Zur Bedeutung der indischen Weisheitslehren

Den indischen Weisheitslehren kam bereits beim Entstehen der Philosophie Schopenhauers große Bedeutung zu. Er glaube nicht, so schrieb Arthur Schopenhauer um 1816, also noch vor Veröffentlichung seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung, in sein Manuskript, „daß meine Lehre je hätte entstehn können, ehe die Upanischaden, Plato und Kant ihre Strahlen zugleich in eines Menschen Geist werfen konnten“. 1 Aufschlussreich ist, dass Schopenhauer dort die Upanishaden, welche die wohl ältesten Weisheitslehren Indiens enthalten, an erster Stelle nannte. Mit den Upanishaden begann nicht nur die Philosophie Schopenhauers, sondern vor weit mehr als 2500 Jahren auch die Indiens.

Philosophie ist, wie Arthur Schopenhauer erklärte, „wesentlich Weltweisheit“. 2 Insofern können die indischen Weisheitslehren auch als Philosophie bezeichnet werden. Schopenhauer war ein großer Bewunderer der indischen Philosophie, und zwar schon zu einer Zeit, als man im Abendland mitunter noch zögerte, sie überhaupt als „Philosophie“ anzuerkennen. 3 Eine solche Geringschätzung der indischen Philosophie ist völlig unberechtigt, denn so schrieb der Religionswissenschaftler und Indologe Helmuth v. Glasenapp:

„Indem die indische Philosophie in ihren größten Vertretern zu der Einsicht vorgedrungen ist, daß alle unsere Welterkenntnis von subjektiven Faktoren abhängig ist, hat sie den höchsten Gipfel nüchterner Wirklichkeitsbetrachtung erreicht, zu welcher alle kritische Wahrheitsforschung nach jedem metaphysischen Höhenflug immer wieder zurückkehren muß …

Dem Erforscher der Geistesgeschichte der Menschheit bietet sie eine unerschöpfliche Quelle der Erkenntnis … Bei der großen Mannigfaltigkeit der indischen Gedankenwelt fühlen sich abendländische Denker sehr verschiedener Art zu ihren Erscheinungen hingezogen. Der Naturwissenschaftler bewundert ihre kosmologischen Perspektiven, der Ethiker die Erhabenheit ihrer Vorstellungen von einer sittlichen Weltordnung, … der Mystiker die berauschende Kraft ihrer All-Einheitsschau, der kritische Geist die abgrundtiefe Als-ob-Philosophie des buddhistischen Relativismus.

Aber auch derjenige, der sich nicht eine der großen indischen Heilslehren zu eigen macht, wird aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit ihnen großen Gewinn ziehen und der unerhörten Kühnheit der indischen Weisen seine Anerkennung zollen, die es wagten, mit vollkommener Gelassenheit das Dasein in Frage zu stellen und seine Aufhebung für möglich zu halten.

Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart ist die Philosophie der Inder nie eine rein theoretische Weltdeutung geblieben, sondern hat sich stets in einer praktischen Lebensgestaltung ausgewirkt. Dadurch, daß die meisten ihrer repräsentativen Vertreter den Weg nach innen einschlugen und den Mysterien der eigenen Seele ihr vornehmstes Interesse zuwandten, sind die Inder frühzeitig auf dem Gebiet der Psychologie zu Erkenntnissen vorgedrungen, die der Westen sich erst in neuerer Zeit in der Gestalt der ´Psycho-Analyse`, des ´autogenen Training`usw. nutzbar gemacht hat.“

Gegen Ende seiner obigen Ausführungen zur Bedeutung der indischen Philosophie stellte von Glasenapp fest, dass es zwar „ein schwerer Fehler wäre, von den Indern alles kritiklos zu übernehmen“, doch „unterliegt es keinem Zweifel, daß der Westen in dieser Beziehung noch viel von den Indern zu lernen hat“. 4

Für Arthur Schopenhauer waren es vor allem die Lehre des Buddha, den er als „Siegreich-Vollendeten“ hoch schätzte und die Philosophie der altindischen Upanishaden, die er als „Frucht der höchsten menschlichen Erkenntnis und Weisheit“ überaus schätzte. 5 Ja sogar für das Verständnis seiner eigenen Philosophie hielt er die indischen Weisheitslehren für sehr hilfreich. So heißt es in der Vorrede zur ersten Auflage seines Hauptwerkes: „Hat … der Leser auch schon [neben dem Studium der Werke Kants und Platons] die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen, dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hören, was ich ihm vorzutragen habe.“ 6

