Zur Bedeutung der indischen Weisheitslehren

Den indischen Weisheitslehren kam bereits beim Entstehen der Philosophie Schopenhauers große Bedeutung zu. Er glaube nicht, so schrieb Arthur Schopenhauer um 1816, also noch vor Veröffentlichung seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung, in sein Manuskript, „daß meine Lehre je hätte entstehn können, ehe die Upanischaden, Plato und Kant ihre Strahlen zugleich in eines Menschen Geist werfen konnten“. 1 Aufschlussreich ist, dass Schopenhauer dort die Upanishaden, welche die wohl ältesten Weisheitslehren Indiens enthalten, an erster Stelle nannte. Mit den Upanishaden begann nicht nur die Philosophie Schopenhauers, sondern vor weit mehr als 2500 Jahren auch die Indiens.

Philosophie ist, wie Arthur Schopenhauer erklärte, „wesentlich Weltweisheit“. 2 Insofern können die indischen Weisheitslehren auch als Philosophie bezeichnet werden. Schopenhauer war ein großer Bewunderer der indischen Philosophie, und zwar schon zu einer Zeit, als man im Abendland mitunter noch zögerte, sie überhaupt als „Philosophie“ anzuerkennen. 3 Eine solche Geringschätzung der indischen Philosophie ist völlig unberechtigt, denn so schrieb der Religionswissenschaftler und Indologe Helmuth v. Glasenapp:

„Indem die indische Philosophie in ihren größten Vertretern zu der Einsicht vorgedrungen ist, daß alle unsere Welterkenntnis von subjektiven Faktoren abhängig ist, hat sie den höchsten Gipfel nüchterner Wirklichkeitsbetrachtung erreicht, zu welcher alle kritische Wahrheitsforschung nach jedem metaphysischen Höhenflug immer wieder zurückkehren muß …

Dem Erforscher der Geistesgeschichte der Menschheit bietet sie eine unerschöpfliche Quelle der Erkenntnis … Bei der großen Mannigfaltigkeit der indischen Gedankenwelt fühlen sich abendländische Denker sehr verschiedener Art zu ihren Erscheinungen hingezogen. Der Naturwissenschaftler bewundert ihre kosmologischen Perspektiven, der Ethiker die Erhabenheit ihrer Vorstellungen von einer sittlichen Weltordnung, … der Mystiker die berauschende Kraft ihrer All-Einheitsschau, der kritische Geist die abgrundtiefe Als-ob-Philosophie des buddhistischen Relativismus.

Aber auch derjenige, der sich nicht eine der großen indischen Heilslehren zu eigen macht, wird aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit ihnen großen Gewinn ziehen und der unerhörten Kühnheit der indischen Weisen seine Anerkennung zollen, die es wagten, mit vollkommener Gelassenheit das Dasein in Frage zu stellen und seine Aufhebung für möglich zu halten.

Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart ist die Philosophie der Inder nie eine rein theoretische Weltdeutung geblieben, sondern hat sich stets in einer praktischen Lebensgestaltung ausgewirkt. Dadurch, daß die meisten ihrer repräsentativen Vertreter den Weg nach innen einschlugen und den Mysterien der eigenen Seele ihr vornehmstes Interesse zuwandten, sind die Inder frühzeitig auf dem Gebiet der Psychologie zu Erkenntnissen vorgedrungen, die der Westen sich erst in neuerer Zeit in der Gestalt der ´Psycho-Analyse`, des ´autogenen Training`usw. nutzbar gemacht hat.“

Gegen Ende seiner obigen Ausführungen zur Bedeutung der indischen Philosophie stellte von Glasenapp fest, dass es zwar „ein schwerer Fehler wäre, von den Indern alles kritiklos zu übernehmen“, doch „unterliegt es keinem Zweifel, daß der Westen in dieser Beziehung noch viel von den Indern zu lernen hat“. 4

Für Arthur Schopenhauer waren es vor allem die Lehre des Buddha, den er als „Siegreich-Vollendeten“ hoch schätzte und die Philosophie der altindischen Upanishaden, die er als „Frucht der höchsten menschlichen Erkenntnis und Weisheit“ überaus schätzte. 5 Ja sogar für das Verständnis seiner eigenen Philosophie hielt er die indischen Weisheitslehren für sehr hilfreich. So heißt es in der Vorrede zur ersten Auflage seines Hauptwerkes: „Hat … der Leser auch schon [neben dem Studium der Werke Kants und Platons] die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen, dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hören, was ich ihm vorzutragen habe.“ 6

Die indischen Weisheitslehren, insbesondere die Upanishaden und der Buddhismus, beruhen auf uralten, auch heute noch durchaus wertvollen spirituellen Erfahrungen. Vor allem der Buddhismus geht von der Tatsache aus, dass das Leben für Mensch und Tier mit viel Leid verbunden ist. Dementsprechend steht die Erlösung vom Leid der Vergänglichkeit im Mittelpunkt der buddhistischen Lehre. So erklärte der Buddha: „Wie das Meer nur einen Geschmack hat, den des Salzes, so hat auch meine Lehre nur einen Geschmack – den der Erlösung.“ 7

Auch Schopenhauer ging es um Erlösung. Im „Sansara“ (womit die Buddhisten den Kreislauf der Existenzen, das Weltleben, bezeichnen) treten, wie er meinte, „wiewohl sehr sporadisch, aber doch stets von Neuem uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts … auf. Nie gehen diese ganz aus: sie schimmern uns wie einzelne glänzende Punkte aus der großen Masse entgegen. Wir müssen sie als ein Unterpfand nehmen, daß ein gutes und erlösendes Prinzip in diesem Sansara steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann“. 8

Somit stimmte der angebliche „Pessimist“ Arthur Schopenhauer mit dem Buddha und anderen indischen Weisen in der Erkenntnis überein, dass Erlösung letztlich möglich ist. 9 In dieser höchst optimistischen und trostvollen Erkenntnis liegt meiner Meinung nach die größte Bedeutung der indischen Weisheitslehren.

H.B.

Weiteres zu > Arthur Schopenhauer und den > Upanishaden sowie zum > Buddhismus.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 1, München 1985, S. 422.
2 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 219.
3 „Obwohl sich die abendländische Wissenschaft seit einhundertfünfzig Jahren um die Philosophie der Inder bemüht, haben bisher nur wenige Denker des Westens den metaphysischen Systemen des Gangeslandes gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dies hat seinen Grund zum Teil darin, daß viele von ihnen auch heute noch unbewußt dem Einfluß des mittelalterlichen Weltbildes unterliegen, für welches die um den Mittelmeerraum erwachsene Kultur das Maß der Dinge darstellt und das geistige Leben des südlichen und östlichen Asiens diesem nicht gleichwertig und deshalb nur von vorwiegend ethnographischem Interesse ist“ (Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder, 3. Aufl., Stuttgart 1974, S. IX).
4 Ebd., S. 453 f.
5 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 442.
6 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 11.
7 Anguttara-Nikaya 8, 19, 16, zit. aus: Pfad zur Erleuchtung, Buddhistische Grundtexte übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1974, S. 56.
8 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band IX: Parerga und Paralipomena II, S. 238.
9 Ausführlicher > Arthur Schopenhauer : Leid und Erlösung.

Grenzen des Wissens

Eine Philosophie, meinte Arthur Schopenhauer, „die keine Frage mehr übrig ließe“, wäre eine „Allwissenheitslehre“. Diese aber sei unmöglich, denn „es gibt eine Grenze, bis zu welcher das Nachdenken vordringen und … die Nacht unseres Daseins erhellen kann, wenngleich der Horizont stets dunkel bleibt …“. 1 Ein seriöser Philosoph vermeidet es daher, die Grenzen seines Wissens zu überschreiten und ein angebliches Wissen vorzutäuschen, das in Wahrheit nur Glaube ist.

Dementsprechend wies Schopenhauer darauf hin, dass seine Philosophie nicht in dem Sinne zu verstehen sei, „daß sie kein Problem zu lösen übrig, keine mögliche Frage unbeantwortet ließe. Dergleichen zu behaupten, wäre eine vermessene Ableugnung der Schranken menschlicher Erkenntnis überhaupt. Welche Fackel wir auch anzünden und welchen Raum sie auch erleuchten mag; stets wird unser Horizont von tiefer Nacht umgrenzt bleiben … Daher muß die wirkliche, positive Lösung des Rätsels der Welt etwas sein, daß der menschliche Intellekt zu fassen und zu denken völlig unfähig ist; so daß wenn ein Wesen höherer Art käme und sich alle Mühe gäbe, es uns beizubringen, wir von seinen Eröffnungen durchaus nichts würden verstehen können. Diejenigen sonach, welche vorgeben, die letzten, d. i. die ersten, Gründe der Dinge … zu erkennen, treiben Possen, sind Windbeutel, wo nicht gar Scharlatane.“ 2

Einerseits hat das menschliche Wissen mehr oder weniger enge Grenzen, doch andererseits möchten die Menschen diese Grenzen überschreiten und wollen wissen, „was die Welt zusammenhält“, was jenseits allen Physischen sein könnte. Sie haben, wie Schopenhauer es nannte, „ein metaphysisches Bedürfnis“. Hierbei verstand er unter Metaphysik „jede angebliche Erkenntnis … über das, was hinter der Natur steckt und sie möglich macht“. 3

