Arthur Schopenhauer : Grenzenloser Egoismus

Sind wir alle nur Egoisten ? Wenn ich die Menschen und ihr Verhalten beobachte, komme ich mitunter in Versuchung, diese Frage zu bejahen. Selbst die Religionen gehen offenbar davon aus, dass die Menschen durch und durch von ihrem Egoismus beherrscht werden. So versprechen sie für „gute“ Taten Belohnungen im Himmel  oder stellen, falls sie an Seelenwanderung glauben, eine bessere Wiedergeburt in Aussicht. Vegetariervereine werben für den Vegetarismus  nicht nur mit Tierschutz-, sondern, vielleicht sogar noch mehr,  mit Gesundheitsargumenten. Ebenso appellieren Tierschutzorganisationen an den Egoismus, wenn sie immer noch das Argument, dass Tierschutz Menschenschutz sei, verwenden. Schon Arthur Schopenhauer hatte sich entschieden gegen solche Argumentation gewandt:

Die Tierschutzgesellschaften, in ihren Ermahnungen, brauchen noch immer das schlechte Argument, dass Grausamkeit gegen Tiere zu Grausamkeit gegen Menschen führe; – als ob bloß der Mensch ein unmittelbarer Gegenstand der moralischen Pflicht wäre, das Tier bloß ein mittelbarer, an sich eine bloße Sache! Pfui!

Diese wenigen Beispiele zeigen deutlich, wer etwas bei den Menschen bewirken will, muss an ihren Egoismus appellieren. Den Grund hierfür hat Arthur Schopenhauer sehr klar dargelegt:

Die Haupt- und Grundtriebfeder im Menschen wie im Tiere ist der Egoismus, d. h. der Drang zum Dasein und Wohlsein … Dieser Egoismus ist im Tiere wie im Menschen mit dem innersten Kern und Wesen desselben aufs genauste verknüpft, ja eigentlich identisch. Daher entspringen in der Regel alle seine Handlungen aus dem Egoismus …

Hieraus folgt, so Schopenhauer, dass  „die Berechnung aller Mittel“, mit denen „man den Menschen nach irgendeinem Ziele hinzulenken sucht“, auf dem Egoismus „durchgängig gegründet ist“.

Der Egoismus ist seiner Natur nach grenzenlos: der Mensch will unbedingt sein Dasein erhalten, will es von Schmerzen, zu denen auch aller Mangel und Entbehrung gehört, unbedingt frei, will die größtmögliche Summe von Wohlsein und will jeden Genuß, zu dem er fähig ist, ja, sucht womöglich noch neue Fähigkeiten zum Genusse in sich zu entwickeln.

Zu den Folgen, die dieser Egoismus auch im Verhältnis  der Menschen zueinander haben kann, schreibt Schopenhauer:

Alles, was sich dem Streben seines (des Menschen) Egoismus entgegenstellt, erregt seinen Unwillen, Zorn, Haß: er wird es als seinen Feind zu vernichten suchen. Er will womöglich alles genießen, alles haben; da aber dies unmöglich ist, wenigstens alles beherrschen: ´Alles für mich, und nichts für die andern `, ist sein Wahlspruch. Der Egoismus ist kolossal: er überragt die Welt.

Für mich liegt in diesen Worten Schopenhauers auch die Erklärung dafür, warum bisher alle sozialistischen Experimente gescheitert sind und sich der Kapitalismus als die  zwar nicht moralisch, aber wirtschaftlich überlegene Gesellschaftsform erwiesen hat. Wie sehr der Egoismus im Menschen ausgeprägt ist, zeigt  Schopenhauer sehr drastisch an einem Beispiel:

… wenn jedem einzelnen die Wahl gegeben würde zwischen seiner eigenen und der übrigen Welt Vernichtung, so brauche ich nicht zu sagen, wohin sie, bei den allermeisten, ausschlagen würde. Demgemäß macht jeder sich zum Mittelpunkt der Welt, bezieht alles auf sich und wird … z. B. die größten Veränderungen im Schicksal der Völker, zunächst auf sein Interesse dabei beziehen und, sei dieses noch so klein und mittelbar, vor allem daran denken…