Die indischen Weisheitslehren, insbesondere die Upanishaden und der Buddhismus, beruhen auf uralten, auch heute noch durchaus wertvollen spirituellen Erfahrungen. Vor allem der Buddhismus geht von der Tatsache aus, dass das Leben für Mensch und Tier mit viel Leid verbunden ist. Dementsprechend steht die Erlösung vom Leid der Vergänglichkeit im Mittelpunkt der buddhistischen Lehre. So erklärte der Buddha: „Wie das Meer nur einen Geschmack hat, den des Salzes, so hat auch meine Lehre nur einen Geschmack – den der Erlösung.“ 7

Auch Schopenhauer ging es um Erlösung. Im „Sansara“ (womit die Buddhisten den Kreislauf der Existenzen, das Weltleben, bezeichnen) treten, wie er meinte, „wiewohl sehr sporadisch, aber doch stets von Neuem uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuts … auf. Nie gehen diese ganz aus: sie schimmern uns wie einzelne glänzende Punkte aus der großen Masse entgegen. Wir müssen sie als ein Unterpfand nehmen, daß ein gutes und erlösendes Prinzip in diesem Sansara steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann“. 8

Somit stimmte der angebliche „Pessimist“ Arthur Schopenhauer mit dem Buddha und anderen indischen Weisen in der Erkenntnis überein, dass Erlösung letztlich möglich ist. 9 In dieser höchst optimistischen und trostvollen Erkenntnis liegt meiner Meinung nach die größte Bedeutung der indischen Weisheitslehren.

H.B.

Weiteres zu > Arthur Schopenhauer und den > Upanishaden sowie zum > Buddhismus.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 1, München 1985, S. 422.
2 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 219.
3 „Obwohl sich die abendländische Wissenschaft seit einhundertfünfzig Jahren um die Philosophie der Inder bemüht, haben bisher nur wenige Denker des Westens den metaphysischen Systemen des Gangeslandes gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dies hat seinen Grund zum Teil darin, daß viele von ihnen auch heute noch unbewußt dem Einfluß des mittelalterlichen Weltbildes unterliegen, für welches die um den Mittelmeerraum erwachsene Kultur das Maß der Dinge darstellt und das geistige Leben des südlichen und östlichen Asiens diesem nicht gleichwertig und deshalb nur von vorwiegend ethnographischem Interesse ist“ (Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder, 3. Aufl., Stuttgart 1974, S. IX).
4 Ebd., S. 453 f.
5 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 442.
6 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 11.
7 Anguttara-Nikaya 8, 19, 16, zit. aus: Pfad zur Erleuchtung, Buddhistische Grundtexte übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1974, S. 56.
8 Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band IX: Parerga und Paralipomena II, S. 238.
9 Ausführlicher > Arthur Schopenhauer : Leid und Erlösung.

Buddhismus und Toleranz

Arthur Schopenhauer lernte den Buddhismus erst in späteren Lebensjahren näher kennen. Hierbei hatte für ihn das 1850 erschienene „höchst lesenswerthe Buch“ Eastern monachism große Bedeutung, sodass er es auch in seinen Schriften besonders weiterempfahl. 1 Der Verfasser, Robert Spence Hardy, war englischer Pfarrer, der längere Zeit als methodistischer Missionar in Ceylon (Sri Lanka) lebte, wo er den dort vorherrschenden alten (Theravada-) Buddhismus studierte und dabei viele buddhistische Manuskripte sammelte. 2

In seinem oben genannten, wie Schopenhauer meinte, „vortrefflichen Buch“ lobte Hardy „die außerordentliche Toleranz der Buddhaisten und fügt die Versicherung hinzu, daß die Annalen des Buddhaismus wenigere Beispiele von Religionsverfolgung liefern, als irgend einer andern Religion“. 3