Im Hinblick auf dieses Bedürfnis gab Schopenhauer den Rat: Wer zu der „Erkenntnis, bis zu welcher allein die Philosophie ihn leiten kann, … Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat4, der lateinischen Fassung der Upanishaden. Diese philosophischen Schriften aus dem alten Indien geben Antworten auf metaphysische Fragen, wie z. B.: Woher komme ich und wohin gehe ich? Es sind spirituelle Texte mit Erkenntnissen, zu denen altindische Weise (Rishis), einsam meditierend, wohl durch Intuition gekommen waren. Deren Wissen ging deshalb weit über das „normaler“ Alltagsmenschen hinaus, denn es seien, meinte Schopenhauer, „fast übermenschliche Konzeptionen, welche später in den Upanishaden der Veden niedergelegt wurden“. 5

Für viele „normale“ Menschen aber wird das „metaphysische Bedürfnis“ vor allem durch die jeweils vorherrschenden Landesreligionen mehr oder weniger erfolgreich erfüllt. Hierbei warnte Schopenhauer vor aufgezwungenen religiösen und anderen weltanschaulichen Dogmen: „Nichts kann jedoch der Auffassung auch nur des Problems der Metaphysik so fest entgegenstehen, wie eine ihm vorhergängige, aufgedrungene und dem Geist früh eingeimpfte Lösung desselben: denn der notwendige Ausgangspunkt von allem echten Philosophieren ist die tiefe Empfindung des Sokratischen: Dies eine weiß ich, daß ich nichts weiß.6

Obige Worte werden oft zitiert, doch vielleicht noch etwas treffender scheint mir das folgende Zitat zu sein:

Wenige wissen, wie viel man wissen muß,
um zu wissen, wie wenig man weiß.
7

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie sowie den Upanishaden > hier .

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 693.
2 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt … II, S. 216 f.
3 Ebd., S. 191.
4 Schopenhauer, a. a. O., Band IV: Die Welt … II, S. 716.
5 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt … II, S. 189.
6 Ebd., S. 218.
7 Zitat aus: Kurt Schmidt, Leer ist die Welt – Buddhistische Studien, Konstanz 1953, S. 75.

All-Einheit und Vielfalt der Natur

Die Fähigkeit zur Philosophie, so meinte Arthur Schopenhauer bestehe im Erkennen des Einen im Vielen und des Vielen im Einen. 1

Um die überaus erstaunliche Vielfalt der Lebensformen in der Natur zu erkennen, bedarf es keiner besonderen Bemühungen. Sie ist augenscheinlich. Darin aber irgendeine „Einheit“ oder sogar „All-Einheit“ zu erkennen, ist schon weit schwieriger:

Die Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt wahrzunehmen, ist vor allem auf die Erhaltung seines Lebens ausgerichtet. Deshalb sind die menschlichen Sinne dazu bestimmt, die Natur möglichst in ihrer ganzen Vielheit zu erfassen und so auch drohende Gefahren zu erkennen.

Dennoch gab es schon in alten Kulturen Menschen, die sich mit dieser, auf die bloße Lebenserhaltung beschränkte Naturerkenntnis nicht begnügen wollten, ja die sich sogar wunderten über die Natur, die Welt und ihr eigenes Dasein. Schopenhauer sah in dieser „Verwunderung“ den Ursprung der Philosophie. 2

So war es schon im alten Indien. Dort lebten in den Urwäldern, umgeben von einer prachtvollen Vielfalt der Natur, weise Einsiedler und Asketen, die sich fragten: Was verbirgt sich hinter dieser unüberschaubaren Vielfalt? Liegt dieser Vielheit vielleicht sogar eine allumfassende Einheit zugrunde? Die Antwort auf solche und ähnliche Fragen ist in den altindischen Upanishaden überliefert. Es ist die Lehre von der All-Einheit. Der Indologe Helmuth von Glasenapp schrieb hierzu in seiner Philosophie der Inder:

„Das Hauptanliegen der bedeutendsten Texte, die in einer Upanishad gesammelt sind, ist … die Darstellung einer All-Einheitslehre, für welche das Brahma [Brahman] oder der Atman die letzte Essenz des Weltalls und jedes Einzelwesens ist. Auf diesen Abschnitten, in denen eine tiefsinnige Mystik zum Teil in sinnvollen Gleichnissen einen ebenso lebendigen wie erhabenen Ausdruck findet, beruht der Ruhm der Upanishaden und zugleich ihre hohe geistesgeschichtliche Bedeutung: sie sind die Grundwerke, auf denen sich bis heute alle System aufbauen, die sich Vedanta nennen …“ 3

Brahman wird oft mit Weltseele und Atman mit Einzelseele übersetzt. Doch eigentlich ist, wie der Indologe Heinrich Zimmer meinte, Brahman „kein Wort, das einfach übersetzt werden kann“. 4 Laut Zimmer ist der Begriff Brahman die „seit den vedischen Zeiten bis zum heutigen Tage die unvergleichlichste, bedeutendste Konzeption der Hindu-Religion und -Philosophie gewesen“.

Das Brahman, so erklärte Zimmer weiter, sei „die höchste, letzte transzendente Kraft, die den sichtbaren und greifbaren Schichten unseres Wesens innewohnt, transzendiert sowohl den sogenannten ´grobstofflichen Leib` wie die Innenwelt … Als die Macht, welche alle Dinge des Mikrokosmos wie auch die Außenwelt durchdringt und belebt, ist sie … identisch mit dem Selbst (atman) – dem höheren Aspekt dessen, was wir im Westen, ohne Unterscheidungen zu machen, Seele nennen“. 5

Schopenhauer war sich der zentralen Bedeutung des Begriffes Brahman in der indischen Philosophie wohl bewusst. Er sah im Begriff Brahman eine grundlegende Übereinstimmung mit seiner Philosophie, nach welcher sich ein metaphysischer „Wille“ in allen Erscheinungsformen dieser Welt manifestiert. So suchte er in allen Veröffentlichungen, die ihm zugänglich waren, Bestätigung, dass dieser Wille identisch ist mit dem, was in der von ihm hochgeschätzten Vedanta-Philosophie Brahman genannt wird. 6 Da dieser metaphysische „Wille“ laut Schopenhauer besonders deutlich als Wille zum Leben erscheint und dieser in allen Lebewesen existiert, ist jedes Leben – trotz äußerlichen Unterschiede – mit jedem anderen im innersten Wesen identisch.

Die in der Vielfalt der Natur verborgene All-Einheit wurde in Indien schon vor weit mehr als zwei Jahrtausenden erkannt. Über die Weisen, die zu dieser zutiefst spirituellen Erkenntnis kamen, schrieb Schopenhauer mit Worten der Bewunderung, dass sie „dem Urquell der organischen Natur bedeutend näher standen, als wir, … wodurch sie einer reineren, unmittelbaren Auffassung des Wesens der Natur fähig“ waren. So seien in den Rishis, also den Weisen des alten Indiens, „die fast übermenschlichen Konceptionen, welche später in den Upanischaden der Veden niedergelegt wurden“, entstanden. 7

Schopenhauers Bewunderung ist verständlich, denn er konnte seine Philosophie in Übereinstimmung mit der All-Einheitslehre der altindischen Upanishaden sehen und sich so bestätigt finden. Die Erkenntnis von der All-Einheit der Natur hat jedoch weit mehr als nur philosophisch-theoretische Bedeutung: Menschen, die von dieser Erkenntnis durchdrungen sind, haben ein positives Verhältnis zur Natur und sehen in allem Leben, also auch in Tieren und Pflanzen, nicht bloß Objekte der Ausbeutung. Sie neigen zu einem schonenderen Umgang mit der Natur, mit menschlichem und nichtmenschlichem Leben. Für Arthur Schopenhauer war die Erkenntnis von der All-Einheit der Natur die philosophische Grundlage seiner auch die Tiere einbeziehenden Ethik. 8

H.B.

Weiteres zu > Schopenhauer und die > All-eins-Lehre
sowie den > Upanishaden.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 124.
2 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt als Wille … II, S. 199.
3 Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder, Stuttgart 1974, S. 38.
4 Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens, Zürich 1973, S. 79.
5 Ebd., S. 83.
6 Vgl. Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 4, I, München 1985, S. 125 und 143.
7 Schopenhauer, a. a.O., Band III: Die Welt als Wille … II, S. 189.
8 Schopenhauer, a. a. O., Band IX: Parerga und Paralipomena II, Kap. 8: Zur Ethik, S. 239.
Weiteres > Upanishaden : Tat twam asi .

Die Upanishaden – Quelle altindischer Weisheit

Die Upanishaden waren nicht nur die Quelle der Weisheit im alten Indien, sondern auch die der Philosophie Schopenhauers. Ohne die Upanishaden, so schrieb Arthur Schopenhauer, wäre seine Lehre nicht entstanden. Er erwähnte in diesem Zusammenhang zwar auch Kant und Platon, die Upanishaden aber standen für ihn an erster Stelle. 1

Die altindischen Upanishaden sind auch heute noch die Grundlage der Philosophie des Hinduismus. Sie sind – laut dem Religionswissenschaftler und Indologen Helmuth von Glasenapp – Schriften „mystischen Inhalts, welche höhere Erkenntnisse über Gott, Welt und Seele überliefern“. 2 Die ältesten von ihnen entstanden vermutlich zwischen 1000 und 500 v. Chr., also noch vor der Zeit des Buddha.