Dieses, also sind die Elemente, woraus,  auf der Basis des Willens zum Leben, der Egoismus erwächst, welcher zwischen Mensch und Mensch stets wie ein breiter Graben liegt. Springt wirklich einmal einer darüber, dem andern zu Hilfe, so ist es wie ein Wunder, welches Staunen erregt und Beifall einerntet …  

Dieses „Wunder“ , dass ein Mensch dem anderen Menschen oder einem Tier zu Hilfe kommt, ist eigentlich gar nicht so selten. Arthur Schopenhauer selbst hat es in seine Werken oftmals beschrieben, nämlich dann, wenn die andere Seite des Menschen, das Mitleid, sein Handeln bestimmt.  Im Mitleid überspringt der Mensch den breiten Graben, der ihn sonst vom anderen Menschen und besonders vom Tier trennt. Nicht durch Appelle, nicht durch Belohnungen und Drohungen wird der Egoismus überwunden, sondern durch das Mitleid, welches, so betonte Schopenhauer, die Grundlage jeder Ethik ist.  In diesem Sinne lässt sich die eingangs gestellte Frage beantworten: Ja, wir sind alle Egoisten, aber eben nicht nur, denn wir haben in uns auch eine moralische Seite, das Mitleid.
 hb

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11 Gedanken zu “Arthur Schopenhauer : Grenzenloser Egoismus

  1. Es ist doch aber auch so, dass wenn ich etwas verändern will, muß ich bei zuerst mir
    anfangen. Wenn ich mich ändere, ändert sich auch mein Umfeld. Das wäre dann auch Egoismus? Weil ich bei mir zuerst anfange?

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    1. Entscheidend ist das Motiv für meine Handlung. Wenn ich nur etwas zu meinem eigenen Nutzen tue, dann ist mein Handeln egoistisch. Versuche ich hingegen, mich zu ändern, um meinen Egoismus abzubauen, dann wäre mein Motiv altruistisch, also das Gegenteil von Egoismus.

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  2. So sprach der Buddha:
    „Aus dem Willen stammt das Ãœbel,
    aus dem Willen stammt das Leiden.
    Durch Beseitigung des Willens erfolgt die Beseitigung des Ãœbels,
    durch Beseitigung des Ãœbels erfolgt die Beseitigung des Leidens.“
    (Aus den Lehrreden des Buddha; Samy.Nik. 1,34,3; übers.von H.v.Glasenapp)

    Anmerkung: In einer anderen Ãœbersetzung heißt es nicht „Wille“, sondern „Begierde“. Für Schopenhauer war die Begierde Ausdruck des „Willens“. Wie dem auch sei, auch hier zeigt sich, wie ähnlich Schopenhauers Philosophie der Lehre des Buddha ist. Verständlich, wenn Schopenhauer sich und seine Anhänger als „Buddhaisten“ bezeichnete.

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  3. Wenn Tierschutzvereine mit dem Argument werben, Tierschutz sei Menschenschutz, so mag das zwar egoistisch sein, aber es hilft den Tieren – darauf kommt es mir an!

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    1. Auch mir kommt es sehr darauf an, dass den Tieren geholfen wird. Das ändert aber nichts an der Feststellung, dass das Argument, Tierschutz sei Menschenschutz, egoistisch ist. Ich bin hier ganz der Meinung Schopenhauers.

