Mensch und Umwelt in Schopenhauers Philosophie

Arthur Schopenhauer hat wie kaum ein anderer weltberühmter Philosoph in seiner Philosophie die Einheit allen Lebens hervorgehoben und metaphysisch tief begründet. Alles Lebendige, ja alles, was wir wahrnehmen, sind Erscheinungsformen von etwas Metaphysischem: Die Theisten nennen es Gott, in den von Schopenhauer hoch geschätzten altindischen Upanishaden heißt es Brahman, Schopenhauer nannte es Wille.

Im Hinduismus wird die Einheit allen Lebens in drei Sanskritworten zusammengefasst: Tat Twam Asi, das heißt wörtlich übersetzt, Das bist Du! Obwohl sich alle Lebewesen mehr oder weniger äußerlich unterscheiden, sind sie in ihrem innersten Wesen gleich und werden – soweit der Hinduismus theistisch ist, als göttlich aufgefasst. Schopenhauer hat sich in seinen Werken mehrmals auf diese Sanskritworte bezogen und sie als eine Kernaussage seiner Philosophie hervorgehoben. Wir alle, ob Mensch, Tier oder Pflanze, sind  Manifestationen eines metaphysischen Willens und somit – auch wenn uns das nicht immer bewusst ist  – wesensgleich.

Aus der Erkenntnis der Wesensgleichheit von Mensch und übriger Natur ergibt sich ein anderes Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Es ist kein göttlich legitimiertes Herrschaftsverhältnis, das die Menschen von vornherein berechtigt, die Natur zu beherrschen und sich untertan zu machen.

Schädigt der Mensch die Natur, in der er lebt und deren Teil er ist, so schädigt er sich letztlich selbst – eine Erkenntnis, die mehr und mehr Menschen bewusst wird.  Mensch und Umwelt sind eine Einheit. Arthur Schopenhauer hat hierfür im Rahmen seiner Willensmetaphysik eine spirituell sehr tiefe und – wie ich meine – auch überzeugende Begründung gegeben.

Ein den Menschen – nicht nur metaphysisch – besonders verbundener Teil der Natur sind die Tiere. Schopenhauer hob das vor allem in seiner Ethik hervor. So bezog er in seine Mitleidsethik die Tiere ausdrücklich mit ein. Durch das Mitleid werden die sonst im Alltag empfundenen Grenzen zwischen den Menschen, aber auch, wenngleich seltener, zwischen Mensch und Tier mehr und mehr aufgehoben.  Am Ende werden diese Grenzen nicht mehr bewusst wahrgenommen, so dass durch das Mitleid die von Schopenhauer metaphysisch begründete Einheit allen Lebens auch im Alltag in Erscheinung tritt. So steht Schopenhauers Mitleidsethik ganz im Einklang mit einem allumfassenden Schutz der Natur, was zugleich eine möglichst weitgehende Schonung der Umwelt bedeutet. In diesem Sinne  enthält Schopenhauers Philosophie, auch wenn er diesen Namen nicht verwendet hat, eine metaphysisch begründete Umweltethik.

Selbst wenn nicht alle Umweltschäden durch menschliches Handeln verursacht werden, so sind doch viele Umweltkatastrophen zumindest mittelbar Folgen einer skrupellosen Ausbeutung der Natur, die in unserer Zeit durch eine lediglich an Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaft immer noch gesteigert wird. Somit ist die von Schopenhauer angeprangerte unersättliche Gier des Menschen einer der wesentlichen Ursachen für die Zerstörung des Lebensraumes von Mensch, Tier und Pflanze.

Riesige Weltbrände, wie etwa kürzlich in Australien mit weit mehr als einer Milliarde verbrannter Tiere, sind traurige Beipiele dafür, wie sehr unsere Zeit, und zwar mit zunehmender Tendenz, bestimmt wird durch gewaltige Umweltkatastrophen. Gerade im Hinblick auf die immer katastrophaler werdende Umweltzerstörung ist Schopenhauers Philosophie von größter Aktualität.

Was einen Menschen zum Philosophen  macht, schrieb der 26-jährige Schopenhauer in eines seiner Manuskripte, sei „der Mut, keine Frage auf dem Herzen zu behalten“. (1) Dementsprechend nahm er schon vor bald 200  Jahren zu einer Frage Stellung, die, wie es scheint, heute  fast als Tabu gilt, nämlich Frage nach den Folgen der geradezu explosionsartigen Zunahme der Weltbevölkerung. Die „Übervölkerung des ganzen Planeten“ sei ein Resultat, „dessen entsetzliche Übel sich jetzt nur eine kühne Einbildungskraft zu vergegenwärtigen vermag“. (2) Die Folgen der immer weiter steigenden Übervölkerung des Erdballs für die Umwelt sind überaus beängstigend und lassen kaum Hoffnung auf nachhaltige Fortschritte im Umweltschutz.

Die weltweite Zerstörung der Umwelt, wie zum Beispiel die hemmungslose Vernichtung der für die ganze Menschheit  lebenswichtigen Urwälder am Amazonas,  zeigt leider sehr deutlich, wie Recht der Philosoph Max Horkheimer in seiner Rede zum 100. Todestag Arthur Schopenhauers hatte, wenn er meinte: „Das Denken Schopenhauer ist unendlich aktuell.“(3)

Gegen Schluss seiner Ansprache meinte Horkheimer, dass Schopenhauers Philosophie zwar angesichts der Realitäten illusionslos sei, aber dennoch nicht in Hoffnungslosigkeit endet: „Es gibt wenige Gedanken, deren die Zeit mehr bedürfte und die bei aller Hoffnungslosigkeit, wie er sie ausspricht, mehr von Hoffnung wissen als die seinen.“ (4) Worauf diese Hoffnung des vermeintlichen „Pessimisten“ Arthur Schopenhauer gegründet ist, habe ich  in meinem Beitrag Leid und Erlösung etwas näher erläutert.

H.B.

S. auch > Tierethik und Schopenhauers Philosophie

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier .

Anmerkungen

(1) Arthur Schopenhauer : Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. v. Arthur Hübscher, München 1985, Band 1, Frühe Manuskripte (1804-1818), S. 126,

(2) Arthur Schopenhauer : Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band II, Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 436.

(3)  Max Horkheimer : Die Aktualität Schopenhauers , Vortrag, gehalten zum 100. Todestag Schopenhauers am 21. September 1960 in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., zit. aus: Über Arthur Schopenhauer , hrsg. v. Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1981, S. 159.

(4) Ebd.,  S. 164.