Somit vollzog sich etwa während dieser Zeit der Übergang von der Magie zur Philosophie. Das bisher allein vorherrschende Opferwesen mit Zauberriten und Zaubersprüchen wurde mehr und mehr abgelöst von der Suche nach der Wahrheit. Es trat, so meinte v. Glasenapp, „immer deutlicher das Bestreben hervor, durch die Hüllen der Ritualwissenschaft hindurch zu philosophischen Erkenntnissen vorzudringen.

In oft noch recht schwerfälliger und unbeholfener Weise wird der Versuch gewagt, das Jenseitige, das hinter der Welt ist, zu erforschen. Dann erscheint alle Opferweisheit als eine niedere, vorbereitende Wissenschaft; die höhere Erkenntnis, um derentwillen Könige den Weisen Tausende von Rindern schenken, um derentwillen Hausväter ihren Besitz aufgeben und in den Wald hinausgehen, ist das Wissen um das, was den Kern alles Daseins ausmacht, um das Brahma [Weltseele] oder den Atman [Einzelseele].

Noch weiß die Sprache nicht diesen höchsten Begriff in voller Abstraktheit zu fassen, noch vermag das Denken nicht zwischen Geist und Materie einen scharfen Trennungsstrich zu ziehen, aber doch leuchtet schon überall die erhabene Größe des Alleinheitsgedanken hervor.

In Gleichnissen wie dem vom Tonklumpen, durch den alles Tönerne begriffen wird, weil es eine Umformung von Ton darstellt, oder von dem gespaltenen Kern des Feigenbaums, in dem die unsichtbare feine Substanz das alldurchdringende, alles durchwebende Ens realissimum [das allerrealste Wesen, der Inbegriff der Realität] darstellt, wird das Geheimnis gelehrt, das in den ´großen Worten` gipfelt, Ich bin das Brahma, und das bist du (tat tvam asi). 3 In vollem Bewußtsein der Undefinierbarkeit des Ewigen wird von ihm ausgesagt, daß Worte es nicht zur erklären vermögen (neti, neti) und daß keinerlei irdische Bestimmungen auf es Anwendung finden …

Es war nicht bloßer, kühler Wissensdrang, der sie [die Wahrheitssucher der Upanishaden] veranlaßte, nach dem zu fragen, was allem zugrunde liegt, sondern sie verfolgten zugleich ein praktisches Ziel. Dieses Ziel aber war gegeben durch die neue Wertung des irdischen Daseins und die neuen eschatologischen [auf die letzten Dinge gerichteten] Anschauungen, die in dieser Zeit hervortraten.

Dem grübelnden Denker hatte sich die bange Frage was ist nach dem Tode, welche die lebensfreudigen Dichter der Hymnenzeit [also vor den Upanishaden] nur selten gestellt, mit immer wuchtigerer Gewalt aufgedrängt. In der Brihadaranyaka-Upanishad (3,2.13) gab Yajnavalkya, die erhabenste Sehergestalt, die uns in den Upanishaden entgegentritt, eine Antwort, die für die ganze Folgezeit den Ausschlag gab: Gut wird einer durch gutes Werk, böse durch böses, und in dem selben Text (6,2,15) und Chandogya-Upanishad (5,10) wird dann die große Lehre von der Wiedergeburt auseinandergesetzt …“ 2

Schopenhauer war von den Upanishaden tief beeindruckt. Dementsprechend bezog er sie in seine Philosophie ein. Hierbei wies er darauf hin, dass die in den Upanishaden enthaltene (oben erwähnte) „große Wahrheit“ des Tat-tvam-asi, vom Volke nicht verstanden werde. Deshalb könne sie von diesem nur als Mythos verkleidet aufgenommen werden, und das sei der Mythos von der Seelenwanderung: „Er lehrt, daß alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau durch die selben Leiden wieder abgebüßt werden müssen; welches so weit geht, daß wer nur ein Tier tötet, einst in der unendlichen Zeit auch als eben ein solches Tier geboren werden und den selben Tod erleiden wird … Als Belohnung aber verheißt er dagegen Wiedergeburt in besseren, edleren Gestalten, als Bramane [Priester], als Weiser, als Heiliger …
Nie hat ein Mythos und nie wird einer sich der so Wenigen zugänglichen, philosophischen Wahrheit enger anschließen, als diese uralte Lehre des edelsten und ältesten Volkes.“ 4

Ob diese Lehre der Upanishaden esoterisch, also nur wenigen Ausgewählten, als Tat-tvam-asi oder exoterisch und damit allgemeinverständlich als Seelenwanderung vermittelt wird, ändert nichts an der Bedeutung, die sie für Schopenhauer hatte, nämlich als die lebendige Erkenntnis der ewigen Gerechtigkeit. 4 So ist es dann verständlich, wenn die Weisheit der altindischen Upanishaden zu einer Quelle des Trostes und der Hoffnung im Leben des Philosophen Arthur Schopenhauer wurde.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie sowie den Upanishaden > hier.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. v. Arthur Hübscher, Band. 1, München 1985, S. 422.  
Schopenhauer nannte zwar die Upanishaden noch vor Kant. Dennoch beruht seine Philosophie nicht auf den Upanishaden, sondern auf der von Kant. Er sah sich als Vollender von Kants Philosophie und war hocherfreut, dass – wie er meinte – seine Philosophie im Ergebnis mit den indischen Philosophien (Upanishaden bzw. Vedanta und Buddhismus) weitgehend übereinstimmt.    
2 Helmuth von Glasenapp, Die Literaturen Indiens, Stuttgart 1961, S. 79 ff.
3 S. hierzu auch Das Tat-tvam-asi – die Grunderkenntnis der Upanishaden > Blogbeitrag.
Auf dieser Grunderkenntnis beruht Schopenhauers Ethik, und zwar einschließlich seiner Tierethik. Sie begründet seine Aussage über die Wesensgleichheit von Mensch und Tier, „jene einfache und über allen Zweifel erhabene Wahrheit, daß die Tiere in der Hauptsache und im Wesentlichen ganz das Selbe sind, wie wir“ (> Blogbeitrag).
4 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 442 ff.
In dem von Schopenhauer oben beschriebenen Mythos der Seelenwanderung kommt auch die enge und untrennbare Verbindung von Mensch und Tier zum Ausdruck. Schon in dieser Hinsicht zeigt sich der fundamentale Unterschied zu den im Abendland vorherrschen Religionen, den Schopenhauer in seiner Philosophie mehrmals deutlich hervorgehoben hat.
S. dazu auch: Unsterbliche Seele in Mensch und Tier ?

Wesensgleichheit zwischen Mensch und Tier

120 Jahre Deutscher Tierschutzbund – aus diesem Anlass hielt der damalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau am 30. Juni 2001 eine Rede, in welcher er auf das Verhältnis von Mensch und Tier näher einging. Hierbei wies er auf Arthur Schopenhauer hin, der „als Vater des modernen Tierschutzes gilt“. 1

Für Schopenhauer, so meinte der Bundespräsident, „unterschied sich der Mensch vom Tier nur durch den höheren Intellekt, durch die Vernunft und durch die Fähigkeit, abstrakte Begriffe zu bilden. Grundsätzlich sah Schopenhauer eine Wesensgleichheit zwischen Mensch und Tier, und diese Wesensgleichheit verpflichte den Menschen.“ 2

Der Hinweis des Bundespräsidenten auf die in Schopenhauers Philosophie ausführlich begründete Wesensgleichheit zwischen Mensch und Tier ist höchst bemerkenswert. Diese Wesensgleichheit steht im völligen Gegensatz zu der Auffassung, die im Abendland seit der Herrschaft des Christentums weithin verbreitet ist, dass Mensch die „Krone der Schöpfung“ sei.

Nach Schopenhauers Philosophie sind Mensch und Tier wie alles in der Natur Erscheinungsformen („Objektivationen“) eines metaphysischen „Willens“ und somit in ihrem innersten Wesen gleich. Schopenhauer konnte sich hierbei auch auf das Tat-twam-asi der von ihm überaus geschätzten altindischen Upanishaden berufen, denn im Tat-twam-asi „liegt der Grundgedanke der Upanishaden beschlossen: die Erkenntnis, daß jedes Einzelwesen in seinem Kern mit dem Allwesen eines ist“. 3 Auf diesem Grundgedanken beruht letztlich auch die allumfassende Ethik Arthur Schopenhauers und damit auch seiner Tierethik. 4

„Bei den Hindu und Buddhaisten“, so schrieb Schopenhauer, „gilt die Mahavakya (das große Wort) Tat-twam-asi (das bist du), welches allezeit über jedes Tier auszusprechen ist, um uns die Identität des innern Wesens in ihm und uns gegenwärtig zu erhalten, zur Richtschnur unsers Tun.“ 5

Ganz in diesem Sinne erklärte der buddhistische Lama Anagarika Govinda, der über Schopenhauer zum Buddhismus kam, die Weisheit von der Wesensgleichheit:

„Indem wir unsere eigene Natur … erkennen, realisieren wir, daß sie sich nicht unterscheidet von der innersten Natur aller anderen lebendigen Wesen. Dies ist die „Weisheit der Wesensgleichheit„, durch die wir uns von der kühlen und unbeeinflußten Haltung eines Beobachters dem warmen menschlichen Gefühl allumfassender Liebe und Mitempfindens für alles, was lebt, zuwenden.“ 6

Wenn der Bundespräsident, wie eingangs zitiert, meinte, die „Wesensgleichheit verpflichte den Menschen“, so ist der Mensch dieser Verpflichtung bisher kaum, ja eigentlich überhaupt nicht nachgekommen, denn auch heute noch – nach fast 150 Jahre Deutscher Tierschutzbund – sind Tiere völlig rechtlos. Nach wie vor gilt Arthur Schopenhauers Wort:

„Erst, wenn jene einfache und über allen Zweifel erhabene Wahrheit, daß die Tiere in der Hauptsache und im Wesentlichen ganz das Selbe sind, wie wir, in´s Volk gedrungen sein wird, werden die Tiere nicht mehr als rechtlose Wesen dastehn.“ 7

H.B.

