All-Einheit und Vielfalt der Natur

Die Fähigkeit zur Philosophie, so meinte Arthur Schopenhauer bestehe im Erkennen des Einen im Vielen und des Vielen im Einen. 1

Um die überaus erstaunliche Vielfalt der Lebensformen in der Natur zu erkennen, bedarf es keiner besonderen Bemühungen. Sie ist augenscheinlich. Darin aber irgendeine „Einheit“ oder sogar „All-Einheit“ zu erkennen, ist schon weit schwieriger:

Die Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt wahrzunehmen, ist vor allem auf die Erhaltung seines Lebens ausgerichtet. Deshalb sind die menschlichen Sinne dazu bestimmt, die Natur möglichst in ihrer ganzen Vielheit zu erfassen und so auch drohende Gefahren zu erkennen.

Dennoch gab es schon in alten Kulturen Menschen, die sich mit dieser, auf die bloße Lebenserhaltung beschränkte Naturerkenntnis nicht begnügen wollten, ja die sich sogar wunderten über die Natur, die Welt und ihr eigenes Dasein. Schopenhauer sah in dieser „Verwunderung“ den Ursprung der Philosophie. 2

So war es schon im alten Indien. Dort lebten in den Urwäldern, umgeben von einer prachtvollen Vielfalt der Natur, weise Einsiedler und Asketen, die sich fragten: Was verbirgt sich hinter dieser unüberschaubaren Vielfalt? Liegt dieser Vielheit vielleicht sogar eine allumfassende Einheit zugrunde? Die Antwort auf solche und ähnliche Fragen ist in den altindischen Upanishaden überliefert. Es ist die Lehre von der All-Einheit. Der Indologe Helmuth von Glasenapp schrieb hierzu in seiner Philosophie der Inder:

„Das Hauptanliegen der bedeutendsten Texte, die in einer Upanishad gesammelt sind, ist … die Darstellung einer All-Einheitslehre, für welche das Brahma [Brahman] oder der Atman die letzte Essenz des Weltalls und jedes Einzelwesens ist. Auf diesen Abschnitten, in denen eine tiefsinnige Mystik zum Teil in sinnvollen Gleichnissen einen ebenso lebendigen wie erhabenen Ausdruck findet, beruht der Ruhm der Upanishaden und zugleich ihre hohe geistesgeschichtliche Bedeutung: sie sind die Grundwerke, auf denen sich bis heute alle System aufbauen, die sich Vedanta nennen …“ 3

Brahman wird oft mit Weltseele und Atman mit Einzelseele übersetzt. Doch eigentlich ist, wie der Indologe Heinrich Zimmer meinte, Brahman „kein Wort, das einfach übersetzt werden kann“. 4 Laut Zimmer ist der Begriff Brahman die „seit den vedischen Zeiten bis zum heutigen Tage die unvergleichlichste, bedeutendste Konzeption der Hindu-Religion und -Philosophie gewesen“.

Das Brahman, so erklärte Zimmer weiter, sei „die höchste, letzte transzendente Kraft, die den sichtbaren und greifbaren Schichten unseres Wesens innewohnt, transzendiert sowohl den sogenannten ´grobstofflichen Leib` wie die Innenwelt … Als die Macht, welche alle Dinge des Mikrokosmos wie auch die Außenwelt durchdringt und belebt, ist sie … identisch mit dem Selbst (atman) – dem höheren Aspekt dessen, was wir im Westen, ohne Unterscheidungen zu machen, Seele nennen“. 5

Schopenhauer war sich der zentralen Bedeutung des Begriffes Brahman in der indischen Philosophie wohl bewusst. Er sah im Begriff Brahman eine grundlegende Übereinstimmung mit seiner Philosophie, nach welcher sich ein metaphysischer „Wille“ in allen Erscheinungsformen dieser Welt manifestiert. So suchte er in allen Veröffentlichungen, die ihm zugänglich waren, Bestätigung, dass dieser Wille identisch ist mit dem, was in der von ihm hochgeschätzten Vedanta-Philosophie Brahman genannt wird. 6 Da dieser metaphysische „Wille“ laut Schopenhauer besonders deutlich als Wille zum Leben erscheint und dieser in allen Lebewesen existiert, ist jedes Leben – trotz äußerlichen Unterschiede – mit jedem anderen im innersten Wesen identisch.

Die in der Vielfalt der Natur verborgene All-Einheit wurde in Indien schon vor weit mehr als zwei Jahrtausenden erkannt. Über die Weisen, die zu dieser zutiefst spirituellen Erkenntnis kamen, schrieb Schopenhauer mit Worten der Bewunderung, dass sie „dem Urquell der organischen Natur bedeutend näher standen, als wir, … wodurch sie einer reineren, unmittelbaren Auffassung des Wesens der Natur fähig“ waren. So seien in den Rishis, also den Weisen des alten Indiens, „die fast übermenschlichen Konceptionen, welche später in den Upanischaden der Veden niedergelegt wurden“, entstanden. 7

Schopenhauers Bewunderung ist verständlich, denn er konnte seine Philosophie in Übereinstimmung mit der All-Einheitslehre der altindischen Upanishaden sehen und sich so bestätigt finden. Die Erkenntnis von der All-Einheit der Natur hat jedoch weit mehr als nur philosophisch-theoretische Bedeutung: Menschen, die von dieser Erkenntnis durchdrungen sind, haben ein positives Verhältnis zur Natur und sehen in allem Leben, also auch in Tieren und Pflanzen, nicht bloß Objekte der Ausbeutung. Sie neigen zu einem schonenderen Umgang mit der Natur, mit menschlichem und nichtmenschlichem Leben. Für Arthur Schopenhauer war die Erkenntnis von der All-Einheit der Natur die philosophische Grundlage seiner auch die Tiere einbeziehenden Ethik. 8

H.B.