Diese für einen christlichen Missionar sehr bemerkenswerte Feststellung erläuterte Schopenhauer durch den Hinweis: „In der That ist Intoleranz nur dem Monotheismus wesentlich: ein alleiniger Gott ist, seiner Natur nach, ein eifersüchtiger Gott, der keinem andern [Gott] das Leben gönnt. Hingegen sind polytheistische Götter, ihrer Natur nach, tolerant: sie leben und lassen leben … Daher sind es die monotheistischen Religionen allein, welche uns das Schauspiel der Religionskriege, Religionsverfolgungen und Ketzergerichte liefern … “ 4

Die Lehre des Buddha ist weder monotheistisch noch polytheistisch, sondern – wie Schopenhauers Philosophie – in ihrem Kern atheistisch. Soweit dort überhaupt von „Göttern“ die Rede ist, sind diese nicht mit denen der monotheistischen Religionen vergleichbar. Der Buddha hatte die überlieferte Götterlehre zwar anerkannt, aber „hinsichtlich ihrer religiösen Bedeutung stark herabgesetzt“. 5 Dementsprechend neigt der Buddhismus, wie die Religionsgeschichte deutlich beweist, weit mehr zur Toleranz als die großen monotheistischen Religionen.

Wie weit Toleranz im Buddhismus gehen kann, zeigt eine Begebenheit, über die in einer von der Altbuddhistischen Gemeinde herausgegebenen Schrift berichtet wird. Dort heißt es: „Die heiligen Texte des [alten Buddhismus] berichten von vielen Beispielen edler Toleranz. So wird unter anderem der reiche Hausvater Upali nach seinem Bekenntnis zum Buddha von diesem ermahnt, auch fürderhin den Jainamönchen, deren Lehre er früher anhing, zu spenden.“ 6 Im Hinblick darauf, dass der Jainismus eine dem Buddhismus zwar nah verwandte, aber vielleicht auch gerade deshalb konkurrierende Religion ist, dürfte diese „edle Toleranz“ besonders beachtenswert und im Verhältnis der Religionen wohl nur selten anzutreffen sein. 7

Toleranz, so erklärt das Philosophische Wörterbuch, ist ein Zeichen „für eine weltoffene Haltung, die den Vergleich mit anderen Meinungen nicht scheut und dem geistigen Wettbewerb nicht aus dem Wege geht“. 8 Hierfür ist der Buddha das beste Beispiel, denn er wurde zum Symbol „weltüberlegener Ruhe“ und zum „größten Vertreter indischer Weisheit“. 9

H.B.

Weiteres zu > Schopenhauer und seiner Philosophie sowie zum > Buddhismus.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 5, München 1985, S. 328 f.
2 Robert Spence Hardy (Kurzbiografie).
3 Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 15. Ueber Religion, § 174. Der Dialog, Zürich 1977, S. 395 f.
4 Ebd., S. 396.
5 Hierzu ausführlicher in: Helmuth von Glasenapp, Die Weisheit des Buddha, Wiesbaden o. J., S. 24 f.
6 M. Keller-Grimm und Max Hoppe (Br. Dhammapalo), Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort, 3. verb. Aufl., Hrsg.: Altbuddhistische Gemeinde, Utting/Ammersee 1986, S. 153.
7 S. dazu > Jainismus – Religion ohne Gewalt (Blogbeitrag).
8 Philosophisches Wörterbuch, begr. von Heinrich Schmidt, 21. Aufl., neu bearb. von Georgi Schischkoff, Stuttgart 1978, S. 700 (Stichwort: Toleranz).
9 Vgl. Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 185.

Philosophie statt Religion ?

Wenn der Glauben schwindet, so meinte Arthur Schopenhauer, habe der Mensch ein wachsendes Bedürfnis nach Erkenntnis und Philosophie:

„Mit der Unfähigkeit zum Glauben wächst das Bedürfnis der Erkenntnis. Es gibt einen Siedepunkt auf der Skala der Kultur, wo aller Glaube, alle Offenbarung, alle Autoritäten sich verflüchtigen, der Mensch nach eigener Einsicht verlangt, belehrt, aber auch überzeugt sein will.

