Zu Schopenhauer : Buddhistische Weisheit

Gestern hatte ich wieder einen Rat von Arthur Schopenhauer befolgt, nämlich mich in buddhistische Schriften vertieft. So griff ich, wie so häufig, zum „Pfad zur Erleuchtung“, einer Sammlung von buddhistischen Grundlagen-Texten, die von Helmuth von Glasenapp übersetzt wurden. Die Texte dort enthalten zahlreiche Gleichnisse, die sehr lebensnah und daher auch verständlich den Geist der buddhistischen Lehre vermitteln. So zum Beispiel dieses:

Einstmals gab es einen  König, der seinem Diener gebot: „Lasse alle Blindgeborenen der Stadt an einem Orte zusammenkommen.“ Als das geschehen war, ließ er den Blindgeborenen einen Elefanten vorführen: die einen ließ er den Kopf betasten, mit den Worten: „So ist ein Elefant“ , andere das Ohr oder den Stoßzahn, den Rüssel, den Rumpf, den Fuß, das Hinterteil… Dann fragte er: „Wie ist der Elefant beschaffen?“ Da sagten die, welche den Kopf betastet hatten, „Er ist wie ein Topf“,  die das Ohr betastet hatten, „wie ein geflochtener Korb zum Schwingen des Getreides“, die den Stoßzahn betastet hatten, „wie eine Pflugschar“, die den Rüssel betastet hatten, „wie eine Pflugstange“, die den Rumpf betastet hatten, „wie ein Speicher“, die den Fuß betastet hatten,“wie ein Pfeiler“, die das Hinterteil betastet hatten,  „wie ein Mörser“…  Und mit dem Rufe: „Der Elefant ist so und nicht so“, schlugen sie sich gegenseitig mit den Fäusten zum Ergötzen des Königs.

Stets streiten sich Brahmanen und Asketen, Die diese, jene Lehrmeinung vertreten,   Sie bleiben unbeirrt auf einem Standpunkt stehn, Weil sie nur einen Teil der Wahrheit sehn.

Der obige, von Glasenapp übersetzte Text ist mehr als zwei Jahrtausende alt, aber dennoch aktuell, weil sich im Grunde an der Einbildung des Menschen, an seiner Selbstüberschätzung, nichts wesentliches geändert hat.  Was wir wissen, sind bestenfalls Teilwahrheiten. Um die  Wahrheit als Ganzes zu erkennen, müssten wir wohl selbst zum Ganzen werden, das heißt, die Grenzen unseres vermeintlichen „Ichs“  oder, um mit Arthur Schopenhauer zu sprechen, das „principium individuationis“ überwinden.  Wem ist das schon möglich? Wahrscheinlich dem Erleuchteten. Aber auch wenn dieser die Wahrheit als Ganzes erkannt hat, wird er sie uns wohl nur als Teilwahrheiten näher bringen können.

Übrigens: Um etwas zu erkennen, muss man zuerst sehen können, denn zunächst sind wir Blindgeborene. Der buddhistische Pfad zur Erleuchtung ist der Weg aus unserer geistigen Blindheit.

hb

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