Schopenhauer : Recht und Gerechtigkeit

Recht und Unrecht, so betonte Arthur Schopenhauer, seien keineswegs nur konventionelle Begriffe, sondern hätten darüber hinaus moralische Bedeutung. Unabhängig von allen staatlichen Gesetzen gäbe es ein Naturrecht, also ein Recht, das auch gültig und anerkannt wäre, wenn die Menschen ohne irgendeine staatliche Rechtsordnung im „Naturzustande“ leben würden. Diese Auffassung Schopenhauers bekommt gerade durch neuere Forschungen Unterstützung, denn deren Ergebnisse deuten z. B. darauf hin, dass bereits Kleinkinder, ja auch Menschenaffen ein mehr oder minder ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit besitzen. Demnach ist uns bereits von der Natur her ein bestimmtes Rechtsempfinden angeboren. Jeder von uns kann das an sich selbst überprüfen: Ohne jegliche juristische Kenntnisse wissen wir ziemlich genau, wenn wir ungerecht beurteilt oder behandelt wurden. Verletzungen des Gerechtigkeitsgefühls werden oft als derartig schwerwiegend empfunden, dass sie ein Leben lang im Gedächtnis haften bleiben.

Gerechtigkeit war schon für den von Schopenhauer hochgeschätzten altgriechischen Philosophen Platon die Tugend des rechten Verhaltens, ja sie war für ihn die höchste Tugend. Platon hatte bereits am Beginn seines Hauptwerkes „Der Staat“ die sokratische Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit  und die sophistische These, das Gerechte sei nichts anderes als das dem Stärkeren Nützliche, gestellt (s. Lexikon der philosophischen Werke). Dieses von Platon im einzelnen erörterte Thema ist auch heute noch von höchster Aktualität. Wir alle erwarten vom Staat und seinen Gesetzen vor allem eins, nämlich dass diese gerecht seien. Leider werden wir in dieser Erwartung nicht selten bitter enttäuscht. Oft haben wir das (mitunter durchaus berechtigte) Gefühl, dass nicht Gerechtigkeit, sondern Machtinteressen herrschender Personen und Gruppen die Gesetzgebung entscheidend beeinflussen. Dementsprechend können “ Recht „, wie es die Juristen verstehen, und Gerechtigkeit erheblich voneinander abweichen. 

Obwohl die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit zuweilen unerträglich groß sein kann, war Schopenhauer durchaus nicht dafür, den Staat und mit ihm alle Gesetze abzuschaffen und sich nur auf Vernunft und Einsicht der Menschen zu verlassen. Im Staat sah Schopenhauer trotz aller seiner Unvollkommenheiten eine Schutzanstalt gegen Angriffe des Egoismus, der sonst als Recht des Stärkeren schrankenlos herrschen würde. Allerdings müsse man Politik und Ethik voneinander unterscheiden: Der Staat und das Moralische seien so verschieden wie „eine Krücke statt des Beines, ein Automat statt eines Menschen“ (s. Arthur Hübscher; Denker gegen den Strom, Schopenhauer: Gestern – Heute – Morgen, 2. Aufl., 1982, S. 117).

Arthur Schopenhauer war wohl der erste bedeutende Philosoph des Abendlandes, der die Forderung nach Gerechtigkeit auch auf Tiere ausdehnte. Alle oder zumindest fast alle westlichen Philosophen vor ihm hatten das Prinzip der Gerechtigkeit allein auf Menschen bezogen. So war Schopenhauer die große Ausnahme, als er voller Empörung schrieb:
Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man dem Tier schuldig und bleibt sie meistens schuldig…
Wir haben zwar in Deutschland ein Tierschutzgesetz und der Tierschutz ist inzwischen als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen worden, aber dennoch kenne ich keinen Bereich, in welchem unsere Rechtsordnung so vom moralischen Grundsatz der Gerechtigkeit abweicht, wie es Tieren gegenüber der Fall ist. Staatliches Recht und Gerechtigkeit, und zwar auch in Bezug auf die Tiere, miteinander in Einklang zu bringen, ist das Ziel einer Bewegung die zunehmend an Bedeutung gewinnt – die Tierrechtsbewegung, deren geistiger Vorkämpfer vor mehr als 150 Jahren Arthur Schopenhauer war.
hb

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