Weiteres zu > Schopenhauer und die > All-eins-Lehre
sowie den > Upanishaden.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 124.
2 Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt als Wille … II, S. 199.
3 Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder, Stuttgart 1974, S. 38.
4 Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens, Zürich 1973, S. 79.
5 Ebd., S. 83.
6 Vgl. Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 4, I, München 1985, S. 125 und 143.
7 Schopenhauer, a. a.O., Band III: Die Welt als Wille … II, S. 189.
8 Schopenhauer, a. a. O., Band IX: Parerga und Paralipomena II, Kap. 8: Zur Ethik, S. 239.
Weiteres > Upanishaden : Tat twam asi .

Schopenhauer : Gutes Prinzip

Beruht die Welt auf einem guten Prinzip? Das folgende Zitat von Arthur Schopenhauer deutet eher auf das Gegenteil hin:

Die Welt ist die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin. 1

Wenn Schopenhauer im obigen Zitat die Menschen als “Teufel” bezeichnete, so dachte er wohl auch daran, wie entsetzlich Tiere unter den Menschen leiden müssen: Man möchte wahrlich sagen: die Menschen sind die Teufel der Erde, und die Tiere die geplagten Seelen. 2

So beschrieb Schopenhauer in seinen Werken sehr eindrucksvoll die Welt als “Hölle” für Mensch und Tier. Jedoch selbst in dieser „Hölle“ besteht – davon war Schopenhauer überzeugt – Grund für Hoffnung! Schopenhauer erklärte seine Zuversicht mit der nicht zu bestreitenden Tatsache, dass es unter den Menschen nicht nur “Teufel” gibt, sondern auch, “wiewohl sehr sporadisch, aber doch stets von Neuem uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts, und ebenso auch des großen Verstandes, des denkenden Geistes, ja, des Genies. Nie gehen diese ganz aus: sie schimmern uns, wie einzelne glänzende Punkte, aus der großen dunkeln Masse entgegen. Wir müssen sie als ein Unterpfand nehmen, dass ein gutes und erlösendes Prinzip in diesem Sansara [irdischen Welt] steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann.” 3

Solche „Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts“ sind im Leben vielleicht häufiger anzutreffen, als das vorstehende Schopenhauer-Zitat zum Ausdruck bringt. So sind etwa die von Schopenhauer hoch geschätzten Tierschutzvereine deutliche Beispiele für tätige Mitleidsethik. Dort, aber auch anderswo, wirken keine „teuflischen“, sondern mitfühlende, selbstlose Wesen. Es sind jene Menschen, die helfen, dass diese Welt weniger eine „Hölle“ bleibt und stattdessen für Mensch und Tier lebenswerter wird.

„Gutes Prinzip“ – hierbei handelt es sich nicht um das Ergebnis einer bloß philosophisch-theoretischen Betrachtung, vielmehr geht es um etwas, das jeder kennt, nämlich Mitleid. „Dieses Mitleid“, so schrieb Schopenhauer, „aber ist eine unleugbare Tatsache des menschlichen Bewusstseins, ist diesem wesentlich eigen, beruht nicht auf Voraussetzungen, Begriffen, Religionen, Dogmen, Mythen, Erziehung oder Bildung; sondern ist ursprünglich und unmittelbar, liegt in der menschlichen Natur selbst … und zeigt sich in allen Ländern und Zeiten.“ 5

Es ist das „natürliche Mitleid“, das „ethische Urphänomen“, wie es Schopenhauer nannte. 6 „Dieser Vorgang ist mysteriös; … Und doch ist er alltäglich. Jeder hat ihn oft an sich selbst erlebt; sogar dem Hartherzigsten und Selbstsüchtigsten ist er nicht fremd geblieben. Er tritt täglich ein vor unseren Augen, im einzelnen, im kleinen, überall, wo auf unmittelbaren Antrieb, ohne viel Überlegung ein Mensch dem andern hilft und beispringt, ja bisweilen selbst sein Leben für einen, den er zum ersten Male sieht, in die augenscheinlichste Gefahr setzt.“ 7

Zeigt nicht jedes Beispiel selbstlosen Verhaltens, dass in der Welt, obwohl sie von „gequälten Wesen“ zuweilen als „Hölle“ empfunden wird, ein gutes Prinzip wirksam ist? Jedenfalls gibt es nicht nur das Prinzip „Fressen und Gefressenwerden“. Es scheint auch ein Naturprinzip zu sein, bei welchem – nach Schopenhauers Worten – „die Natur nichts Wirksameres leisten konnte, als dass sie in das menschliche Herz jene wundersame Anlage pflanzte, vermöge welcher das Leiden des Einen vom Andern mitempfunden wird, und aus der die Stimme hervorgeht, welche je nachdem der Anlass ist, diesem Schone! jenem Hilf! stark und vernehmlich zuruft.“ 8

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Quellen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IX: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 326.
(2) Schopenhauer, a. a. O., Band X: Parerga II, S. 410.
(3) Schopenhauer, a. a. O., Band IX: Parerga II, S. 238.
(4) S. dazu: Arthur Schopenhauer über Tierschutz und Tierschutzvereine >hier.
(5) Schopenhauer, a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 252.
(6) Ebd., S. 249 und 252.
(7) Ebd., S. 269.
(8) Ebd., S. 285.

