Eine Philosophie, meinte Arthur Schopenhauer, „die keine Frage mehr übrig ließe“, wäre eine „Allwissenheitslehre“. Diese aber sei unmöglich, denn „es gibt eine Grenze, bis zu welcher das Nachdenken vordringen und … die Nacht unseres Daseins erhellen kann, wenngleich der Horizont stets dunkel bleibt …“. 1 Ein seriöser Philosoph vermeidet es daher, die Grenzen seines Wissens zu überschreiten und ein angebliches Wissen vorzutäuschen, das in Wahrheit nur Glaube ist.
Dementsprechend wies Schopenhauer darauf hin, dass seine Philosophie nicht in dem Sinne zu verstehen sei, „daß sie kein Problem zu lösen übrig, keine mögliche Frage unbeantwortet ließe. Dergleichen zu behaupten, wäre eine vermessene Ableugnung der Schranken menschlicher Erkenntnis überhaupt. Welche Fackel wir auch anzünden und welchen Raum sie auch erleuchten mag; stets wird unser Horizont von tiefer Nacht umgrenzt bleiben … Daher muß die wirkliche, positive Lösung des Rätsels der Welt etwas sein, daß der menschliche Intellekt zu fassen und zu denken völlig unfähig ist; so daß wenn ein Wesen höherer Art käme und sich alle Mühe gäbe, es uns beizubringen, wir von seinen Eröffnungen durchaus nichts würden verstehen können. Diejenigen sonach, welche vorgeben, die letzten, d. i. die ersten, Gründe der Dinge … zu erkennen, treiben Possen, sind Windbeutel, wo nicht gar Scharlatane.“ 2
Einerseits hat das menschliche Wissen mehr oder weniger enge Grenzen, doch andererseits möchten die Menschen diese Grenzen überschreiten und wollen wissen, „was die Welt zusammenhält“, was jenseits allen Physischen sein könnte. Sie haben, wie Schopenhauer es nannte, „ein metaphysisches Bedürfnis“. Hierbei verstand er unter Metaphysik „jede angebliche Erkenntnis … über das, was hinter der Natur steckt und sie möglich macht“. 3
Im Hinblick auf dieses Bedürfnis gab Schopenhauer den Rat: Wer zu der „Erkenntnis, bis zu welcher allein die Philosophie ihn leiten kann, … Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat“ 4, der lateinischen Fassung der Upanishaden. Diese philosophischen Schriften aus dem alten Indien geben Antworten auf metaphysische Fragen, wie z. B.: Woher komme ich und wohin gehe ich? Es sind spirituelle Texte mit Erkenntnissen, zu denen altindische Weise (Rishis), einsam meditierend, wohl durch Intuition gekommen waren. Deren Wissen ging deshalb weit über das „normaler“ Alltagsmenschen hinaus, denn es seien, meinte Schopenhauer, „fast übermenschliche Konzeptionen, welche später in den Upanishaden der Veden niedergelegt wurden“. 5
Für viele „normale“ Menschen aber wird das „metaphysische Bedürfnis“ vor allem durch die jeweils vorherrschenden Landesreligionen mehr oder weniger erfolgreich erfüllt. Hierbei warnte Schopenhauer vor aufgezwungenen religiösen und anderen weltanschaulichen Dogmen: „Nichts kann jedoch der Auffassung auch nur des Problems der Metaphysik so fest entgegenstehen, wie eine ihm vorhergängige, aufgedrungene und dem Geist früh eingeimpfte Lösung desselben: denn der notwendige Ausgangspunkt von allem echten Philosophieren ist die tiefe Empfindung des Sokratischen: Dies eine weiß ich, daß ich nichts weiß.“ 6
Obige Worte werden oft zitiert, doch vielleicht noch etwas treffender scheint mir das folgende Zitat zu sein:
Wenige wissen, wie viel man wissen muß,
um zu wissen, wie wenig man weiß. 7
Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie sowie den Upanishaden > hier .
Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 693.
2 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt … II, S. 216 f.
3 Ebd., S. 191.
4 Schopenhauer, a. a. O., Band IV: Die Welt … II, S. 716.
5 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt … II, S. 189.
6 Ebd., S. 218.
7 Zitat aus: Kurt Schmidt, Leer ist die Welt – Buddhistische Studien, Konstanz 1953, S. 75.