Die Macht des Schicksals

Das Schicksal, so erklärte Arthur Schopenhauer, sei eine Macht, die allgewaltig ist: „Die Alten“, womit er die antiken Philosophen meinte, „werden es nicht müde, in Versen und in Prosa, die Allgewalt des Schicksals hervorzuheben, wobei sie auf die Ohnmacht des Menschen, ihm gegenüber, hinweisen“1.

Gerade weil die Macht des Schicksals so allgewaltig ist, wäre der Kampf des Menschen mit dem Schicksal „die lächerlichste aller Vermessenheiten, … so daß [der von Schopenhauer sehr geschätzte englische Dichter] Byron vollkommen Recht hat zu sagen: Zudem wäre, gegen unser Schicksal anzukämpfen, ein Kampf, wie wenn die Garbe sich der Sichel widersetzen wollte“.2

Zur Bekräftigung seines Standpunktes wies Schopenhauer auf eine Erfahrung hin, die wohl jeder früher oder später in seinem Leben machen muss: „Wenn wir auf unsern zurückgelegten Lebensweg zurücksehn und zumal unsere unglücklichen Schritte, nebst ihren Folgen ins Auge fassen; so begreifen wir oft nicht, wie wir Dieses tun, oder Jenes unterlassen können; so daß es aussieht, als hätte eine fremde Macht unsre Schritte gelenkt.“3

Diese „fremde Macht“ hat in den Philosophien und Religionen unterschiedliche Namen. Schopenhauer nannte sie Schicksal und zitierte in diesem Zusammenhang aus Goethes Egmont, wo es heißt: „Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen.4

Die obigen Zitate sind zumeist aus dem Kapitel Ueber die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen in Schopenhauers Spätwerk Parerga und Paralipomena I. Um nicht zu einem durch Fatalismus und Hoffnungslosigkeit gekennzeichneten Gesamteindruck zu kommen, ist es wichtig, hierbei auch auf Schopenhauers berühmte Aphorismen zur Lebensweisheit hinzuweisen. Dort, und zwar im Abschnitt Unser Verhalten gegen den Weltlauf und das Schicksal betreffend, heißt es :

„Unser Lebensweg ist dem Lauf eines Schiffes zu vergleichen. Das Schicksal … spielt die Rolle des Windes, indem sie uns schnell weit fördert, oder weit zurückwirft; wogegen unser eigenes Mühen und Treiben nur wenig vermag. Dieses nämlich spielt dabei die Rolle der Ruder: wenn solche durch viele Stunden langes Arbeiten, uns eine Strecke vorwärts gebracht haben, wirft ein plötzlicher Windstoß uns eben so weit zurück. Ist er hingegen günstig, so fördert er uns dermaßen, daß wir der Ruder nicht bedürfen.“5)

Im gleichen Abschnitt, aus dem das obige Zitat stammt, hatte Schopenhauer durch weitere sehr anschauliche Gleichnisse verdeutlicht, dass unser Verhalten gegenüber dem Schicksal nicht durch völlige Passivität bestimmt sein muss, denn: „Das Schicksal mischt die Karten und wir spielen.“6 Am „geeignetsten“ hielt Schopenhauer jedoch das folgende Gleichnis:

„Es ist im Leben wie im Schachspiel: Wir entwerfen einen Plan. Dieser bleibt jedoch bedingt durch Das, was im Schachspiel dem Gegner, im Leben dem Schicksal, zu tun belieben wird. Die Modifikationen, welche hierdurch unser Plan erleidet, sind meistens so groß, daß er in der Ausführung kaum noch an einigen Grundzügen zu erkennen ist.“7

Selbst wenn, wie Schopenhauer im obigen Gleichnis erklärte, der Plan eines Menschen oft vom Schicksal sehr erheblich abgewandelt wird, zeigt das Gleichnis auch, dass das Schicksal diesen Plan nicht unbedingt in allen Fällen gänzlich durchkreuzt und deshalb auch nicht jedes Planen von vornherein sinnlos ist. Gerade dieses Gleichnis, das Schopenhauer für besonders geeignet hielt, spricht – zumindest nach meinem Verständnis – nicht für eine völlig fatalistische Lebenseinstellung. Trotz der Macht des Schicksals, bleibt Raum für eine aktive Lebensgestaltung.

Fast am Ende seiner Aphorismen schrieb Schopenhauer Worte, die besonders gern und oft zitiert werden: „Was aber die Leute gemeiniglich das Schicksal nennen, sind meistens nur ihre eignen dummen Streiche.“8 Indem wir solche „dummen Streiche“ möglichst vermeiden und uns zum Beispiel etwas mehr an die von Schopenhauer in seinen Aphorismen empfohlenen Lebensweisheiten halten, kann sich uns eine Chance bieten, die Macht des Schicksals in unserem Sinne zu beeinflussen:

Schopenhauer zeigte das sehr anschaulich in einem der oben erwähnten Gleichnisse, wo er den Lebensweg des Menschen mit dem Lauf eines Schiffes und die Macht des Schicksals mit der des Windes verglich. Dieses verdeutlicht auch, wie wichtig, ja lebensnotwendig es ist, das Schiff nicht durch den Wind einfach treiben zu lassen. Vielmehr kommt es darauf an, tätig zu werden, das heißt, das Schiff an den gefahrvollen Klippen vorbei zu steuern, um es an ihnen nicht zerschellen zu lassen.

So gilt es überall im Leben, nicht resignierend die Hände in den Schoß zu legen, sondern den „günstigen Wind“, die Gunst des Schicksals, zu nutzen. Jedenfalls gehört das für mich zur Lebensklugheit und damit auch zur Lebensphilosophie Arthur Schopenhauers.

H.B.

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Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürcher Ausgabe, Zürich 1977, Band VII: Parerga und Paralipomena I, S. 229.
(2) Schopenhauer, a. a. O., Band X: Parerga … II, S. 480 f.
(3) Schopenhauer, a. a. O., Band VII, S. 228.
(4) Ebd., S. 229.
(5) Schopenhauer, a. a. O., Band VIII: Aphorismen zur Lebensweisheit, S. 509.
(6) Ebd., S. 510.
(7) Ebd., S. 510.
(8) Ebd., S. 516.