Weiteres zu > Schopenhauer und den > Upanishaden .

Anmerkungen
(1) Website des Bundespräsidenten > Webarchiv.
(2) Ebd.
(3) Helmuth von Glasenapp, Die Religionen Indiens, Stuttgart 1943, S. 113.
(4) „Die Leser meiner Ethik wissen“, schrieb Arthur Schopenhauer, „daß bei mir das Fundament der Moral zuletzt auf jener Wahrheit beruht, welche im Veda und Vedanta ihren Ausdruck hat an der stehend gewordenen mystischen Formel Tat twam asi (dies bist du), welche mit Hindeutung auf jedes Lebende, sei es Mensch oder Tier, ausgesprochen wird und dann die Mahavakya, das große Wort, heißt“. (Arthur Schopenhauer´s sämmtliche Werke , hrsg. von Julius Frauenstädt, 2. Aufl., Band 6: Parerga und Paralipomena II, Kap. VIII. Zur Ethik, Leipzig 1919, S. 234.)
(5) Schopenhauers Werke, a. a. O., Kap. XV. Ueber Religion, S. 399 f.
(6) Lama Anagarika Govinda, Schöpferische Meditation und Multidimensionales Bewusstsein, 2. Aufl., Freiburg i. B. 1982, S. 72 f.
(7) Schopenhauers Werke, a. a. O., S. 403.


Atma – Schopenhauers Pudel

Wer nie einen Hund gehalten hat,
weiß nicht was lieben und geliebt seyn ist. 1

Für Arthur Schopenhauer, der dieses Zitat aus dem Spanischen übersetzte, war das keine Übertreibung, denn er fand darin seine eigenen Erfahrungen während vieler Jahre bestätigt.

Schon in der Studentenzeit gehörte ein Pudel zu Schopenhauers Leben. So berichtete der Schopenhauer-Biograf Wilhelm von Gwinner, der den Philosophen noch persönlich kannte: „Mit Platon und Kants Werken, mit Sokrates Büste und Goethes Porträt, zogen damals bereits der Pudel und dessen Lager in die Studierstube ein.“ 2

Unter den Hunden, mit denen Schopenhauer sein weiteres Philosophenleben teilte, waren auch ein weißer und dann ein brauner Pudel. Beide nannte er Atma, was durchaus eine tiefere Bedeutung hatte und eng mit seiner den altindischen Upanishaden sehr nahe stehenden Philosophie zusammenhing: Atman, die individuelle Seele jedes Lebewesens, und Brahman, die Weltseele, sind laut Schopenhauer und den Upanishaden in ihrem tiefsten Wesenskern identisch.

Heinrich Hasse, Philosoph und Schopenhauer-Forscher, schrieb in seiner vorzüglichen Darstellung von Schopenhauers Leben und Werk zu den Lebensverhältnissen Schopenhauers und seines Pudels:

„Das Arbeitszimmer des Philosophen, in seiner Einrichtung von größter Anspruchslosigkeit, verrät schon äußerlich die charakteristische Gemeinschaft wissenschaftlicher, künstlerischer und ethisch-religiöser Wesenszüge seines Inhabers. Bildnisse von Descartes, Kant, Goethe und Shakespeare liefern seinen Schmuck, zu dem außer Kants Büste in den letzten Lebensjahren Schopenhauers eine vergoldete Statuette Buddhas kommt, die auf einer Marmorkonsole thront.

Sinnbildliche Bedeutung hat auch die Gesellschaft seines beständigen Lebensgenossen, des Pudels, der neben seinem profanen Namen den Titel Atma (d. h. etwa „Selbst“) führt. In dieser Wahl bekundet sich praktisch Schopenhauers dem jüdisch-christlichen Dogma entgegengesetzte Auffassung, welche in letzter Instanz zwischen Mensch und Tier keinen Wesensunterschied anerkennt, das ewige Urwesen in allem Lebenden erblickt, ja das Tier durch größere Unschuld, Ursprünglichkeit und Treuherzigkeit seines Verhaltens den Menschen übertreffen läßt.“ 3

Daher ist es wohl verständlich, wenn Arthur Schopenhauer seine Erfahrungen mit seinen „vierbeinigen Freundschaften“ und den Mitmenschen in folgendem Epigramm zum Ausdruck brachte:

Wundern darf es mich nicht,
daß Manche die Hunde verläumden:
Denn es beschämt zu oft leider

den Menschen den Hund. 4

H.B.

Weiteres
zu > Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
sowie den > Upanishaden.

Arthur Schopenhauer mit seinem Pudel 5

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VII: Parerga und Paralipomena I, § 12: Die Philosophie des Neueren, Zürich 1977, S. 87.
(2) Wilhelm v. Gwinner, Schopenhauers Leben, 3. Ausgabe, Leipzig 1910, S. 66.
(3) Heinrich Hasse, Schopenhauer , München 1926, S. 53.
(4) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga II, S. 716.
(5) Holzschnitt von Johann Jakob Ettling. 1888 in der Frankfurter Latern erschienen.

Upanishaden : Tat tvam asi

Tat tvam asi – drei Sanskritworte, die in den altindischen Upanishaden und auch in Arthur Schopenhauers Philosophie höchst bedeutungsvoll sind. Da die Upanishaden zur philosophischen Grundlage des Vedanta und damit auch des späteren Hinduismus wurden, sind sie auch heute noch in Indien von großer Bedeutung. Außerhalb Indiens wurden die Upanishaden vor allem durch Schopenhauer bekannt, der sie als „Trost seines Lebens“ überaus schätzte. Besonders eng ist der Zusammenhang der in den Upanishaden verkündeten Wahrheit vom Tat tvam asi mit Schopenhauers Ethik:

„Die Leser meiner Ethik wissen“, schrieb Schopenhauer, „daß bei mir das Fundament der Moral zuletzt auf jener Wahrheit beruht, welche im Veda und Vedanta ihren Ausdruck hat an der stehend gewordenen mystischen Formel tat tvam asi (Dies bist du), welche mit Hindeutung auf jedes Lebende, sei es Mensch oder Thier, ausgesprochen wird und dann Mahavakya, das große Wort, heißt.“1

„In dem großen Worte (maha-vakya) tat tvam asi„, so erklärte der Indologe Helmuth von Glasenapp, „liegt der Grundgedanke der Upanishaden beschlossen: die Erkenntnis, daß jedes Einzelwesen in seinem Kern mit dem Allwesen eines ist.“2

Der Kern des Einzelwesens wird in den Upanishaden als Atman und der des Allwesens als Brahman bezeichnet. Vom Brahman, „einer heiligen Kraft, einem unpersönlichen Absoluten“, ist der ganze Kosmos und daher auch jedes einzelne Wesen durchdrungen. In diesem Sinne gilt die zutiefst spirituelle Aussage der Upanishaden: Brahman = Atman und so ist auch das Tat-tvam-asi (wörtlich: Das bist du) zu verstehen.