Das Gängelband der Kindheit ist von ihm abgefallen: er will auf eigenen Beinen stehen. Dabei aber ist sein metaphysisches Bedürfnis so unvertilgbar, wie irgendein physisches. Dann wird es Ernst mit dem Verlangen nach Philosophie, und die bedürftige Menschheit ruft alle denkenden Geister, die sie jemals aus ihrem Schoß erzeugt hat, an. Mit hohlem Wortkram … ist da nicht mehr auszureichen, sondern es bedarf einer ernstlich gemeinten, d. h. einer auf Wahrheit, nicht auf Gehalte und Honorare gerichteten Philosophie.“ 1

Schopenhauer war offenbar der Überzeugung, dass er mit seiner Philosophie das menschliche Bedürfnis nach Wahrheit befriedigen konnte. Er hatte wohl nicht Unrecht, denn viele Menschen, denen ihr traditioneller Kirchenglauben und mit ihm ihre angestammte Religion verloren gingen, fanden und finden in Schopenhauers Philosophie, insbesondere seiner Metaphysik, Hoffnung und Trost, und zwar ohne – wie in den im Abendland vorherrschenden Religionen – blinden Glauben vorauszusetzen.

Schopenhauer, so berichtete Wilhelm v. Gwinner, der selbst noch den Philosophen persönlich kannte, „legte Wert darauf, daß seine Schriften von Dilettanten und, nach deren Art, mit Enthusiasmus ergriffen wurden: nur bei ihnen hoffte er den zum Verständnisse nötigen Grad von Unbefangenheit und Unabhängigkeit finden zu können, und am meisten freute es ihn, wenn er stets neue Beweise erhielt, daß seine scheinbar irreligiösen Lehren ´als Religion anschlugen` und den leergewordenen Platz des verlorenen Glaubens ausfüllend, zur Quelle innerster Beruhigung und Befriedigung wurden“. 2

Der im obigen Zitat verwendete Begriff „Dilettanten“ ist keinesfalls im abwertenden Sinne zu verstehen. Er bezieht sich lediglich auf Menschen, die nicht Universitätsprofessoren oder andere Berufsphilosophen sind, zumal Schopenhauer denen, die nur von statt für die Philosophie leben, äußerst kritisch gegenüberstand. 3

Schopenhauer sah sich als Philosoph und nicht als Religionsstifter. Daher ist es bemerkenswert, dass er und seine Lehre in Nachschlagewerken über Religion besonders erwähnt werden. So weist zum Beispiel das Wörterbuch der Religionen auf Schopenhauers Nähe zu „buddhistischen Gedanken“ hin, „die wesentlich durch ihn weiteren Kreisen des Abendlandes vermittelt wurden“. 4 Anschließend zitiert das Wörterbuch aus der 2. Auflage von Die Religion in Geschichte und Gegenwart:

„Trotz ihres formellen Atheismus und metaphysischen Pessimismus ist Schopenhauers Philosophie zutiefst religiös-ethische Erlösungslehre.“ 5 Doch ist zu fragen: Wie kann eine Erlösungslehre metaphysisch pessimistisch sein, ist sie nicht vielmehr höchst optimistisch?

Der Buddhismus wird zumeist als Religion und Philosophie verstanden. Schopenhauer sah den Buddhismus in sehr weitgehender Übereinstimmung mit seiner Lehre. Hierzu meinte der Religionswissenschaftler und Indologe Helmuth von Glasenapp: „Gemeinsam ist beiden [also der Lehre Schopenhauers und Buddhas] die Überzeugung, daß das sich beständig erneuernde irdische Dasein einen Läuterungsprozeß darstellt, der schrittweise zur Erlösung führt oder wenigstens führen kann.“ 6 Welch´ein Optimismus!

Inwieweit Schopenhauers Lehre als Philosophie oder Religion verstanden wird, hängt auch von der Definition dieser Begriffe ab. Für viele Anhänger Arthur Schopenhauers ist sie vor allem eine Lebenslehre, oft sogar eine Begleiterin ihres Lebens. Für Thomas Mann, war sie ein bleibendes „Wahrheitserlebnis, so annehmbar, so hieb- und stichfest, so richtig, wie ich es sonst in der Philosophie nicht gefunden habe“. 7 Ja, ein bleibendes Wahrheitserlebnis ist die Bekanntschaft mit Schopenhauers Lehre, mitunter tief bewegend und die Sicht auf Mensch und Welt verändernd – ist es dann noch wichtig, ob man sie Philosophie oder Religion nennt?

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier.