Wahrheit und gekränkte Eitelkeit

Wahrheit und Eitelkeit vertragen sich nicht. Besonders Arthur Schopenhauer musste das erfahren, denn in seiner Philosophie gilt der Grundsatz: Ehrwürdig ist die Wahrheit; nicht was ihr entgegensteht. 1 So kam es dann, dass nicht wenige Menschen sich durch seine Wahrheiten in ihrer Eitelkeit verletzt fühlten.

Wo ist eine Eitelkeit, die ich nicht gekränkt hätte? – fragte Arthur Schopenhauer in einem Brief an seinen Freund und aktivsten Anhänger Julius Frauenstädt. 2 Seine Frage war durchaus berechtigt, denn es waren viele Eitelkeiten. Jedoch die größte Eitelkeit, die Schopenhauer gekränkt hatte, war der Wahn der Menschen, ihr Glaube, mehr als nur ein Teil der Natur zu sein. Die Menschen sahen sich, und viele sehen sich wohl auch heute noch so, wie die christliche Kirche es sie lehrte, nämlich als Ebenbild Gottes, als Krönung der Schöpfung und dementsprechend auch als Herrscher über die Natur. Martin Luther zum Beispiel bestärkte sie in diesem Glauben, indem er in einer seiner „Tischreden“ sagte: Alle Wälder und Hölzer sind unsere Jägerei … Denn es ist alles um unser, der Menschen Willen geschaffen. 3

Entgegen dem Luther-Zitat vertrat Schopenhauer eine völlig andere Meinung, die er im Rahmen seiner Philosophie metaphysisch sehr tief begründete. Der Philosoph und Schopenhauer-Forscher Heinrich Hasse schrieb hierzu:

„Schonungslos und freimütig, wie wenige Betrachter der eigenen [also der menschlichen] Gattung es gewesen sind, hat Schopenhauer auch auf diesem Gebiet allen falschen Respekt überwunden. Er sieht und schildert das Typische am Menschen mit dem durchdringenden Blick eines Forschers, welchem die Rücksicht auf Wahrheit höher steht als die Rücksicht auf menschliches Vorurteil und menschliche Eitelkeit.

Ohne Bedenken wird die moderne Wissenschaft und die auf ihr fußende Weltanschauung sich den Gedanken anschließen, mit welchen Schopenhauer die Einordnung des Menschen in die Reihe der höheren Wirbeltiere vollzieht.

Obwohl seine Hypothese über den Ursprung des Menschen nur als interessantes Vorspiel einer wissenschaftlich gesicherten Deszendenztheorie [Abstammungslehre] gelten kann, bildet die philosophische Zurückweisung einer supranaturalistisch [übernatürlich] begründeten Sonderstellung des Menschen gegenüber den Tieren und die damit verbundene Anerkennung der Wesensverwandtschaft des Menschen mit der Tierwelt eine innerhalb des abendländischen Denkens höchst verdienstvolle Tat.

Ihre Bedeutung erscheint noch größer bei der Erwägung, daß (im Gegensatz zur indischen Weltauffassung) das christlich-europäische Denken mit der Leugnung dieser Wesensverwandtschaft die Einheit des organischen Lebens gesprengt, den Menschen von der Tierreihe willkürlich losgerissen und die Tiere zu moralischer Rechtlosigkeit verurteilt hatte.“ 4

Auch Hasses Hinweis auf die Rechtlosigkeit der Tiere entspricht völlig Schopenhauers Philosophie, denn dort begründete Schopenhauer sehr eingehend, „daß die Thiere, in der Hauptsache und im Wesentlichen, ganz das Selbe sind, was wir, und daß der Unterschied bloß im Grade der Intelligenz, d. i. Gehirntätigkeit liegt […] Erst wann jene einfache und über allen Zweifel erhabene Wahrheit in´s Volk gedrungen sein wird, werden die Thiere nicht mehr als rechtlose Wesen dastehn und demnach der bösen Laune und Grausamkeit jedes rohen Buben preisgegeben sein; und wird es nicht jedem Medikaster freistehn, jede abenteuerliche Grille seiner Unwissenheit durch die gräßlichste Qual einer Unzahl Thiere auf die Probe zu stellen; wie heut zu Tage geschieht.“ 5 Übrigens, was Schopenhauer hier ansprach, sind die qualvollen Tierversuche, die damals so wie leider auch heute noch wissenschaftlicher Alltag und Ergebnis jener Auffassung sind, dass der Mensch unendlich weit über dem Tier stehe.

