Mensch besinne dich – eine vergebliche Hoffnung?

Seit Arthur Schopenhauer sind über 150 Jahre vergangen. Während dieser Zeit hat sich die Weltbevölkerung vervielfacht, und zwar in einem solchen Maße, wie es früher kaum vorstellbar war. Zugleich griff der Mensch immer stärker in die Natur ein und zerstörte dabei immer mehr seine Lebensgrundlagen. Ja, er setzt sein Vernichtungswerk an der Natur sogar mit steigender Tendenz weiter fort. Die Folgen sind verhängnisvoll und werden für jeden von uns deutlich sicht- und fühlbar. Deshalb ist der Rat des Naturphilosophen Jakob Böhme, der vor etwa 400 Jahren lebte und von Schopenhauer hoch geschätzt wurde, keineswegs veraltet, sondern aktueller denn je:

Thue deine Augen auf, und gehe zu einem Baum, und siehe den an und besinne dich. 1

Also: Mensch besinne dich und warte nicht, bis auch der letzte Baum verdorrt ist!

Besinnt sich der Mensch? Allein schon im Hinblick auf den weltweiten Anstieg der Fleischproduktion, die aus Gründen des Umweltschutzes und vor allem auch der Tierethik höchst problematisch ist, kann ich diese Frage leider nicht so ohne weiteres bejahen.2 Gerade in diesem Zusammenhang habe ich wenig Hoffnung, dass der Mensch sich besinnt und zur Einsicht kommt, denn kürzlich las ich folgendes:

„Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO prognostizierte die weltweit produzierte Menge an Fleisch für das Jahr 2022 auf rund 360,5 Millionen Tonnen. Im Vergleich zum Jahr 2000 wuchs die produzierte Fleischmenge somit um mehr als 100 Millionen Tonnen an.“ 3

Nicht weniger alarmierend heißt es in einem anderen statistischen Bericht: „Die intensive Nutztierhaltung ist gekennzeichnet durch einen hohen Flächen- und Wasserverbrauch, belastet Böden und Gewässer und trägt mit ihren Emissionen zum Klimawandel bei. Dennoch wird die Tierhaltung weltweit ausgeweitet: Die Weltbevölkerung wächst, zugleich verändert der zunehmende Wohlstand in vielen Schwellen- und Entwicklungs­ländern das Ernährungsverhalten. Der jährliche Fleischverbrauch hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. … Weltweit wurden 2020 rund 337,2 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. Das war ein Anstieg um 45 % gegenüber dem Jahr 2000.“ 4

Der einzelne Mensch mag sich besinnen und dementsprechend besonnen verhalten, aber gilt das auch für die Allgemeinheit, die Menschheit? Ich habe Zweifel, zumal wenn zutrifft, was Arthur Schopenhauer in der Einleitung seiner Aphorismen zur Lebensweisheit schrieb:

„Im Allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer das Selbe gesagt, und die Thoren, d. h. die unermeßliche Majorität aller Zeiten, haben immer das Selbe, nämlich das Gegentheil, gethan: und so wird es denn auch ferner bleiben.“ 5

H.B.

Weiteres > Besonnenheit und Lebensphilosophie und
zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
(1) Gleichnis vom Baum, zit. aus: Dieter Liebig, Kommentar zu Jakob Böhmes Aurora oder Morgenröte im Aufgang (Vers 32) Dittersbach auf dem Eigen 1999, S. 41.
(2) Zur ethischen Problematik > Tierethik und > Tierrechte.
(3) Archiv / Stand: 24.07.2022.
(4) Archiv / Stand: 24.07.2022.
(5) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VIII: Aphorismen zur Lebensweisheit, Zürich 1977, S. 344.