von Anfang an diese Welt beherrscht, durch die Evolution grundsätzlich noch etwas ändern wird. Auch Schopenhauer glaubte nicht, dass sich unsere Welt von einem „Tummelplatz gequälter Wesen“ gleichsam zu einem Paradies auf Erden wandeln kann. Statt derartigem Wunschdenken zu folgen, endet die Philosophie des „Buddhaisten“ Arthur Schopenhauer mit dem Hinweis auf „das Pradschna-Paramita der Buddhaisten, das Jenseits aller Erkenntnis“, womit letztlich das Nirwana, das Ziel der buddhistischen Erlösungslehre, gemeint ist (s. dazu Schopenhauer, Werke, a. a. O., Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Anm. S. 508). Weiteres > Schopenhauer und Buddhismus .