Eitelkeit, so meinte Arthur Schopenhauer, entstehe, indem der Mensch sich mit anderen Wesen vergleicht. Dabei sei er „auf keine Vorzüge … so stolz wie auf die geistigen: beruht doch nur auf ihnen sein Vorzug vor den Tieren.“ 6

Seit Schopenhauer muss jedoch die Wissenschaft immer deutlicher zur Kenntnis nehmen, dass die geistigen Fähigkeiten mancher Tiere mitunter die des Menschen übertreffen können. 7 Die Wissenschaft liefert fast täglich neue Beweise, dass hoch entwickelte Tiere in ihrem Denken und Fühlen den Menschen wesentlich näher stehen, als viele Tiernutzer es wahrhaben wollen. 8

So ist der Glaube des Menschen, er sei berechtigt, sich ohne irgendwelche moralischen Bedenken über das Tier und die übrige Natur zu erheben, ein Irrglaube. Schopenhauer hatte diesem Irrglauben entschieden wie kaum ein anderer weltberühmter Philosoph widersprochen und dabei die Eitelkeit des sich als „Krone der Schöpfung“ fühlenden Menschen gekränkt.

Die Kränkung wurde ihm übel genommen. Arthur Schopenhauer blieb dabei – der Wahrheit wegen. Wohl nicht ganz zu Unrecht schrieb er in seinem eingangs erwähnten Brief: Man dient nicht der Welt und der Wahrheit zugleich.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band V: Ueber den Willen in der Natur, Zürich 1977, S. 237.
(2) Brief vom 21.08.1852, in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 292.
(3) D. Martin Luther´s sämtliche Schriften, XXII. Band. Enthaltend: Die Colloquia oder Tischreden, hrsg. und erl. von Karl Eduard Förstemann, Leipzig 1844, S. 141.
(4) Heinrich Hasse , Schopenhauer , München 1926, S. 450 f. Dieses Buch ist auch heute noch eine der besten Darstellungen zu Schopenhauers Leben und Werk (> mehr).
(5) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, a. a. O., Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 15: Ueber Religion, § 177: Ueber das Christenthum, S. 415.
(6) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, a. a. O., Band VIII: Parerga und Paralipomena I, Aphorismen zur Lebensweisheit, Zürich 1977, S. 501 f.
(7) Abgesehen davon, sind geistige Fähigkeiten noch keine moralischen Qualitäten, weil es darauf ankommt, ob sie für moralisch gute oder verwerfliche Zwecke eingesetzt werden.
(8) S. hierzu Beispiele:
(a) Der Geist der Tiere , Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion, hrsg, von Dominik Perler und Markus Wild, Frankfurt am Main 2005.
(b) James Serpell, Das Tier und wir, Rüschlikon-Zürich 1990.
(c) Frans de Waal, Der Affe in uns, München-Wien 2006.

Schopenhauer : Natur und Mensch

„Wie ästhetisch ist doch die Natur!“ – schrieb Arthur Schopenhauer voller Bewunderung angesichts der Schönheit der Natur:

„Jedes ganz unangebaute und verwilderte, d. h. ihr selber frei überlassene Fleckchen, sei es auch klein, wenn nur die Tatze des Menschen davon bleibt, dekoriert sie alsbald auf die geschmackvollste Weise, bekleidet es mit Pflanzen, Blumen und Gesträuchen, deren ungezwungenes Wesen, natürliche Grazie und anmutige Gruppierung davon zeugt, daß sie nicht unter der Zuchtrute des großen Egoisten aufgewachsen sind, sondern hier die Natur frei gewaltet hat.“ (1)

Der „große Egoist“, unter dessen „Zuchtrute“ die Natur leidet, ist der Mensch. Leider kann er sich hierbei durch die Religion gerechtfertigt fühlen, „denn es ist“, wie Martin Luther sagte, „Alles um unser, der Menschen, Willen geschaffen“. (2) Luther konnte sich dabei auf die Bibel berufen, wo es zum Beispiel in der Genesis (1,28) heißt:

„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht!“

Im Gegensatz zu manchen ökologisch orientierten Christen, denen dieses Zitat ziemlich unangenehm ist, blieb Schopenhauer bei der Wahrheit und versuchte nicht, es zu beschönigen, also etwa durch abwegige Auslegungen den eindeutigen Wortlaut umzuinterpretieren. So sah Schopenhauer, dem das Wohl auch der Tiere am Herzen lag, in dieser Bibelstelle einen „Grundfehler des Christentums“, weil hiernach „der Schöpfer … sämtliche Tiere, ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter Behandlung, … dem Menschen übergibt, damit er über sie herrsche, also mit ihnen tue, was ihm beliebt“. (3)

„Mehret euch und füllet die Erde“ – die Menschen haben diesen vermeintlich göttlichen Auftrag erfüllt und erfüllen ihn weiter! Wohin diese unbegrenzte Vermehrung auf einer begrenzten Erde mit begrenzten Ressourcen führt, muss nicht näher erläutert werden. Die katastrophalen Folgen sind offenbar.

Weit mehr noch als zu Zeiten Schopenhauers wird immer deutlicher: die „Tatze des Menschen“ lässt kaum noch ein Fleckchen Natur unberührt. Das ist nicht nur zum Schaden der Natur, sondern auch des Menschen, denn er ist ja selbst – wie Tier und Pflanze – ein untrennbarer Teil der Natur!

Wie kaum ein anderer weltbekannter Philosoph hatte Arthur Schopenhauer die Einheit allen Lebens in seiner Philosophie hervorgehoben und dabei den angemaßten Anspruch des Menschen, Herrscher über die übrige Natur zu sein, entschieden zurückgewiesen.