Für Schopenhauer war die in den Upanishaden verkündeten Einheitslehre von Brahman und Atman eine Bestätigung seiner Philosophie. Hiernach ist alles in der Welt, was als Vielheit wahrgenommen wird, nur eine von unzählig vielen Erscheinungsformen einer metaphysischen Einheit, die Schopenhauer nicht Brahman, sondern Wille nannte. So manifestiert sich dieser metaphysische Wille in jedem Menschen, auch in jedem Tier und jeder Pflanze – oder, wie es in der Chandogya-Upanishad, einer der ältesten Upanishaden, heißt: „Wahrlich, das Brahman ist dieses All.“3

So konnte sich Schopenhauer zurecht auf das Tat tvam asi in den Upanishaden berufen, wenn er in seiner Ethik mit Nachdruck auf die Wesensgleichheit von Mensch und Tier hinwies und dabei den deutlichen Gegensatz zur christlichen Tradition des Abendlandes hervorhob. Dem Christentum mit seiner überaus scharfen Abgrenzung zwischen Mensch und Tier stellte er die in Indien entstanden Religionen gegenüber: „Bei den Hindu und Buddhaisten hingegen gilt die Mahavakya (Das große Wort) Tat tvam asi (Dies bist du), welches allezeit über jedes Thier auszusprechen ist, um uns die Identität des innern Wesens in ihm und uns gegenwärtig zu erhalten, zur Richtschnur unsers Thuns.“4

In diesem Zusammenhang betonte Schopenhauer den fundamentalen Unterschied zwischen dem Christentum einerseits sowie dem Brahmanismus (aus dem später der Hinduismus entstand) und Buddhaismus andererseits:

„Ein anderer, bei dieser Gelegenheit zu erwähnender, aber nicht weg zu erklärender und seine heillosen Folgen täglich manifestirender Grundfehler des Christenthums ist, daß es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat von der Thierwelt, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten lassen will, die Thiere geradezu als Sachen betrachtend; – während Brahmanismus und Buddhaismus, der Wahrheit getreu, die augenfällige Verwandtschaft des Menschen, wie im Allgemeinen mit der ganzen Natur, so zunächst und zumeist mit der thierischen, entschieden anerkennen und ihn stets, durch Metemspsychose [Seelenwanderung] und sonst, in enger Verbindung mit der Thierwelt darstellen.“5

Das Tat tvam asi bedeutet jedoch mehr als „Verwandtschaft“, nämlich die innere Wesensgleichheit allen Lebens. Diese wirklich zu verstehen, ist nicht einfach, denn die altindische Weisheit des Tat tvam asi widerspricht dem abendländischen, weithin vom Christentum geprägten Denken. Hiernach steht der Mensch als „Krone der Schöpfung“ hoch über dem Tier und der übrigen Natur. Wie sehr das ein verhängnisvoller Irrglaube ist, zeigt die täglich fortschreitende Zerstörung der Tier- und Pflanzenwelt, also der Umwelt, welche die Lebensgrundlage des Menschen ist. Schon hieran wird deutlich, dass die Weisheit der Upanishaden mit dem Tat tvam asi, obwohl mehr als zwei Jahrtausende alt, durchaus nicht veraltet ist.

Arthur Schopenhauer , Manuskript 1826

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie sowie den Upanishaden > hier.

Anmerkungen
(1)
Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band IX: Parerga und Paralipomena II, Kap. 8: Zur Ethik, S. 239.
(2) Helmuth von Glasenapp, Die Religionen Indiens, Stuttgart 1943, S. 113.
(3) Chandogya-Upanishad 3.14.1, zit. aus: Die Weisheit der Upanishaden, aus dem Sanskrit von Karl Friedrich Geldner, hrsg. von Axel Michaels, München 2006, S. 9.
(4) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga … II, Kap. 15: Ueber Religion, § 177: Ueber das Christenthum, S. 411.
(5) Ebd., S. 408.

Die altindischen Upanishaden – Schopenhauers Trost

„Ich gestehe“, notierte Arthur Schopenhauer 1816 in sein Manuskript, “ daß ich nicht glaube, daß meine Lehre je hätte entstehn können, ehe die Upanishaden, Plato und Kant ihre Strahlen zugleich in eines Menschen Geist werfen konnten.“(1)

Schopenhauer nannte im obigen Zitat die Upanishaden an erster Stelle, also noch vor den von ihm hochgeschätzten Philosophen Platon und Kant. Das ist kein Zufall, denn die Upanishaden, diese Weisheitstexte aus dem alten Indien, die als Teil der heiligen Veden zum Kern der Philosophie des heutigen Hinduismus wurden, waren für Schopenhauers Leben und Werk von zentraler Bedeutung.(2)

Upanishaden : Symbol OM

Upanishaden
Symbol OM

Schopenhauer lernte jedoch die Upanishaden nicht in ihrer ursprünglichen Sprache, dem altindischen Sanskrit, sondern zunächst nur in ihrer lateinischen Übersetzung, Oupnekhat genannt, kennen. Jedoch diese Fassung in Latein ist auch nur eine Übersetzung, und zwar aus dem Persischen, welches vorher aus dem Sanskrit übersetzt wurde. Trotz dieser mehrfachen sprachlichen Übertragung, die zugleich auch eine Interpretation und Auswahl aus den ursprünglichen Upanishaden bedeutete, war Schopenhauer gerade von dieser Fassung überaus beeindruckt. So schrieb er voll innerer Ergriffenheit noch in seinem Spätwerk:

„Denn, wie atmet doch der Oupnekhat durchweg den heiligen Geist der Veden! Wie wird doch Der, dem, durch fleißiges Lesen, das Persisch-Latein dieses unvergleichlichen Buches geläufig geworden, von jenem Geist im Innersten ergriffen! Wie ist doch jede Zeile so voll fester, bestimmter und durchgängig zusammenstimmender Bedeutung! Und aus jeder Seite treten uns tiefe, ursprüngliche, erhabene Gedanken entgegen, während ein hoher und heiliger Ernst über dem Ganzen schwebt. Alles atmet hier Indische Luft und ursprüngliches, naturverwandtes Dasein. … Es ist die belohnendeste und erhebendeste Lektüre, die (den Urtext ausgenommen) auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein.“(3)

Schopenhauer sah in den Upanishaden, vor allem in der Fassung des Oupnekhats, nicht nur eine Bestätigung, sondern darüber hinaus auch eine wichtige Ergänzung seiner Philosophie:

„Wer … zu der Erkenntnis, bis zu welcher allein die Philosophie [und damit auch seine eigene] ihn leiten kann, … Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat.“(4)

Die Menschen haben, wie Schopenhauer zurecht darauf hinwies, gerade im Hinblick auf die „erschreckende Gewissheit des Todes“ ein „metaphysisches Bedürfnis„.(5) Die Upanishaden können dieses Bedürfnis weitgehend erfüllen, denn sie geben Antworten auf metaphysische, die Grenzen von Schopenhauers Philosophie überschreitende Fragen. Sie gehören zur Metaphysik, bei der es laut Schopenhauer um „die letzte Erklärung der Urphänome“ und somit auch darum geht, „Aufschluß zu ertheilen über Das, was hinter der Natur steckt“.(6) Es sind existenzielle Fragen, welche die Menschheit seit jeher bedrängen:

  • Woher komme ich und wohin gehe ich?
  • Was ist nach meinem Tode?
  • Gibt es einen Weltanfang und einen Weltuntergang, die sich vielleicht sogar ständig einander ablösen?
  • Was ist das Innerste, die Seele, des Menschen, ja aller Wesen?
  • Beruht letztlich alles auf einer EINHEIT – egal ob man sie Wille, das Brahman oder anders nennt – die unvergänglich ist und sich in allen vergänglichen Erscheinungen dieser Welt manifestiert?

Wie sehr solche und ähnliche Fragen sowie die Antworten, welche die Upanishaden auf sie geben, schon fast in den religiösen Bereich übergehen, zeigte sich am Beispiel Schopenhauers. Über ihn berichtete sein Biograf, Wilhelm v. Gwinner, der Schopenhauer noch persönlich kannte:

„Das Oupnekhat lag auf seinem Tisch, und vor dem Schlafengehen verrichtete er darin seine Andacht.“(7)

Überall in der Welt ist furchtbares Leid von Mensch und Tier – eine Tatsache, die völlig unvereinbar ist mit der angeblichen Existenz eines allgütigen und zugleich allmächtigen Gottes. Schopenhauer hat diesen Zusammenhang, der als Theodizee bezeichnet und von den theistischen Religionen möglichst verdrängt wird, in seiner Philosophie ausführlich dargelegt.(8) Es ist deshalb naheliegend, dass das Christentum für Schopenhauer keinen Trost bieten konnte. Den gaben ihm hingegen die Upanishaden, die Quelle spiritueller Weisheit des alten Indiens, dem „Vaterlande der Metaphysik“ :

Arthur Schopenhauer : Indien - Vaterland der Metaphysik

Bildausschnitt aus Schopenhauers Manuskript (9)

Schopenhauer war vom Wahrheitsgehalt in den metaphysischen Aussagen der Upanishaden, insbesondere des Oupnekhats, zutiefst überzeugt, und zwar auch deshalb, weil sie von den altindischen „Sehern“, den Rishis, stammten, die dem „Urquell der organischen Natur bedeutend näher standen, als wir“. Sie hatten, wie Schopenhauer meinte, „auch noch teils größere Energie der intuitiven Erkenntniskräfte, teils eine richtigere Stimmung des Geistes …, wodurch sie einer reineren, unmittelbaren Auffassung des Wesens der Natur fähig … waren … so entstanden in den Urvätern der Brahmanen [Priester], den Rishis, die fast übermenschlichen Konzeptionen, welche später in den Upanishaden, der Veden niedergelegt wurden“.(10) Auch daher wird verständlich, warum Arthur Schopenhauer gerade dort, also im Kern der Philosophie des Hinduismus, den Trost seines Lebens gefunden hatte.

H.B.

Weiteres zu den Upanishaden und zu
Schopenhauer und seiner Philosophie .