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band V: Ueber die vierfache Wurzel vom zureichenden Grunde, Zürich 1977, S. 138 f.
2 Wilhelm v. Gwinner, Schopenhauers Leben, 3. Aufl., Leipzig 1910, S. 393.
3 Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band VII: Parerga und Paralipomena I, Ueber die Universitäts-Philosophie, S. 200.
4 Wörterbuch der Religionen, begr. von Alfred Bertholet in Verb. mit Hans Frhr. v. Campenhausen, 3. Aufl., Stuttgart 1976, Stichwort: Schopenhauer, S. 527.
5 Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., V, S .249, zit. nach Wörterbuch der Religionen, Ebd.
6 Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 94.
7 Thomas Mann, zit. aus: Über Arthur Schopenhauer, hrs. von Gerd Haffmans, Zürich 1977, S. 112.

Buddhas Ethik : Metta – die Herzensgüte

Metta – dieses altindische Pali-Wort ist für die Ethik des Buddha von zentraler Bedeutung. Der aus Deutschland stammende buddhistische Mönch Nyanatiloka übersetzte es mit Allgüte. 1 Das deutet schon auf ein wesentliches Kennzeichen der buddhistischen Ethik hin, nämlich dass sich diese Güte auf alles Leben bezieht. Für Arthur Schopenhauer war das eine der wichtigsten Gründe, warum er die Ethik des Buddhismus besonders hoch schätzte. So hob er in seinen Schriften lobend hervor, dass sie im Gegensatz zur christlichen Ethik auch die Tiere unter ihren Schutz nimmt.

Das zeigt sich deutlich in Buddhas Rede über die Güte. Sie wird Mettasutta genannt und ist Teil des buddhistischen Pali-Kanons. Die folgenden Verse aus dem Mettasutta widerspiegeln, wie ich meine, höchst eindrucksvoll den Geist der buddhistischen Ethik:

Die Lebewesen groß und klein,
Ihr Leib sei grob, ihr Leib sei fein,
Sie sei´n beweglich oder nicht,
Ob sichtbar oder außer Sicht,
Von dieser oder jener Art,
In Zukunft oder Gegenwart:
Es werde allen höchstes Heil
Und ihres Herzens Glück zuteil!

Die Mutter schützt den eig´nen Sohn,
Auch wenn ihr Todesqualen drohn.
Solch einer wahren Liebe Geist
Zeigt allem, was lebendig heißt!

Ein Wohlwollen, das unbeschränkt
Entfaltet still in euch versenkt,
Von Haß und aller Feindschaft frei,
Nach welcher Seite es auch sei.
2

Das Mettasutta wird täglich von den buddhistischen Mönchen und oftmals auch von anderen Buddhisten rezitiert. Schon das beweist die große Bedeutung, die das Mettasutta im buddhistischen Leben hat.

Völlig anders hingegen, jedenfalls was Tiere angeht, im Christentum: Bei meinen Recherchen zu buddhistischen und christlichen Klöstern bin ich auf die Klostermetzgerei der Benediktinerabtei Münsterschwarzach gestoßen. Das Bild auf deren Webseite war für mich, zumal als Veganer, sehr unerfreulich. 3 Um so mehr konnte ich mich über ein anderes Bild im Web freuen, und zwar von einem Tierschutzverein, der dem Buddhismus nahesteht und den aufschlussreichen Namen trägt: Lasst die Tiere leben: 4

Einerseits christliche Klosterschlächterei und anderseits buddhistisch inspirierter Tierschutzverein – welch` ein Gegensatz! 5

Metta wird, wie ich eingangs erwähnte, mit Güte übersetzt. Doch was bedeutet hier Güte? Für den „Buddhaisten“ Arthur Schopenhauer war es die Herzensgüte, die er und ganz im Sinne von Buddhas Ethik beschrieb:

„Die Güte des Herzens besteht in einem tiefgefühlten, universellen Mitleid mit allem, was Leben hat … Wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blaß und unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie und ebenfalls die Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens … Sogar der beschränkteste Verstand, wie auch die groteske Häßlichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens sich in ihrer Begleitung kundgetan, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer Schönheit höherer Art, indem jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jede andere verstummen muß.“ 6

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier
sowie zum > Buddhismus.