Gerade die heutigen Diskussionen über mehr Umwelt- und Klimaschutz, über die Vernichtung der tropischen Regenwälder oder andere gewaltige Zerstörungen der Natur zeigen, wie Recht der Philosoph Max Horkheimer hatte, als er in einem Vortrag meinte:

Das Denken Schopenhauers ist unendlich aktuell. (4)

H.B.

Weiteres zum Thema Natur in Schopenhauers Schriften > hier .

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 33: Vereinzelte Bemerkungen über die Naturschönheit, S. 478.
(2) Vollständiges Luther-Zitat in: D. Martin Luther´s Tischreden oder Colloquia, hrsg. und erl. von Karl Eduard Förstemann, Leipzig 1844, S. 141.
(3) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga und Paralipomena II, § 177: Ueber das Christenthum, S. 408 f.
Mehr zum Thema Schopenhauer und die Tiere > hier.
(4) Zit. aus: Über Arthur Schopenhauer , hrsg. von Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1977, S. 159.

Mensch und Umwelt in Schopenhauers Philosophie

Arthur Schopenhauer hat wie kaum ein anderer weltberühmter Philosoph in seiner Philosophie die Einheit allen Lebens hervorgehoben und metaphysisch tief begründet. Alles Lebendige, ja alles, was wir wahrnehmen, sind Erscheinungsformen von etwas Metaphysischem: Die Theisten nennen es Gott, in den von Schopenhauer hoch geschätzten altindischen Upanishaden heißt es Brahman, Schopenhauer nannte es Wille.

Im Hinduismus wird die Einheit allen Lebens in drei Sanskritworten zusammengefasst: Tat Twam Asi, das heißt wörtlich übersetzt, Das bist Du! Obwohl sich alle Lebewesen mehr oder weniger äußerlich unterscheiden, sind sie in ihrem innersten Wesen gleich und werden – soweit der Hinduismus theistisch ist, als göttlich aufgefasst. Schopenhauer hat sich in seinen Werken mehrmals auf diese Sanskritworte bezogen und sie als eine Kernaussage seiner Philosophie hervorgehoben. Wir alle, ob Mensch, Tier oder Pflanze, sind  Manifestationen eines metaphysischen Willens und somit – auch wenn uns das nicht immer bewusst ist  – wesensgleich.

Aus der Erkenntnis der Wesensgleichheit von Mensch und übriger Natur ergibt sich ein anderes Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Es ist kein göttlich legitimiertes Herrschaftsverhältnis, das die Menschen von vornherein berechtigt, die Natur zu beherrschen und sich untertan zu machen.

Schädigt der Mensch die Natur, in der er lebt und deren Teil er ist, so schädigt er sich letztlich selbst – eine Erkenntnis, die mehr und mehr Menschen bewusst wird.  Mensch und Umwelt sind eine Einheit. Arthur Schopenhauer hat hierfür im Rahmen seiner Willensmetaphysik eine spirituell sehr tiefe und – wie ich meine – auch überzeugende Begründung gegeben.

Ein den Menschen – nicht nur metaphysisch – besonders verbundener Teil der Natur sind die Tiere. Schopenhauer hob das vor allem in seiner Ethik hervor. So bezog er in seine Mitleidsethik die Tiere ausdrücklich mit ein. Durch das Mitleid werden die sonst im Alltag empfundenen Grenzen zwischen den Menschen, aber auch, wenngleich seltener, zwischen Mensch und Tier mehr und mehr aufgehoben.  Am Ende werden diese Grenzen nicht mehr bewusst wahrgenommen, so dass durch das Mitleid die von Schopenhauer metaphysisch begründete Einheit allen Lebens auch im Alltag in Erscheinung tritt. So steht Schopenhauers Mitleidsethik ganz im Einklang mit einem allumfassenden Schutz der Natur, was zugleich eine möglichst weitgehende Schonung der Umwelt bedeutet. In diesem Sinne  enthält Schopenhauers Philosophie, auch wenn er diesen Namen nicht verwendet hat, eine metaphysisch begründete Umweltethik.

Selbst wenn nicht alle Umweltschäden durch menschliches Handeln verursacht werden, so sind doch viele Umweltkatastrophen zumindest mittelbar Folgen einer skrupellosen Ausbeutung der Natur, die in unserer Zeit durch eine lediglich an Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaft immer noch gesteigert wird. Somit ist die von Schopenhauer angeprangerte unersättliche Gier des Menschen einer der wesentlichen Ursachen für die Zerstörung des Lebensraumes von Mensch, Tier und Pflanze.

Riesige Weltbrände, wie etwa kürzlich in Australien mit weit mehr als einer Milliarde verbrannter Tiere, sind traurige Beipiele dafür, wie sehr unsere Zeit, und zwar mit zunehmender Tendenz, bestimmt wird durch gewaltige Umweltkatastrophen. Gerade im Hinblick auf die immer katastrophaler werdende Umweltzerstörung ist Schopenhauers Philosophie von größter Aktualität.

