Unsterbliche Seele in Mensch und Tier ?

Das, was  Seele genannt werde, so schrieb Arthur Schopenhauer in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung sei „seit Sokrates´ Zeit und bis auf unsrige“ ein „Hauptgegenstand des unaufhörlichen Disputierens der Philosophen.“(1)

Auch Schopenhauer ging in seiner Philosophie auf die immer wieder beunruhigende Frage nach der Unsterblichkeit der Seele ein:

„Die sogenannte Seele“, so erklärte Schopenhauer in seiner Schrift Über den Willen in der Natur, „ist die Verbindung des Willens mit dem Intellekt.“(2)

Der Intellekt als bloße Gehirnfunktion des Denkens und Erkennens gehört dem Bereich des Physischen an. Er ist nur eine Erscheinungsform, eine Manifestation des Willens, der jedoch laut Schopenhauer metaphysisch und der eigentliche Kern jedes Lebewesens ist.

Durch den Tod wird nur das Physische und somit auch das Gehirn mit seiner Funktion, dem Intellekt, zerstört. Der metaphysische  Kern hingegen bleibt vom Tod unberührt.  Insofern ist die Seele, wenn man diesen Begriff auf den metaphysischen Kern, den Willen, beschränkt, unsterblich.

Bereits 1821 schrieb Schopenhauer in eines seiner Manuskripte zu der Frage, ob die Seele unsterblich ist: „In Folge meiner Lehre ist die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele dahin zu beantworten, daß das Ende der Person ebenso real ist, als ihr Anfang und wir nach dem Tode in eben dem Sinn nicht mehr sein werden, als wir vor der Geburt nicht waren. Aber die Person erschöpft nicht das Wesen, welches sich Ich nennt: sondern die Person ist bloß die Manifestation, eine Äußerung jenes Wesens, welches daher vom Anfang und Ende solcher Äußerung nicht berührt wird.“(3)

Somit manifestiert sich in jedem Menschen und in jedem Tier (!) das Unsterbliche – egal ob man es als Wille , als Seele oder  (wie in den von Schopenhauer hoch geschätzten altindischen Upanishaden) als Atman bzw. Brahman bezeichnet.

Im Abendland hingegen war es bis weit in die Neuzeit hinein wegen des herrschenden Christentums keineswegs üblich, auch den Tieren eine unsterbliche Seele zuzuerkennen. So heißt es hierzu in einem Beitrag zum Sammelwerk Mensch und Tier in der Geschichte Europas: „Zwar sprachen die meisten christlichen Theologen den Tieren nicht die Seele ab, qualifizierten sie aber als sterblich (so auch die heutige Dogmatik).“(4)

Es waren weniger die dogmatisch festgelegten Theologen als vielmehr Menschen, die  durch ihr Mitgefühl mit Tieren deren innere Nähe zu den Menschen erkannten. Selbstverständlich wäre da vor allem Arthur Schopenhauer zu erwähnen, aber auch Jakob Grimm, ein Zeitgenosse Schopenhauers, ist hierfür ein Beispiel, denn er erklärte:

„Es ist nicht bloß die äußere menschenähnlichkeit der thiere, der glanz ihrer augen, die fülle und schönheit ihrer gliedmaßen, was uns anzieht, auch die wahrnehmung ihrer mannigfaltigen triebe, kunstvermögen, begehrungen leidenschaften und schmerzen zwingt in ihrem innern ein analogon [ein Ähnliches] von seele anzuerkennen.“(5)

Selbst wenn man diese hier erörterte, im Grunde metaphysische Frage rational nicht eindeutig beantworten kann, so ist es doch eine Anmaßung zu behaupten, der Mensch hätte eine unsterbliche Seele, das Tier aber nicht. Arthur Schopenhauer war wohl der erste weltbedeutende Philosoph der Neuzeit, der sich sehr entschieden  gegen solche  anthropozentrische Überheblichkeit wandte. Für Schopenhauer war im „innern Kern“, den man im allgemeinen Sprachgebrauch als Seele bezeichnen könnte, zwischen Tier und Mensch kein Unterschied. Ausführlich und sehr tiefsinnig begründete er in seiner Philosophie, daß das „Wesentliche und Hauptsächliche im Thiere und im Menschen das Selbe“ sei. (6)

Hierbei geht es nicht bloß um Fragen von theoretischer Bedeutung, weil je nach ihrer Beantwortung die praktischen Konsequenzen durchaus erheblich sein können. Wer auch den Tieren eine unsterbliche Seele zuerkennt, hat ein anderes Verhältnis zu Tieren und wird deshalb wohl weniger geneigt sein, sie gleichsam als Sachen anzusehen und  dementsprechend zu behandeln.

Im übrigen kann der Gedanke an das Unsterbliche, und zwar unabhängig davon, ob man  hierbei an das Wort Seele denkt, sehr viel Tröstliches bieten. Offenbar hatte solchen Trost der alte Buddenbrook gesucht, als er in den letzten Stunden seines Lebens in Schopenhauers Hauptwerk das spirituell sehr tiefe und literarisch kaum zu übertreffende Kapitel Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich las. Diesen Trost dürfte er bei Arthur Schopenhauer gefunden haben, denn Thomas Mann, Autor des Romans Buddenbrooks, schrieb in einem Essay über Schopenhauers Philosophie:

Man kann damit leben und sterben, – namentlich sterben: ich wage zu behaupten, daß die Schopenhauersche Wahrheit, daß ihre Annehmbarkeit in der letzten Stunde standzuhalten, und zwar mühelos, ohne Denkanstrengung, ohne Worte standzuhalten geeignet ist.(7)

H.B.

Weiteres
zum Thema Seele > Arthur Schopenhauer : Seelenwanderung und Wiedergeburt
und zu  Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier .

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band III, S. 316.
(2) Schopenhauer , a. a. O., Band V, S. 219.
(3) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 3, S. 85.
(4) Peter Dinzelbacher (Hg.), Mensch und Tier in der Geschichte Europas, Stuttgart 2000, S. 268.
(5) Zit. aus: Dinzelbacher, a. a. O., S. IX.
(6) Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band VI, S. 280.
(7) Thomas Mann , Schopenhauer , zit. aus: Über Arthur Schopenhauer, , hrsg. von Gerd Haffmans, 3. Aufl., Zürich 1981,  S. 112.