Anmerkungen
1 Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch, 2. Aufl., Konstanz 1976, S. 128.
2 Suttanipata 146 ff., zit. aus: Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1974, S. 96.
3 >Webseite (archiv. 08.08.2023)
4 Der folgende Bildausschnitt ist aus Instagram (aufgen. 11.08.2023).
5 Der Gegensatz zwischen christlicher und buddhistischer Ethik ist, was Tiere betrifft, auch durch keine Schönrederei zu überbrücken. Das kommt sehr deutlich zum Ausdruck beim > Edlen Achtfachen Pfad, zu dem der rechte Lebenserwerb gehört. Hiernach zählt der Handel mit Lebewesen und Fleisch zu den „verwerflichen Berufen“ und gelten Schlächter als „Nächstenquäler“, die „grausames Handwerk“ betreiben (> Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung, aus dem Pali übers. und hrsg. von Nyanatiloka, 3. Aufl., Köln 1969, Band III: Fünfer-Buch,177, S. 119 und Band II: Vierer-Buch, 198, S. 173).
6 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 294 und Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 271.

Glaubenszwang und Glaubensfreiheit

Der Glaube, so meinte Arthur Schopenhauer, ist wie die Liebe: er läßt sich nicht erzwingen. Daher ist es ein mißliches Unternehmen, ihn durch Staatsmaaßregeln einführen, oder befestigen zu wollen: denn, wie der Versuch, Liebe zu erzwingen, Haß erzeugt; so der, Glauben zu erzwingen, erst rechten Unglauben. 1

Liebe lässt sich zwar ebenso wenig wie Mitleid erzwingen, aber wie ist das mit dem Glauben? Gibt es nicht unzählige, zum Teil sehr schreckliche Beispiele aus der Geschichte, die beweisen, wie Religionen und andere Weltanschauungen den Völkern aufgezwungen wurden? Bei den ersten Generationen, die dem Glaubenszwang unterworfen wurden, mag dieser Zwang vielleicht nur wenig erfolgreich gewesen sein, doch in späteren Generationen konnte die ständige, oft mit Gewalt verbundene Indoktrination durchaus zum Glauben im Sinne der Machthaber geführt haben. Die gewaltsame christliche Missionierung im mittelalterlichen Europa und später in Lateinamerika oder die Islamisierung weiter Teile Asiens einschließlich Indiens sind hierfür aufschlussreiche Beispiele.

Solche Beispiele für Glaubenszwang lassen sich aber nicht auf alle Religionen übertragen. So gehört zu den Ausnahmen der von Schopenhauer hochgeschätzte Buddhismus. Dieser allerdings ist nicht nur eine Religion, sondern auch eine Philosophie, bei der es statt auf bloßem Glauben vor allem auf eigene Erkenntnis ankommt. Erkenntnis jedoch lässt sich nicht aufzwingen, sondern es kann – wenn überhaupt – nur der Weg aufgezeigt werden, der zur Erkenntnis führt, wie etwa der buddhistische Edle Achtfache Pfad, den der Religionswissenschaftler Helmuth von Glasenapp Pfad zur Erleuchtung nannte.2

Schopenhauer hat mit Bezug auf die vorherrschenden monotheistischen Religionen den zu seiner Zeit üblichen Glaubenszwang als „Abrichtung“ von Menschen angeprangert. 3 Dabei stand er ganz auf Seiten der Aufklärung, jener geistigen Strömung, die sich entgegen der damals fast allmächtigen Staatsreligion für die Freiheit des Glaubens einsetzte.

Es ist der Aufklärung zu verdanken, dass inzwischen, zumindest in der westlichen Welt, Glaubensfreiheit als Menschenrecht weitgehend anerkannt wurde. Hierzu hat auch Arthur Schopenhauer mit seiner Philosophie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier
sowie zum > Buddhismus .

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 15. Ueber Religion, Zürich 1977, S. 432.
2 Pfad zur Erleuchtung, so lautet der Titel eines Buches, das Helmuth von GLasenapp herausgegeben hatte (Düsseldorf/Köln 1956, Neuausgabe 1974) und von ihm übersetzte buddhistische Grundtexte enthält. Weiteres > Edle Achtfache Pfad des Buddha.
3 Siehe dazu > Religion – ein Meisterstück der Abrichtung?

Was ist das Leben?