Was einen Menschen zum Philosophen  macht, schrieb der 26-jährige Schopenhauer in eines seiner Manuskripte, sei „der Mut, keine Frage auf dem Herzen zu behalten“. (1) Dementsprechend nahm er schon vor bald 200  Jahren zu einer Frage Stellung, die, wie es scheint, heute  fast als Tabu gilt, nämlich Frage nach den Folgen der geradezu explosionsartigen Zunahme der Weltbevölkerung. Die „Übervölkerung des ganzen Planeten“ sei ein Resultat, „dessen entsetzliche Übel sich jetzt nur eine kühne Einbildungskraft zu vergegenwärtigen vermag“. (2) Die Folgen der immer weiter steigenden Übervölkerung des Erdballs für die Umwelt sind überaus beängstigend und lassen kaum Hoffnung auf nachhaltige Fortschritte im Umweltschutz.

Die weltweite Zerstörung der Umwelt, wie zum Beispiel die hemmungslose Vernichtung der für die ganze Menschheit  lebenswichtigen Urwälder am Amazonas,  zeigt leider sehr deutlich, wie Recht der Philosoph Max Horkheimer in seiner Rede zum 100. Todestag Arthur Schopenhauers hatte, wenn er meinte: „Das Denken Schopenhauer ist unendlich aktuell.“(3)

Gegen Schluss seiner Ansprache meinte Horkheimer, dass Schopenhauers Philosophie zwar angesichts der Realitäten illusionslos sei, aber dennoch nicht in Hoffnungslosigkeit endet: „Es gibt wenige Gedanken, deren die Zeit mehr bedürfte und die bei aller Hoffnungslosigkeit, wie er sie ausspricht, mehr von Hoffnung wissen als die seinen.“ (4) Worauf diese Hoffnung des vermeintlichen „Pessimisten“ Arthur Schopenhauer gegründet ist, habe ich  in meinem Beitrag Leid und Erlösung etwas näher erläutert.

H.B.

S. auch > Tierethik und Schopenhauers Philosophie

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier .

Anmerkungen

(1) Arthur Schopenhauer : Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. v. Arthur Hübscher, München 1985, Band 1, Frühe Manuskripte (1804-1818), S. 126,

(2) Arthur Schopenhauer : Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band II, Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 436.

(3)  Max Horkheimer : Die Aktualität Schopenhauers , Vortrag, gehalten zum 100. Todestag Schopenhauers am 21. September 1960 in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., zit. aus: Über Arthur Schopenhauer , hrsg. v. Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1981, S. 159.

(4) Ebd.,  S. 164.

 

 

Schopenhauer : Metaphysik und der innere Weg

Philosophie, erklärte Arthur Schopenhauer im Kap. „Über das metaphysische Bedürfnis des Menschen“, ist wesentlich Weltweisheit. Von einer Weltweisheit erwarte ich, dass sie mir Lebensorientierung gibt, und zwar gerade in den schweren Stunden des Lebens. Vertiefe ich mich jedoch dazu in philosophische Lehrbücher, so bekomme ich dort eine Vielzahl von zumeist einander widersprechender Meinungen geboten, ja oft habe ich den Eindruck bloßer Begriffsakrobatik. Aussagen, die wirklich etwas mit meinem Leben hier und heute zu tun haben, finde ich dort eher selten.

Da schon in der Schule die Naturwissenschaften meine Lieblingsfächer waren, hatte ich gehofft, durch sie Antworten auf existentielle Lebensfragen zu finden. Hierbei fiel mir auf, dass insbesondere in den Grenzbereichen der Physik Probleme aufgeworfen werden, die nicht wenige Physiker veranlassten, nach Antworten zu suchen, die jenseits der Physik liegen. So zum Beispiel „liebte“ Albert Einstein, wie er selbst bekannte, vor allem die Werke Schopenhauers, ja in einer weit verbreiteten Einstein-Monografie wird Schopenhauer sogar als dessen „Mentor“ bezeichnet. Noch enger verbunden mit Arthur Schopenhauer war einer der bedeutendsten Schüler Einsteins, der spätere Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, den man zu Recht als „Schopenhauerianer“  bezeichnen könnte.

Andererseits hatte Schopenhauer, der mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner  Zeit durchaus gut vertraut war, die Bedeutung der Physik für die Erklärung unserer Welt hervorgehoben. Hierbei wies Schopenhauer aber auch darauf hin, dass die Physik wie alle Naturwissenschaften ihre Grenzen hat, so dass sie zwar helfen kann, Probleme zu erkennen, aber nicht bis in ihre letzten Ursachen zu lösen. So war Schopenhauer davon überzeugt, dass die Physik, nicht … zur befriedigenden Lösung des schweren Rätsels der Dinge  und zum wahren Verständnis der Welt jemals zu führen vermag.  Der Schlüssel zur Lösung liege nicht in der Physik, sondern jenseits von ihr, in der Metaphysik. Nur die Metaphysik gäbe Aufschluss … über das, was hinter der Natur steckt, und sie möglich macht.

Schopenhauer meinte damit nicht die „Volksmetaphysik“, wie sie den Menschen von den herrschenden Religionen schon im Kindesalter als Dogmen einprägt wird, sondern eine im echten Sinne philosophisch auf Erfahrung beruhende Metaphysik. Eine solche Metaphysik ist ein Wissen, geschöpft aus der Anschauung der äußern, wirklichen Welt. Entscheidend sei hierbei die Einsicht, dass die letzten  und wichtigsten Aufschlüsse über das Wesen der Dinge allein aus dem Selbstbewusstsein geschöpft werden können. Also: Nicht in den Naturwissenschaften, auch nicht in den Dogmen der „Landesreligionen“, sondern nur in uns selbst können wir – wenn überhaupt – letztlich das finden, was hinter unserem Leben steht, ja dieses überhaupt erst möglich macht.