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  4. Ja, wir alle, auch ich sind Egoisten, weil es für das „Ãœberleben“ jedes einzelnen von grosser Wichtigkeit ist. Gäbe es diesen Egoismus nicht, dann würden wir wohl gar nicht existieren, folglich würde ich wohl jetzt auch kaum diese Zeilen schreiben können 😉 Aber um jetzt auf den Punkt zu kommen … dieser „gesunde“ Egoismus hat in unserer heutigen Gesellschaft inzwischen fast schon unerträgliche Dimensionen angenommen. Genauer gesagt, ich beobachte schon seit längerer Zeit, dass unzählige Menschen in der heutigen Zeit im Zuge ihres eigenen Egoismus völlig die Kontrolle verloren haben.
    Das fängt schon beim Autofahren an … jeder gegen jeden und ohne Rücksicht auf Regeln und Menschenleben. Na ja … nicht immer, aber ausgesprochen oft zu beobachten. Viele Menschen haben ein Problem damit, sich an Regeln zu halten, ob es Verordnungen, Gesetze oder die Vertretung moralischer Werte sind. Jeder ist nur noch mit sich beschäftigt und eilt irgend einem Ziel nach, und zwar fast schon mit allen Mitteln. Dazu fällt mir auch gerade ein Zitat meines Lieblings-Philosophen Arther Schopenhauer ein: „Alles für mich, nichts für die anderen …“
    Wir werden eines Tages für dieses egoistische Fehlverhalten einen hohen Preis bezahlen … falls das nicht inzwischen sogar schon eingetreten ist …

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    1. Ein Mindestmaß an Egoismus ist zweifellos Voraussetzung für unsere Existenz. Dieses Mindestmaß wird in unserer Gesellschaft aber weit überschritten. Auch das zeigt meiner Meinung nach, dass das oft kritisierte Menschenbild Schopenhauers ziemlich zutreffend ist.

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  5. Oh ja, auch wenn Schopenhauer so manches übertrieben hat … seine Darlegungen sind grösstenteils zutreffend. Ich bin fasziniert von diesem Menschen Arthur Schopenhauer !! Im übrigen habe ich mir schon oft vorgestellt, er hätte genau 100 Jahre später gelebt … oh weh !!

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  6. Hätte Schopenhauer 100 Jahre später, also zwischen 1888 und 1960 gelebt, ich glaube, er hätte sich im Hinblick auf das furchtbare Geschehen jener Zeit (zwei Weltkriege, Stalin, Hitler …) noch deutlicher ausgedrückt. Jedenfalls ist seine negative Einschätzung dieser Welt inzwischen mehr als bestätigt worden. So ist Schopenhauer aktueller denn je!

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  7. Schopenhauer ist der Wahrheit sehr nahe. Für unser Dasein können wir zunächst mal nichts. Füllen wir es mit genug Wohlgefühlen, existieren wir gerne. Überwiegt der Schmerz, sind wir auch bereit, nicht mehr nach Dasein zu streben. Egoismus ist unvermeidlich, weil wir stets andere brauchen, um an Wohlgefühle zu kommen. Unser von ihnen Getrenntsein benötigt den interaktiven Informationsaustausch, um das beiderseitige Geben und Nehmen so gerecht zu gestalten, daß Zufriedenheit für alle entsteht. Gelingt uns das, wird Kommunikation, das mächtigste Werkzeug der Welt, zur Verständigung, zum Vehikel zu unserem elementaren Ziel Wohlgefühle im weitesten Sinne. Wohlgefühle sind nur über Unwohlgefühle i. w. S. erfahrbar, weil nur Unterschiede Wahrnehmungen ermöglichen. Dies erklärt, warum wir uns immer erst anstrengen müssen, um wirklich zufrieden zu werden. Die Natur hat mit diesem Prinzip auch unsere Fortpflanzung gesichert. Unsere Welt könnte so einfach sein, würden das viele wissen und sich mit dem beschäftigen, was unser Geben und Nehmen immerwieder so unwahr macht mit entsprechenden Auswirkungen auf unsere Wohlgefühl-Balancen, das jede Menge Mißverständnisse, Reibungsverluste, Mißerfolge, Frustrationen, Aggressionen und Gewalteskalationen entstehen.

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