Anmerkungen

(1) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. v. Arthur Hübscher, Band I, München 1985, S. 422.
(2) S. hierzu auch > Die Veden und Schopenhauers Philosophie.
(3) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band X: Parerga und Paralipomena II, S. 437. (Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit wurde die Schopenhauer-Zitate mitunter leicht an die moderne Rechtschreibung angepasst.)
(4) Schopenhauer , a. a. O., Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 716.
(5)S. hierzu auch >Todesfurcht und metaphysisches Bedürfnis .
(6) Schopenhauer-Register von Gustav Friedrich Wagner, neu hrsg. v. Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1960, S. 271 f.
(7) Wilhelm v. Gwinner, Schopenhauers Leben, 3. Aufl., Leipzig 1910, S. 342.
(8) S. Schopenhauer zur > Theodizee .
(9) Ausschnitt aus: Arthur Schopenhauer , Manuskriptbuch Adversaria (1829), S. 332.
Quelle > Handschriftlicher Nachlaß (Univ.-Bibl. Frankfurt a. M. /Stand: 14.02.2021).
(10) Arthur Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 189.
Das Sanskritwort Rishis ist im Hinduismus die „allgemeine Bezeichnung für Seher, Heilige und inspirierte Dichter“ (Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Bern/München/Wien 1986, S. 309).

Hund und Mensch

Ich muss es aufrichtig gestehen, schrieb Arthur Schopenhauer in seinen letzten Manuskripten, der Anblick   j e d e s  Tieres  erfreut mich unmittelbar, und mir geht dabei das Herz auf; am meisten der der Hunde …

Mit seiner Tierliebe, vor allem aber mit seiner großen Zuneigung zu Hunden, stand Schopenhauer einsam in der Reihe der bedeutenden Denker seiner Zeit, ja wahrscheinlich ist er in dieser Hinsicht auch heute noch unter den weltberühmten Philosophen einmalig.

Kein Zweifel, Schopenhauer liebte Hunde, insbesondere dann, wenn er an die hässlichen Eigenschaften mancher Menschen dachte: Woran sollte man, fragte er, sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Misstrauen schauen kann? Dieses Menschenbild wird sicher manche Leser schockieren. Andererseits dürfte Schopenhauer auch vielen aus dem Herzen gesprochen haben, und zwar vor allem denen, die mit anderen Menschen schlechte Erfahrungen machen mussten und nur noch einen einzigen Freund haben: ihren Hund.

Auf meinen Spaziergängen treffe ich oft Hunde, die mich – besonders wenn sie mich schon kennen – mit ihrem, wie es Schopenhauer beschrieb, „so eindrucksvollen, wohlwollenden grundehrlichen Wedeln“ begrüßen. Allerdings gehe ich dabei nicht ganz so weit wie Schopenhauer, der „auf das Schwanzwedeln eines ehrlichen Hundes“ mehr gab, „als auf hundert Demonstrationen und Gebärdenseiner Mitmenschen.

Arthur Schopenhauer war jedoch weit mehr als nur normaler Hundefreund, sondern er war wohl der erste westliche Philosoph, der Hunde und auch andere Tiere zum Thema philosophischer Betrachtungen machte. Seine damit verbundenen, sehr tiefen Erkenntnisse stehen im völligen Gegensatz etwa zur Bibel, aber auch zur Meinung des ansonsten von ihm hochverehrten Philosophen Kant, für die Tiere kaum mehr als seelenlose Gebrauchsgegenstände waren. Schopenhauer hingegen sah in den Tieren etwas ganz anderes, nämlich das hinter allen äußeren Erscheinungsformen liegende Metaphysische. Voller Verwunderung, ja Ergriffenheit rief er aus: Welch ein unergründliches Mysterium liegt doch in jedem Tiere!

So war für Schopenhauer auch der Hund ein Mysterium, denn aus seinen Augen leuchtet das unzerstörbare Prinzip in ihm, der  Archäus, also die Urkraft in allem Lebendigen. Es ist bezeichnend, dass Schopenhauer sich so in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ äußerte, und zwar in einem der  wichtigsten Kapitel: „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesen an sich“.

Arthur Schopenhauer und seine Hunde, die Hundebilder in seinem Zimmer, die Pudel, die ihn auf seinen einsamen Spaziergängen begleiteten – alles das sind Themen, bei denen man auch heute noch glaubt, sich über Schopenhauer lustig machen zu dürfen. Mir scheint das weniger lustig als vielmehr Ausdruck dafür zu sein, wie wenig doch manche Leute von diesem Philosophen begriffen haben. Schon der Name Atma, den Schopenhauer  seinen Hunden gab, war den meisten seiner Zeitgenossen völlig unverständlich. Gerade diese Bezeichnung weist auf den Kern der Philosophie Schopenhauers und der von ihm überaus hoch geschätzten altindischen   > Upanishaden hin: Atma, genauer Atman, bedeutet in etwa Einzelseele. Dazu fassen die Upanishaden ihre tiefste Erkenntnis in die Worte:  > Tat twam asi Das bist Du – Die Einzelseele ( Atman ) ist identisch mit der Weltseele ( Brahman )! Das gilt für den Menschen, für den Hund, ja für jedes Lebewesen. Vielleicht, meiner Meinung nach sogar sicherlich, ist das,  was Schopenhauer als „unzerstörbares Prinzip“, als „Archäus“ (Urkraft), aus den Augen eines Hundes leuchten sah, nicht verschieden von dem, was die Upanishaden als Brahman, Weltseele, bezeichnen.

Ich muss zugeben, mir selbst waren solche Aussagen früher ziemlich unverständlich. Ich fand sie schon auf Grund meiner naturwissenschaftlichen Orientierung eher als weltfremde Spinnerei. Doch eines Tages blickte mir ein Hauskaninchen, das ich zu betreuen hatte, in die Augen. Es war wie eine Offenbarung und damit der entscheidende Schritt zu einem völlig neuen Verständnis des im Grunde esoterischen Kerns der Upanishaden und der Philosophie Schopenhauers!  So hatte ich von einem Tier mehr gelernt als es aus bloßem Bücherstudium möglich gewesen wäre. Seitdem bin ich – wie Arthur Schopenhauer – von der Wesensgleichheit alles Lebendigen überzeugt. Deshalb sehe ich auch das Verhältnis von Mensch und Hund nicht unter dem Gesichtspunkt von Über- und Unterordnung, wie sie etwa in der Bezeichnung “ Herrchen“ für die „Besitzer“ von Hunden zum Ausdruck kommt. Einen Hund zu „besitzen“ ist kein Naturrecht des Menschen, sondern – dessen sind sich leider viele nicht bewusst – die Übernahme einer Sorgepflicht!
hb

Übersicht (alphabet. in Stichworten) zu den Themen der Arthur Schopenhauer Blogs
> hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
> hier

Der Arthur Schopenhauer Studienkreis stellt sich vor > hier

Tierethik und Philosophie : Arthur Schopenhauer > hier

Schopenhauer : Metaphysik und der innere Weg

Philosophie, erklärte Arthur Schopenhauer im Kap. „Über das metaphysische Bedürfnis des Menschen“, ist wesentlich Weltweisheit. Von einer Weltweisheit erwarte ich, dass sie mir Lebensorientierung gibt, und zwar gerade in den schweren Stunden des Lebens. Vertiefe ich mich jedoch dazu in philosophische Lehrbücher, so bekomme ich dort eine Vielzahl von zumeist einander widersprechender Meinungen geboten, ja oft habe ich den Eindruck bloßer Begriffsakrobatik. Aussagen, die wirklich etwas mit meinem Leben hier und heute zu tun haben, finde ich dort eher selten.

Da schon in der Schule die Naturwissenschaften meine Lieblingsfächer waren, hatte ich gehofft, durch sie Antworten auf existentielle Lebensfragen zu finden. Hierbei fiel mir auf, dass insbesondere in den Grenzbereichen der Physik Probleme aufgeworfen werden, die nicht wenige Physiker veranlassten, nach Antworten zu suchen, die jenseits der Physik liegen. So zum Beispiel „liebte“ Albert Einstein, wie er selbst bekannte, vor allem die Werke Schopenhauers, ja in einer weit verbreiteten Einstein-Monografie wird Schopenhauer sogar als dessen „Mentor“ bezeichnet. Noch enger verbunden mit Arthur Schopenhauer war einer der bedeutendsten Schüler Einsteins, der spätere Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, den man zu Recht als „Schopenhauerianer“  bezeichnen könnte.

Andererseits hatte Schopenhauer, der mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner  Zeit durchaus gut vertraut war, die Bedeutung der Physik für die Erklärung unserer Welt hervorgehoben. Hierbei wies Schopenhauer aber auch darauf hin, dass die Physik wie alle Naturwissenschaften ihre Grenzen hat, so dass sie zwar helfen kann, Probleme zu erkennen, aber nicht bis in ihre letzten Ursachen zu lösen. So war Schopenhauer davon überzeugt, dass die Physik, nicht … zur befriedigenden Lösung des schweren Rätsels der Dinge  und zum wahren Verständnis der Welt jemals zu führen vermag.  Der Schlüssel zur Lösung liege nicht in der Physik, sondern jenseits von ihr, in der Metaphysik. Nur die Metaphysik gäbe Aufschluss … über das, was hinter der Natur steckt, und sie möglich macht.