Gründliche, klare und zusammenhängende Kenntnis aller Zweige der Naturwissenschaft
, schrieb Schopenhauer, sei wichtig, um das metaphysische Problem zu erkennen, dann aber muss der Blick des Forschers sich nach innen wenden. Somit geht es um einen, wie ich es nennen möchte, „inneren Weg“. Schopenhauer wies dazu an vielen Stellen seines Werkes auf die zentrale Bedeutung von  Kontemplation bzw. >  Meditation hin. So befindet er sich auch in dieser Hinsicht in erstaunlicher Übereinstimmung mit den „indischen“ Religionen, die in ihrem Kern weniger Glaubens- als vielmehr Erkenntnislehren sind. Das gilt vor allem für den Buddhismus. Schon vor mehr als 2500 Jahren verkündete der Buddha: In diesem sechs Fuß hohen, mit Wahrnehmung und Bewußtsein versehenen Körper, da ist die Welt enthalten, ihr Entstehen und Vergehen, wie auch zu der Welt Ende führende Pfad.

Heute setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch: Wir sind  nicht die von Gott gewollten Herrscher über die Natur, sondern ein untrennbarer Teil von ihr, ja wir sind selbst Natur. Suchen wir das, was das eigentliche „Wesen“ der Natur ist, so muss das Gesuchte auch in uns selbst enthalten sein.  Philosophische Schriften zur „Weltweisheit“, einschließlich die von Arthur  Schopenhauer, können hierbei bestenfalls wertvolle Hinweise geben. Sie sind jedoch, wie es in einem Gleichnis aus dem ZEN heißt, nur der Finger, der auf den Mond weist, nicht der Mond selbst.

Übrigens, der „innere Weg“ bedeutet nicht unbedingt völlige Abkehr vom äußeren Leben oder gänzlicher Rückzug aus dieser Welt – das wäre ohnehin kaum möglich. Bereits ein besinnlicher, achtsamer  Gang inmitten der Natur, kann schon zu Erkenntnisse führen, die kein Biologiebuch zu vermitteln vermag. Mir jedenfalls hat das schon sehr geholfen und, wie ich glaube, auch weitergebracht, und zwar nicht nur in äußerlicher Hinsicht. Aber: Wenn man sich hierbei, wie auch von Schopenhauer beschrieben wurde, eins mit der Natur fühlt, wie kann man dann noch Äußeres und Inneres unterscheiden? Die Antwort hierauf haben die altindischen Weisen, die „Rishis“, gegeben, deren, so Schopenhauer, fast übermenschliche Konzeptionen später in den Upanishaden niedergelegt wurden. Für Schopenhauer enthielten die Upanishaden den Gipfel metaphysischer Erkenntnis, ausgedrückt im Tat-tvam-asi = Das bist du selbst, die Identität der Weltseele mit der Einzelseele. Demnach ist in seinem Wesen das Äußere identisch mit dem Inneren!

Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2006 wurde zur Ausstellung ein Begleitbuch mit Beiträgen zum Thema “ Arthur Schopenhauer und Indien “ herausgegeben. Es trägt den Titel Das Tier, das du jetzt tötest, bist du selbst… Bereits 1977 brachte ich in meinem Beitrag Vegetarismus und Tierschutz in der (indischen) Jaina-Religion in der Zeitschrift „Der Vegetarier“  ein ähnliches Zitat. Ich verwies dabei auf den Grundsatz der AHIMSA, der Gewaltlosigkeit, der auch gegenüber Tieren gilt, und der, wie der deutsche Religionswissenschaftler Heiler schrieb, in der letzten Identität zwischen Mensch und Tier wurzelt. Der damalige Redakteur der genannten Zeitschrift, ein Professor der Biologie, verstand zunächst diese Begründung nicht.

Heute weiß ich, und zwar durch Schopenhauer: Nur durch Biologie, also ohne Metaphysik, ist das obige Zitat nicht wirklich zu verstehen. Ja, ohne Metaphysik kann ethisches Denken und Handeln nicht begründet und damit auch eine Lebensorientierung, die mehr ist als eine bloß egoistisch ausgerichtete Lebensgestaltung, nicht gefunden werden. Auch diese keineswegs nur theoretische, sondern höchst praktische Erkenntnis gehört für mich zu Arthur Schopenhauers Lebensphilosophie.
hb

Übersicht (alphabet. in Stichworten) zu den Themen der Arthur Schopenhauer Blogs > hier

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier

Arthur Schopenhauer : Hochmut und Menschenwürde

Die Buddhaisten, so meinte Arthur Schopenhauer, gehn in Folge ihrer tieferen, ethischen und metaphysischen Einsichten, nicht von  Kardinaltugenden, sondern von Kardinallastern aus. Zu diesen Lastern gehöre im Buddhismus, worauf Schopenhauer völlig zu Recht hinwies, vor allem der Hochmut. An diese Bemerkung Schopenhauers musste ich denken, als ich kürzlich in einer Zeitung (Berliner Zeitung vom  4. November 2009) einen Nachruf zum Tod des berühmten französischen Ethnologen Claude Levi-Strauss las. Hiernach war Levi-Strauss nicht der Romantiker, für den ihn viele halten, sondern Realist. So war für ihn, wie es im Nachruf heißt, der  Humanismus das Kreuz der Menschheit, weil er die Menschen über die Natur stellt und sie zur Ausbeutung ihrer selbst verdammt. In der humanistischen Erhöhung des Menschen sah Levi-Strauss nicht nur eine Gefahr für die Natur, sondern für den Menschen selbst. Dementsprechend lehnte er auch den auf einer solcher Selbstüberschätzung gegründeten Fortschrittsoptimismus ab.

