Glaubenszwang und Glaubensfreiheit

Der Glaube, so meinte Arthur Schopenhauer, ist wie die Liebe: er läßt sich nicht erzwingen. Daher ist es ein mißliches Unternehmen, ihn durch Staatsmaaßregeln einführen, oder befestigen zu wollen: denn, wie der Versuch, Liebe zu erzwingen, Haß erzeugt; so der, Glauben zu erzwingen, erst rechten Unglauben. 1

Liebe lässt sich zwar ebenso wenig wie Mitleid erzwingen, aber wie ist das mit dem Glauben? Gibt es nicht unzählige, zum Teil sehr schreckliche Beispiele aus der Geschichte, die beweisen, wie Religionen und andere Weltanschauungen den Völkern aufgezwungen wurden? Bei den ersten Generationen, die dem Glaubenszwang unterworfen wurden, mag dieser Zwang vielleicht nur wenig erfolgreich gewesen sein, doch in späteren Generationen konnte die ständige, oft mit Gewalt verbundene Indoktrination durchaus zum Glauben im Sinne der Machthaber geführt haben. Die gewaltsame christliche Missionierung im mittelalterlichen Europa und später in Lateinamerika oder die Islamisierung weiter Teile Asiens einschließlich Indiens sind hierfür aufschlussreiche Beispiele.

Solche Beispiele für Glaubenszwang lassen sich aber nicht auf alle Religionen übertragen. So gehört zu den Ausnahmen der von Schopenhauer hochgeschätzte Buddhismus. Dieser allerdings ist nicht nur eine Religion, sondern auch eine Philosophie, bei der es statt auf bloßem Glauben vor allem auf eigene Erkenntnis ankommt. Erkenntnis jedoch lässt sich nicht aufzwingen, sondern es kann – wenn überhaupt – nur der Weg aufgezeigt werden, der zur Erkenntnis führt, wie etwa der buddhistische Edle Achtfache Pfad, den der Religionswissenschaftler Helmuth von Glasenapp Pfad zur Erleuchtung nannte.2

Schopenhauer hat mit Bezug auf die vorherrschenden monotheistischen Religionen den zu seiner Zeit üblichen Glaubenszwang als „Abrichtung“ von Menschen angeprangert. 3 Dabei stand er ganz auf Seiten der Aufklärung, jener geistigen Strömung, die sich entgegen der damals fast allmächtigen Staatsreligion für die Freiheit des Glaubens einsetzte.

Es ist der Aufklärung zu verdanken, dass inzwischen, zumindest in der westlichen Welt, Glaubensfreiheit als Menschenrecht weitgehend anerkannt wurde. Hierzu hat auch Arthur Schopenhauer mit seiner Philosophie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier
sowie zum > Buddhismus .

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 15. Ueber Religion, Zürich 1977, S. 432.
2 Pfad zur Erleuchtung, so lautet der Titel eines Buches, das Helmuth von GLasenapp herausgegeben hatte (Düsseldorf/Köln 1956, Neuausgabe 1974) und von ihm übersetzte buddhistische Grundtexte enthält. Weiteres > Edle Achtfache Pfad des Buddha.
3 Siehe dazu > Religion – ein Meisterstück der Abrichtung?