Schopenhauer meinte damit nicht die „Volksmetaphysik“, wie sie den Menschen von den herrschenden Religionen schon im Kindesalter als Dogmen einprägt wird, sondern eine im echten Sinne philosophisch auf Erfahrung beruhende Metaphysik. Eine solche Metaphysik ist ein Wissen, geschöpft aus der Anschauung der äußern, wirklichen Welt. Entscheidend sei hierbei die Einsicht, dass die letzten  und wichtigsten Aufschlüsse über das Wesen der Dinge allein aus dem Selbstbewusstsein geschöpft werden können. Also: Nicht in den Naturwissenschaften, auch nicht in den Dogmen der „Landesreligionen“, sondern nur in uns selbst können wir – wenn überhaupt – letztlich das finden, was hinter unserem Leben steht, ja dieses überhaupt erst möglich macht.

Gründliche, klare und zusammenhängende Kenntnis aller Zweige der Naturwissenschaft
, schrieb Schopenhauer, sei wichtig, um das metaphysische Problem zu erkennen, dann aber muss der Blick des Forschers sich nach innen wenden. Somit geht es um einen, wie ich es nennen möchte, „inneren Weg“. Schopenhauer wies dazu an vielen Stellen seines Werkes auf die zentrale Bedeutung von  Kontemplation bzw. >  Meditation hin. So befindet er sich auch in dieser Hinsicht in erstaunlicher Übereinstimmung mit den „indischen“ Religionen, die in ihrem Kern weniger Glaubens- als vielmehr Erkenntnislehren sind. Das gilt vor allem für den Buddhismus. Schon vor mehr als 2500 Jahren verkündete der Buddha: In diesem sechs Fuß hohen, mit Wahrnehmung und Bewußtsein versehenen Körper, da ist die Welt enthalten, ihr Entstehen und Vergehen, wie auch zu der Welt Ende führende Pfad.

Heute setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch: Wir sind  nicht die von Gott gewollten Herrscher über die Natur, sondern ein untrennbarer Teil von ihr, ja wir sind selbst Natur. Suchen wir das, was das eigentliche „Wesen“ der Natur ist, so muss das Gesuchte auch in uns selbst enthalten sein.  Philosophische Schriften zur „Weltweisheit“, einschließlich die von Arthur  Schopenhauer, können hierbei bestenfalls wertvolle Hinweise geben. Sie sind jedoch, wie es in einem Gleichnis aus dem ZEN heißt, nur der Finger, der auf den Mond weist, nicht der Mond selbst.

Übrigens, der „innere Weg“ bedeutet nicht unbedingt völlige Abkehr vom äußeren Leben oder gänzlicher Rückzug aus dieser Welt – das wäre ohnehin kaum möglich. Bereits ein besinnlicher, achtsamer  Gang inmitten der Natur, kann schon zu Erkenntnisse führen, die kein Biologiebuch zu vermitteln vermag. Mir jedenfalls hat das schon sehr geholfen und, wie ich glaube, auch weitergebracht, und zwar nicht nur in äußerlicher Hinsicht. Aber: Wenn man sich hierbei, wie auch von Schopenhauer beschrieben wurde, eins mit der Natur fühlt, wie kann man dann noch Äußeres und Inneres unterscheiden? Die Antwort hierauf haben die altindischen Weisen, die „Rishis“, gegeben, deren, so Schopenhauer, fast übermenschliche Konzeptionen später in den Upanishaden niedergelegt wurden. Für Schopenhauer enthielten die Upanishaden den Gipfel metaphysischer Erkenntnis, ausgedrückt im Tat-tvam-asi = Das bist du selbst, die Identität der Weltseele mit der Einzelseele. Demnach ist in seinem Wesen das Äußere identisch mit dem Inneren!

Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2006 wurde zur Ausstellung ein Begleitbuch mit Beiträgen zum Thema “ Arthur Schopenhauer und Indien “ herausgegeben. Es trägt den Titel Das Tier, das du jetzt tötest, bist du selbst… Bereits 1977 brachte ich in meinem Beitrag Vegetarismus und Tierschutz in der (indischen) Jaina-Religion in der Zeitschrift „Der Vegetarier“  ein ähnliches Zitat. Ich verwies dabei auf den Grundsatz der AHIMSA, der Gewaltlosigkeit, der auch gegenüber Tieren gilt, und der, wie der deutsche Religionswissenschaftler Heiler schrieb, in der letzten Identität zwischen Mensch und Tier wurzelt. Der damalige Redakteur der genannten Zeitschrift, ein Professor der Biologie, verstand zunächst diese Begründung nicht.

Heute weiß ich, und zwar durch Schopenhauer: Nur durch Biologie, also ohne Metaphysik, ist das obige Zitat nicht wirklich zu verstehen. Ja, ohne Metaphysik kann ethisches Denken und Handeln nicht begründet und damit auch eine Lebensorientierung, die mehr ist als eine bloß egoistisch ausgerichtete Lebensgestaltung, nicht gefunden werden. Auch diese keineswegs nur theoretische, sondern höchst praktische Erkenntnis gehört für mich zu Arthur Schopenhauers Lebensphilosophie.
hb

Übersicht (alphabet. in Stichworten) zu den Themen der Arthur Schopenhauer Blogs > hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier

Arthur Schopenhauer : Ganzheitliches Denken

Ganzheitlich – ist heute schon fast zu einem Modebegriff geworden. Oft wird dieses Wort  in Zusammenhang mit Gesundheit, Psychotherapie und anderen Heilverfahren gebraucht, um die Einheit von Körper, Geist und Seele zu kennzeichnen. Auch wenn es um das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, also um Ökologie, geht, wird das Ganzheitliche unseres Seins hervorgehoben.  Jedoch nur wenige Menschen sind sich bewusst, was dieses Wort im umfassenden Sinne bedeutet.

Bereits in der deutschen Mystik, wie z. B. bei Jakob Böhme, wird das Ganze als ein Gebilde angesehen, das mehr ist als die Summe seiner Teile.  Das bedeutet: Selbst wenn wir jeden Teil für sich verstanden haben, verstehen wir noch nicht das Ganze. Wenn wir zum Beispiel ein Lebewesen in seine Teile zerlegen (grausiger Gedanke!) und die Funktion jedes Organs, jedes Teils genaustens analysieren und verstehen würden, könnten wir immer noch nicht das Lebewesen in seiner Ganzheit vollständig erklären, denn was wir analysieren, ist eine Summe einzelner Leichenteile, nicht aber das lebendige Wesen.

Wissenschaft beruht jedoch weitgehend auf analytischen, also „zerlegenden“ Methoden. Eine Ganzheit wird zerlegt, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die dann  mitunter auf diese Ganzheit bezogen werden. Dabei werden zur Beschreibung Begriffe verwendet. Begriffe werden aber – wie schon aus dem Wort hervorgeht – dadurch gebildet, dass aus einem Ganzen das für ihn Typische herausgegriffen wird. Somit sind Begriffe Abstraktionen, welche die Wirklichkeit , das lebendige Ganze nur  annähernd beschreiben können.

Arthur Schopenhauer ist bereits am Anfang seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung auf die Probleme eingegangen, die sich in diesem Zusammenhang für die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkennntnis stellen:

Wollte die Wissenschaft die Kenntnis von ihrem Gegenstande dadurch erlangen, dass sie alle durch den Begriff gedachten Dinge einzeln erforsche, bis sie so allmählich das Ganze erkannt hätte; so würde teils kein menschliches Gedächtnis zureichen, teils keine Gewißheit der Vollständigkeit zu erlangen sein.

Ausgehend von Kants Kritik der reinen Vernunft, kam Schopenhauer zu der Erkenntnis, dass alles, was uns in dieser Welt als Vielheit erscheint, genauer:  was wir uns auf Grund unserer Gehirnfunktionen in Raum und Zeit als Vielheit vorstellen, ist Ausdruck einer EINHEIT, die Schopenhauer Wille nannte. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Weisheitslehrer im alten Indien. Nach den von Schopenhauer hoch geschätzten Upanishaden sind  alle Einzelwesen (Atman) Manifestationen von Brahman . Ja, wie man vielleicht übersetzen kann, die Einzelseele (Atman) ist in ihrem Wesen letztlich identisch mit der Weltseele (Brahman). Diese Aussage gipfelt in dem Lehrsatz, der nach Schopenhauers Überzeugung die tiefste indische Wahrheit enthält.: Tat Tvam Asi – „Das bist du“, d.h., „das Absolute ist mit dir wesenseins“.

Zu einer solchen tiefen Erkenntnis kann man nicht durch Vernunft, nicht durch wissenschaftliches Forschen, nicht durch begriffliches (diskursives) Denken gelangen. Es müssen dazu Grenzen unseres „normalen“ Denkens durchbrochen, es muss, wie es Schopenhauer nannte, das > principium individuationis überwunden werden.  Stark vereinfacht, aber dadurch vielleicht verständlicher gesagt: Es geht hierbei um eine fundamentale Richtungsänderung, nämlich vom ICH zum GANZEN.

Stellen wir uns zum Verständnis dessen, was sonst kaum zu verstehen ist, einmal den ganzen Kosmos als ein lebendiges Ganzes vor, von dem wir ein kleines Teilchen, so etwa wie das Blatt eines Baumes, sind. Das Teil mag untergehen, das Blatt mag sterben, das Ganze bleibt bestehen, der Baum lebt weiter. Wer so denkt, kommt zu einem völlig anderen Verständnis des Todes. Der wird vielleicht auch das berühmteste Kapitel in Schopenhauers Hauptwerk, in dem schon viele Menschen letzten Trost gefunden haben, verstehen, nämlich Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich.