Eine ähnliche Ansicht wie Levi-Strauss, jedoch 150 Jahre vorher, vertrat Arthur Schopenhauer. Auch er war ein entschiedener Gegner eines von Optimismus getragenen Fortschrittsglaubens, wie er sich im 19. Jahrhundert mehr und mehr herausgebildet hatte. Ist es nicht Hochmut zu glauben, der Mensch könne alles, würde immer vollkommener werden, so dass es nur noch voran ginge? Für den Bereich  der Naturwissenschaft und Technik mag es einen steten Fortschritt geben, aber wie steht es mit der Moral?  Wie dem  auch sei, dieser schon zu Schopenhauers Zeit weit verbreitete Optimismus wurde durch die furchtbaren Geschehnisse der letzten 100 Jahre in Frage gestellt, und  zwar in einem Ausmaß, wie es sich der angebliche „Pessimist“ Schopenhauer überhaupt nicht hätte vorstellen können.

Unsere Zeit wird nicht nur geprägt durch Kriege, sondern zunehmend auch durch Umweltzerstörungen, Klimakatstrophen und andere Gefahren, welche die Natur und mit ihr das Leben der Menschen bedrohen. Hochmut kommt vor dem Fall, sagt ein deutsches Sprichwort: Ist es nicht Ausdruck von Hochmut, von Überheblichkeit über die Natur, wie sie Levi-Strauss angeprangert hatte, wenn der Mensch meint, er könne als „Krone der Schöpfung“ die Natur beherrschen? Übrigens, was nützen „Fortschritt“ und Achtung der Menschenwürde, wenn am Ende die Natur derart zerstört ist, dass kein würdevolles Leben für den Menschen mehr möglich wird?

Schopenhauer stand nicht nur dem Fortschrittsglauben, sondern auch dem mehr oder weniger inflationären  Gebrauch des Begriffes „Menschenwürde“ kritisch gegenüber. Ihm schien der Begriff der Würde auf ein … so sündliches, am Geiste so beschränktes, am Körper so verletzbares und hinfälliges Wesen, wie der Mensch ist, nur ironisch anwendbar zu sein. Schopenhauer, für den die Menschenliebe zu den höchsten Tugenden gehörte, lehnte damit nicht grundsätzlich die Menschenwürde ab, wohl aber die gedankenlose Verwendung dieses hehren Wortes.
hb

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Arthur Schopenhauer über Scheinphilosophen und Seifenblasen

Gerade bei sog. „philosophischen“ Schriften ist es mir schon häufig vorgekommen, dass ich nachher feststellen musste: Es hat sich nicht gelohnt, es war Zeitverschwendung. Statt diese zu lesen, wäre ein Gang in die Natur nicht nur gesünder, sondern auch lehrreicher gewesen.  Die Verfasser derartiger Schriften werden zwar von Verlagen oft als „Philosophen“ vorgestellt, aber sind sie es wirklich oder sind sie nur – wie sie Schopenhauer nannte – „Philosophaster“, also  Scheinphilosophen? Schopenhauer dazu  bissig :

“ Was die Schreiberei unserer Philosophaster so überaus gedankenarm und dadurch marternd langweilig macht, ist zwar im letzten Grunde die Armut ihres Geistes, zunächst aber dieses, daß ihr Vortrag sich durchgängig in höchst abstrakten, allgemein und überaus weiten Begriffen bewegt, daher auch meistens nur in unbestimmten, schwankenden, verblassenen Ausdrücken einherschreitet. Zu diesem … Gange sind sie aber genötigt, weil sie sich hüten müssen, die Erde zu berühren, wo sie, auf das Reale, Bestimmte, Einzelne und Klare stoßend, lauter gefährliche Klippen antreffen würden, an denen ihre Wortdreimaster scheitern könnten.  Denn statt Sinne und Verstand fest und unverwandt zu richten auf die anschaulich vorliegende Welt, auf das eigentlich und wahrhaft Gegebene … – kennen sie nichts als nur die höchsten Abstraktionen wie Sein, Wesen, Werden, Absolutes, Unendliches  usf., gehen schon von diesen aus und bauen daraus Systeme, deren Gehalt zuletzt auf bloße Worte hinausläuft, die also eigentlich nur Seifenblasen sind, eine Weile damit zu spielen, jedoch den Boden der Realität  nicht berühren können, ohne zu platzen.“

Wenn ich auf solche „Schreiberei unserer Philosophaster“ stoße, fällt mir dazu ein Gegenbeispiel ein – Jakob Böhme, der von Schopenhauer hoch geschätzte „erhabene“ deutsche Mystiker. Böhme: „Die Sprache der Natur … das ist die Wurzel oder Mutter aller Sprachen, die in dieser Welt sind, und steht die ganze vollkömmliche Erkenntnis aller Dinge hierinnen.“ Also: „Tue Deine Augen auf, und gehe zu einem Baum, und besinne dich“.

H.B.

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