Schopenhauer : Das Unbewusste

Arthur Schopenhauer war wohl weltweit einer der ersten Philosophen, der auf die kaum zu überschätzende Bedeutung des Unbewussten für alle Lebensbereiche hinwies:

Alles Ursprüngliche, und daher alles Echte im Menschen wirkt, als solches, wie die Naturkräfte, unbewusst. Was durch das Bewusstsein hindurchgegangen ist, wurde eben damit zu einer Vorstellung: folglich ist die Äußerung desselben gewissermaßen Mittheilung einer Vorstellung. Demnach nun sind alle echten […] Eigenschaften des Charakters und des Geistes ursprünglich unbewusste, und nur als solche machen sie tiefen Eindruck. Alles Bewusste der Art ist schon nachgebessert und ist absichtlich, geht daher schon über in Affektation [Getue],  d. i. Trug. Was der Mensch unbewusst leistet, kostet ihm keine Mühe, lässt aber auch durch keine Mühe sich ersetzen: diese Art ist das Entstehen ursprünglicher Konzeptionen [schöpferische Einfälle], wie sie allen echten Leistungen zum Grunde liegen und den Kern derselben ausmachen. Darum ist nur das Angeborene echt und stichhaltig, und jeder, der etwas leisten will, muss in jeder Sache, im Handeln, im Schreiben, im Bilden, die Regeln befolgen, ohne sie zu kennen.
( Arthur Schopenhauer , Parerga II, § 340. )

Wenn ein großer, wahrscheinlich sogar der größte Teil des menschlichen Verhaltens unbewusst ist und somit der Mensch Regeln befolgt, die in seiner Natur liegen, ihm aber nicht bewusst sind, wo ist dann die Freiheit des Handelns? Abgesehen von dem in Schopenhauers Philosophie zentralen Problem der Willensfreiheit, stellt sich auch hier die Frage: Wie frei ist der Mensch?

Übrigens, Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, schrieb mit Bezug auf Schopenhauer:

Die wenigsten Menschen dürften sich klar gemacht haben, einen wie folgenschweren Schritt die Annahme unbewusster seelischer Vorgänge für Wissenschaft und Leben bedeuten würde. Beeilen wir uns aber hinzuzufügen, dass nicht die Psychoanalyse diesen Schritt zuerst gemacht hat. Es sind namhafte Philosophen als Vorgänger anzuführen, vor allem der große Denker Schopenhauer, dessen unbewusster “ Wille “ den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichzusetzen ist.
(Zit. aus „Über Arthur Schopenhauer“. Hrsg. von Gerd Haffmanns, Zürich 1977, S. 219.)

Daher kann Schopenhauer mit seiner sehr tiefgründigen Philosophie als Wegbereiter für die moderne Psychologie gelten. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass einer der einflussreichsten amerikanischen Psycho-analytiker, Irvin D. Yalom, vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel The Schopenhauer-Cure geschrieben hatte, das ein Bestseller wurde und als Übersetzung (Die Schopenhauer-Kur) auf dem deutschsprachigen Markt ebenfalls großen Erfolg hatte. Auch das zeigt, wie aktuell Arthur Schopenhauer geblieben ist.
H.B.
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