Schopenhauer : Gutes Prinzip

Beruht die Welt auf einem guten Prinzip? Das folgende Zitat von Arthur Schopenhauer deutet eher auf das Gegenteil hin:

Die Welt ist die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin. 1

Wenn Schopenhauer im obigen Zitat die Menschen als “Teufel” bezeichnete, so dachte er wohl auch daran, wie entsetzlich Tiere unter den Menschen leiden müssen: Man möchte wahrlich sagen: die Menschen sind die Teufel der Erde, und die Tiere die geplagten Seelen. 2

So beschrieb Schopenhauer in seinen Werken sehr eindrucksvoll die Welt als “Hölle” für Mensch und Tier. Jedoch selbst in dieser „Hölle“ besteht – davon war Schopenhauer überzeugt – Grund für Hoffnung! Schopenhauer erklärte seine Zuversicht mit der nicht zu bestreitenden Tatsache, dass es unter den Menschen nicht nur “Teufel” gibt, sondern auch, “wiewohl sehr sporadisch, aber doch stets von Neuem uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts, und ebenso auch des großen Verstandes, des denkenden Geistes, ja, des Genies. Nie gehen diese ganz aus: sie schimmern uns, wie einzelne glänzende Punkte, aus der großen dunkeln Masse entgegen. Wir müssen sie als ein Unterpfand nehmen, dass ein gutes und erlösendes Prinzip in diesem Sansara [irdischen Welt] steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann.” 3

Solche „Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts“ sind im Leben vielleicht häufiger anzutreffen, als das vorstehende Schopenhauer-Zitat zum Ausdruck bringt. So sind etwa die von Schopenhauer hoch geschätzten Tierschutzvereine deutliche Beispiele für tätige Mitleidsethik. Dort, aber auch anderswo, wirken keine „teuflischen“, sondern mitfühlende, selbstlose Wesen. Es sind jene Menschen, die helfen, dass diese Welt weniger eine „Hölle“ bleibt und stattdessen für Mensch und Tier lebenswerter wird.

„Gutes Prinzip“ – hierbei handelt es sich nicht um das Ergebnis einer bloß philosophisch-theoretischen Betrachtung, vielmehr geht es um etwas, das jeder kennt, nämlich Mitleid. „Dieses Mitleid“, so schrieb Schopenhauer, „aber ist eine unleugbare Tatsache des menschlichen Bewusstseins, ist diesem wesentlich eigen, beruht nicht auf Voraussetzungen, Begriffen, Religionen, Dogmen, Mythen, Erziehung oder Bildung; sondern ist ursprünglich und unmittelbar, liegt in der menschlichen Natur selbst … und zeigt sich in allen Ländern und Zeiten.“ 5

Es ist das „natürliche Mitleid“, das „ethische Urphänomen“, wie es Schopenhauer nannte. 6 „Dieser Vorgang ist mysteriös; … Und doch ist er alltäglich. Jeder hat ihn oft an sich selbst erlebt; sogar dem Hartherzigsten und Selbstsüchtigsten ist er nicht fremd geblieben. Er tritt täglich ein vor unseren Augen, im einzelnen, im kleinen, überall, wo auf unmittelbaren Antrieb, ohne viel Überlegung ein Mensch dem andern hilft und beispringt, ja bisweilen selbst sein Leben für einen, den er zum ersten Male sieht, in die augenscheinlichste Gefahr setzt.“ 7

Zeigt nicht jedes Beispiel selbstlosen Verhaltens, dass in der Welt, obwohl sie von „gequälten Wesen“ zuweilen als „Hölle“ empfunden wird, ein gutes Prinzip wirksam ist? Jedenfalls gibt es nicht nur das Prinzip „Fressen und Gefressenwerden“. Es scheint auch ein Naturprinzip zu sein, bei welchem – nach Schopenhauers Worten – „die Natur nichts Wirksameres leisten konnte, als dass sie in das menschliche Herz jene wundersame Anlage pflanzte, vermöge welcher das Leiden des Einen vom Andern mitempfunden wird, und aus der die Stimme hervorgeht, welche je nachdem der Anlass ist, diesem Schone! jenem Hilf! stark und vernehmlich zuruft.“ 8

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Quellen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IX: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 326.
(2) Schopenhauer, a. a. O., Band X: Parerga II, S. 410.
(3) Schopenhauer, a. a. O., Band IX: Parerga II, S. 238.
(4) S. dazu: Arthur Schopenhauer über Tierschutz und Tierschutzvereine >hier.
(5) Schopenhauer, a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 252.
(6) Ebd., S. 249 und 252.
(7) Ebd., S. 269.
(8) Ebd., S. 285.