Arthur Schopenhauer bekannte sich zum Buddhismus und bezeichnete sich und seine Anhänger als „Buddhaisten“. Aus buddhistischer Sicht  würde ich hier nicht allein das „Denken“ in den Vordergrund stellen, sondern vielmehr das in der Meditation erlebbare  ganzheitliche Schauen, das zu dem führen kann, was am Ende des buddhistischen Erkenntnisweges steht:  ERLEUCHTUNG.
hb

Übersicht (alphabet. in Stichwörtern) zu den Themen der Arthur Schopenhauer Blogs > hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
 > www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de

Arthur Schopenhauer : Güte des Herzens

Arthur Schopenhauer war ein sehr tiefgründiger Philosoph. Jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Philosophen verstand er es, das von ihm Erkannte in wunderbaren, eindrucksvollen Worten zum Ausdruck zu bringen. Hierzu ein Beispiel, das mich immer wieder  berührt, und das ich gern zitiere, weil es über den Philosophen hinaus auch den Menschen Arthur Schopenhauer zeigt:

Wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blaß und unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie, und ebenfalls die Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens. Wo diese in hohem Grade hervortritt, kann sie den Mangel jener Eigenschaften so sehr ersetzen, daß man solche vermißt zu haben sich schämt.

Sogar der Beschränkteste Verstand, wie auch die groteske Häßlichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens sich in ihrer Begleitung kundgetan, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer Schönheit höherer Art, indem jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jede andere verstummen muß. Denn die Güte des Herzens ist eine transzendente Eigenschaft, gehört einer über dieses Leben hinausreichenden Ordnung der Dinge an und ist mit jeder anderen Vollkommenheit inkommensurabel  (unvergleichbar). 

Wo sie (die Güte des Herzens) in hohem Grade vorhanden ist, macht sie das Herz so groß, daß es die Welt umfaßt, so daß jetzt alles in ihm, nichts mehr außerhalb liegt; da sie ja alle Wesen mit dem eigenen identifiziert. Alsdann  verleiht sie auch gegen andere jene grenzenlose Nachsicht, die sonst jeder nur sich selber widerfahren läßt … 

 Schopenhauer hat hier etwas zum Ausdruck gebracht, was auch im Buddhismus von grundlegender Bedeutung ist, nämlich die Weisheit von der Wesensgleichheit alles Lebendigen. Letztlich ist es die Identifizierung des eigenen mit dem fremden Wesen. So heißt es im Dhammapada, der ältesten Spruchsammlung mit buddhistischen Weisheiten: Erkenn´ Dich selbst in jedem Sein, darum töte nicht und laß´nicht töten! (Übers. K. E. Neumann)  In den von Schopenhauer hoch geschätzten altindischen Upanishaden lautet die zentrale Botschaft: Tat Tvam Asi , Das bist Du!, Atman und Brahman sind identisch!, was sich vielleicht so übersetzen lässt: Deine Seele und die Weltseele sind EINS!

hb

Übersicht zu den Themen der Arthur Schopenhauer – Blogs > hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
> www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de

Arthur Schopenhauer : Religion – "Lug und Trug"?

Religion ist nicht – wie oft behauptet – bloß eine Privatsache, sondern weit darüber hinaus auch eine Angelegenheit von großer gesellschaftlicher, ja politischer Bedeutung.  Dementsprechend hat in Deutschland Religion Verfassungsrang. Auch Arthur Schopenhauer hatte sich mit dem Thema „Religion“ intensiv auseinander gesetzt und sich hierzu ausführlich geäußert, und zwar besonders im Kapitel 15 von „Pererga II“ („Über Religion“). Dort lässt Schopenhauer in Form eines Dialoges einen „Mann des Volkes“ (Demopheles) mit einem „Freund der Wahrheit“ (Philalethes) über dieses Thema diskutierten.  Hierbei fordert der „Mann des Volkes“,  dass der Glaube jedes Menschen, also die Religion, auch dem „Freund der Wahrheit“ heilig sein solle. Dieser bestreitet das, denn er sehe nicht ein, warum er „der Einfalt des Andern wegen, Respekt vor Lug und Trug haben sollte“. Die Wahrheit hingegen würde er überall achten.

Arthur Schopenhauer hatte damit eine alte Streitfrage aufgeworfen, nämlich Wahrheit gegen Religion oder genauer: gegen „Lug und Trug“, für das er die Religion offenbar hielt. Der von den Religionen erhobenen Forderung, man müsse sie tolerieren, stellt der „Mann der Wahrheit“ die Frage entgegen: „Ziemt es Dem, Toleranz, ja zarte Schonung zu predigen, der die Intoleranz und Schonungslosigkeit selbst ist? Ich rufe Ketzergerichte und Inquisitionen, Religionskriege und Kreuzzüge, Sokrates´ Becher und Bruno´s und Vavini´s Scheiterhaufen zum Zeugen an!“

Eine überaus schwere Anklage, die da Schopenhauer gegen die Religionen erhoben hatte. Dennoch hielt er Religionen nicht für überfüssig. Für ihn war Religion die „Metaphysik des Volks“.  Menschen haben, so Schopenhauer , ein „metaphysisches Bedürfnis“ . Diesem Bedürfnis entsprechen mehr oder weniger die Religionen, denn bei schweren Schicksalsschlägen kann wohl niemand Trost und Kraft im Materialismus finden und das Metaphysische in der Philosophie ist nur wenigen zugänglich.

Gerade was die Religionen angeht, müssen Pauschalurteile vermieden werden. Schopenhauer selbst bezeichnete sich und seine Anhänger als „Buddhaisten“. Dem Buddhismus gab er den Vorzug vor allen anderen Religionen und die altindischen Upanishaden waren der Trost seines Lebens. In diesen uralten indischen Lehren, die wohl mehr Philosophie als Religion sind, fand sich Schopenhauer bestätigt. Es sind Lehren, die Wege zur Selbsterkenntnis und damit zur Erlösung aufzeigen. Die großen, weithin herrschenden monotheistischen  Religionen stehen dazu und damit auch zu Schopenhauer in schroffem Gegensatz.

Dort, wo der Glaube allein selig machend ist, geht es nicht – wie bei Schopenhauer – um ein philosophisches Ergründen der Wahrheit. Entscheidend  ist vielmehr der Glaube, dass das, was in „heiligen Schriften“ offenbart wurde, die Wahrheit sei. Ein Hinterfragen, ob es wirklich die Wahrheit oder doch nur „Lug und Trug“ ist, kann und darf es da nicht geben. Auch hieran zeigt sich, wie berechtigt die Forderung Schopenhauers ist, Philosophie und Religion strikt voneinander zu trennen. Übrigens, „wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt unchristliche Antworten“ (Wilhelm Busch).

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
> www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de

Arthur Schopenhauer : Metaphysik – ein menschliches Bedürfnis

Arthur Schopenhauer und „das metaphysische Bedürfnis“

Schopenhauer hat sich zu diesem, für ihn sehr wichtigen Thema ausführlich in Kapitel 17 des 2. Bandes seines Hauptwerkes  „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (Band2) geäußert. Hierbei verstand er unter Metaphysik „jede angebliche Erkenntnis … über das, was hinter der Natur steht und sie möglich macht.“ Eine solche Erkenntnis sei, so Schopenhauer, möglich, weil unsere Erfahrung aus zwei Teilen besteht, nämlich das, was wir als „Erscheinung“ wahrnehmen und jenes, das hinter den Erscheinungen steht – nach Kant  „das Ding an sich“ , oder wie es Schopenhauer nannte : Der Wille“.

Physik und Metaphysik unterscheiden sich (nach Schopenhauer) dadurch, dass  Physik die  „Erscheinungen“ , hingegen die Metaphysik „das Ding an sich“ betrifft. Hinter dem Physischen der Welt stecke ein Metaphysisches. So sei die Metaphysik die letzte Erklärung der „Urphänomene“ und damit insgesamt auch der Welt.

Das Bedürfnis nach einer solchen „letzten“ Erklärung der Welt und damit nach Metaphysik ergebe sich dann, wenn der  Mensch über sein eigenes Dasein verwundert sei und sich seiner Sterblichkeit bewusst werde.  Dieses metaphysische Bedürfnis wird für viele Menschen durch die Religion befriedigt.  Für „philosophisch veranlagte Köpfe“  hingegen, reiche die von der Religionen  gelieferte „leichte Kost“ nicht; sie suchen nach tieferen Erkenntnissen. Hierbei, so schien es Schopenhauer, hatten frühere Menschengeschlechter, da sie der Natur näher standen, eher die Fähigkeit, zu tieferen (metaphysischen) Einsichten in das Wesen der Natur zu kommen, als die heutigen Menschen.  Sie konnten so ihr metaphysisches Bedürfnis auf eine (im Vergleich zu den heute herrschenden Religionen) „würdigere Weise“ befriedigen.

Schopenhauer wies in diesem Zusammenhang auf die altindischen Upanishaden der Veden hin. Die Upanishaden waren für Schopenhauer die hervorragendste Quelle, das metaphysische Bedürfnis des Menschen zu stillen, ja sie wurden für ihn selbst zum „Trost seines Lebens und Sterbens“.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer > www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de