Buddhismus und Toleranz

Arthur Schopenhauer lernte den Buddhismus erst in späteren Lebensjahren näher kennen. Hierbei hatte für ihn das 1850 erschienene „höchst lesenswerthe Buch“ Eastern monachism große Bedeutung, sodass er es auch in seinen Schriften besonders weiterempfahl. 1 Der Verfasser, Robert Spence Hardy, war englischer Pfarrer, der längere Zeit als methodistischer Missionar in Ceylon (Sri Lanka) lebte, wo er den dort vorherrschenden alten (Theravada-) Buddhismus studierte und dabei viele buddhistische Manuskripte sammelte. 2

In seinem oben genannten, wie Schopenhauer meinte, „vortrefflichen Buch“ lobte Hardy „die außerordentliche Toleranz der Buddhaisten und fügt die Versicherung hinzu, daß die Annalen des Buddhaismus wenigere Beispiele von Religionsverfolgung liefern, als irgend einer andern Religion“. 3

Diese für einen christlichen Missionar sehr bemerkenswerte Feststellung erläuterte Schopenhauer durch den Hinweis: „In der That ist Intoleranz nur dem Monotheismus wesentlich: ein alleiniger Gott ist, seiner Natur nach, ein eifersüchtiger Gott, der keinem andern [Gott] das Leben gönnt. Hingegen sind polytheistische Götter, ihrer Natur nach, tolerant: sie leben und lassen leben … Daher sind es die monotheistischen Religionen allein, welche uns das Schauspiel der Religionskriege, Religionsverfolgungen und Ketzergerichte liefern … “ 4

Die Lehre des Buddha ist weder monotheistisch noch polytheistisch, sondern – wie Schopenhauers Philosophie – in ihrem Kern atheistisch. Soweit dort überhaupt von „Göttern“ die Rede ist, sind diese nicht mit denen der monotheistischen Religionen vergleichbar. Der Buddha hatte die überlieferte Götterlehre zwar anerkannt, aber „hinsichtlich ihrer religiösen Bedeutung stark herabgesetzt“. 5 Dementsprechend neigt der Buddhismus, wie die Religionsgeschichte deutlich beweist, weit mehr zur Toleranz als die großen monotheistischen Religionen.

Wie weit Toleranz im Buddhismus gehen kann, zeigt eine Begebenheit, über die in einer von der Altbuddhistischen Gemeinde herausgegebenen Schrift berichtet wird. Dort heißt es: „Die heiligen Texte des [alten Buddhismus] berichten von vielen Beispielen edler Toleranz. So wird unter anderem der reiche Hausvater Upali nach seinem Bekenntnis zum Buddha von diesem ermahnt, auch fürderhin den Jainamönchen, deren Lehre er früher anhing, zu spenden.“ 6 Im Hinblick darauf, dass der Jainismus eine dem Buddhismus zwar nah verwandte, aber vielleicht auch gerade deshalb konkurrierende Religion ist, dürfte diese „edle Toleranz“ besonders beachtenswert und im Verhältnis der Religionen wohl nur selten anzutreffen sein. 7

Toleranz, so erklärt das Philosophische Wörterbuch, ist ein Zeichen „für eine weltoffene Haltung, die den Vergleich mit anderen Meinungen nicht scheut und dem geistigen Wettbewerb nicht aus dem Wege geht“. 8 Hierfür ist der Buddha das beste Beispiel, denn er wurde zum Symbol „weltüberlegener Ruhe“ und zum „größten Vertreter indischer Weisheit“. 9

H.B.

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Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 5, München 1985, S. 328 f.
2 Robert Spence Hardy (Kurzbiografie).
3 Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 15. Ueber Religion, § 174. Der Dialog, Zürich 1977, S. 395 f.
4 Ebd., S. 396.
5 Hierzu ausführlicher in: Helmuth von Glasenapp, Die Weisheit des Buddha, Wiesbaden o. J., S. 24 f.
6 M. Keller-Grimm und Max Hoppe (Br. Dhammapalo), Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort, 3. verb. Aufl., Hrsg.: Altbuddhistische Gemeinde, Utting/Ammersee 1986, S. 153.
7 S. dazu > Jainismus – Religion ohne Gewalt (Blogbeitrag).
8 Philosophisches Wörterbuch, begr. von Heinrich Schmidt, 21. Aufl., neu bearb. von Georgi Schischkoff, Stuttgart 1978, S. 700 (Stichwort: Toleranz).
9 Vgl. Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 185.

Religionen und Toleranz

Ob und inwieweit Religionen tolerant sind, ist ein altes und dennoch aktuelles Thema. Es ist verständlich, dass in Religionen die Toleranz besonders dann ausgeprägt ist, wenn sie als Minderheit auf die Toleranz der andersgläubigen Mehrheit angewiesen sind. Das wäre jedoch dann nur Taktik und keine Tugend. Sind Religionen aber wirklich, also von ihrer Glaubensüberzeugung her, tolerant? Arthur Schopenhauer hatte da seine Zweifel und wies hierzu auf einen grundsätzlichen  Unterschied hin:

„In der Tat ist Intoleranz nur dem Monotheismus wesentlich: ein alleiniger Gott ist, seiner Natur nach, ein eifersüchtiger Gott, der keinem andern das Leben gönnt. Hingegen sind die polytheistischen Götter, ihrer Natur nach, tolerant: sie leben und lassen leben: zunächst dulden sie gern ihre Kollegen, die Götter derselben Religion, und nachher erstreckt diese Toleranz sich auch auf fremde Götter, die demnach gastfrei aufgenommen werden und später bisweilen sogar das Bürgerrecht erlangen; wie uns zunächst das Beispiel der Römer zeigt, welche phrygische, ägyptische und andere fremde Götter willig aufnahmen und ehrten. Daher sind es die monotheistischen Religionen allein, welche uns das Schauspiel der Religionskriege, Religionsverfolgungen und Ketzergerichte liefern, wie auch das der Bilderstürmerei und der Vertilgung fremder Götterbilder, Umstürzung indischer Tempel und ägyptischer Kolosse, die drei Jahrtausende hindurch in die Sonne gesehen hatten; weil nämlich ihr eifriger Gott gesagt hatte: ´ Du sollst dir kein Bildnis machen ` …“

Noch deutlicher wurde Schopenhauer, indem er auf „Giordano Brunos  und Vavinis Scheiterhaufen“ hinwies: „… auch diese nämlich waren jenem Gott geopfert worden, für dessen Ehre, ohne allen Vergleich, mehr Menschenopfer geblutet haben, als auf den Altären aller heidnischen Götter beider Hemisphären zusammengenommen“.

Schopenhauers Krititik wiegt auch deshalb schwer, weil er kein fanatischer Gegner des Christentums war, sondern dessen unentbehrliche Bedeutung im Leben vieler Menschen durchaus anerkannte. Inwieweit Arthur Schopenhauer mit seinem Urteil über die Toleranz der Religionen recht hatte, davon mag sich jeder selbst überzeugen, sofern er diese Religionen nicht nur nach ihren wohlklingenden Worten, sondern auch nach ihrer Praxis in Vergangenheit und Gegenwart wertet.

Wie dem auch sei, eine pluralistische Gesellschaft, in der Religionen, wenn überhaupt, nur sehr begrenzte Macht haben und bloß Privatangelegenheit sind, scheint mit die beste Gewähr für Toleranz zu sein, denn  – so eine Lebenserfahrung – Schwäche zwingt zur Toleranz.
hb

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