Zur Frage, was das Leben sei, gibt es viele und durchaus sehr unterschiedliche Antworten. Eine, die mir besonders einleuchtend erscheint, ist die von Arthur Schopenhauer:

“ Das Leben ist durchaus anzusehn als eine strenge Lektion, die uns ertheilt wird, wenngleich wir, mit unsern auf ganz andere Zwecke angelegten Denkformen, nicht verstehn können, wie wir haben dazu kommen können, ihrer zu bedürfen. Demgemäß aber sollen wir auf unsere hingeschiedenen Freunde zurücksehn mit Befriedigung, erwägend, daß sie ihre Lektion überstanden haben, und mit dem herzlichen Wunsch, daß sie angeschlagen habe; und vom selben Gesichtspunkt aus sollen wir unserm eigenen Tode entgegensehn, als einer erwünschten und erfreulichen Begebenheit; — statt, wie meistens geschieht, mit Zagen und Grausen.“ 1

Haben „unsere dahingeschiedenen Freunde“ wirklich „ihre Lektion überstanden“? Zu wünschen wäre das, doch Zweifel sind angebracht, denn Schopenhauer war überzeugt: Dem Willen zum Leben ist das Leben gewiss! 2 Wenn dem so wäre, dann würde nach dem Tod ein neues Leben und damit auch eine neue Lektion beginnen. Das entspräche wohl auch dem, was in den von Schopenhauer hochgeschätzten, in Indien entstandenen Religionen gelehrt wird, nämlich die Lehre von Karma, Seelenwanderung und Wiedergeburt.

Die Aussicht auf Wiedergeburten und neuen „strengen Lektionen“ mag zwar nicht unbedingt erfreulich sein, eröffnet aber andererseits auch die Chance zur Läuterung. In dieser Hinsicht stimmt der alte Buddhismus mit Arthur Schopenhauer überein. Hierzu schrieb der weithin als kompetent anerkannte Indologe und Religionswissenschaftler Helmuth von Glasenapp:

„Gemeinsam ist beiden [also der Lehre des Buddha und der Schopenhauers] auch die Überzeugung, daß das sich beständig erneuernde irdische Dasein einen Läuterungsprozeß darstellt, der schrittweise zur Erlösung führt oder wenigstens führen kann.“ 3 Welch´ eine optimistische Deutung des Lebens!

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier
s
owie zum > Buddhismus.

Anmerkungen
1
Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IX: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 350.
2 Schopenhauer , a. a.O., Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 347 f.
3 Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart1960, S. 94.

Philosophie und blinder Glaube

Philosophie als eine Wissenschaft hat laut Arthur Schopenhauer „durchaus nichts damit zu tun, was geglaubt werden darf, oder soll, oder muß; sondern bloß damit, was sich wissen läßt … Ist man aber etwa überzeugt, daß die ganze und volle Wahrheit in der Landesreligion enthalten und ausgesprochen sei; nun, so halte man sich daran und begebe sich alles Philosophierens“.1 Dementsprechend hat Schopenhauers Philosophie nichts mit blindem Glauben zu tun, sondern mit Wissen, insbesondere mit den Grenzen des Wissens, also mit Erkenntnis und deren Wurzeln.

Alle tiefe Erkenntnis, sogar die eigentliche Weisheit, so meinte Schopenhauer, wurzelt in der anschaulichen Auffassung der Dinge.2

Die Anschauung ist jedoch nur dann das Tor zur Weisheit, wenn sie nicht durch Wollen, Wünsche, Zwecke, Ziele und dergleichen getrübt wird, wenn sie also reine Anschauung ist. Eine solche reine Anschauung ist aber nicht der normale Zustand des Anschauens, sondern eher die Ausnahme. Schon der Dichter Friedrich von Logau, der etwa zweihundert Jahre vor Schopenhauer lebte, wusste das, denn er schrieb:

Was wir sehen in der Welt, sehen alles wir durch Brillen;
Gut- und Böses wird ersehn, wie es vorkommt unsrem Willen.
3

Erkenntnis durch reine Anschauung – die Möglichkeit steht zwar allen offen, doch die Frage ist, ob die Menschen auch gewillt sind, von ihr Gebrauch zu machen. Der von Schopenhauer als „Muster eines Selbstdenkers“ hochgeschätzte Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg hatte wohl Zweifel, denn er meinte:

Man spricht viel von Aufklärung, und wünscht mehr Licht. Mein Gott, was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben, oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen?4

Hier gilt dann das Sprichwort: Keiner ist so blind wie der, welcher nicht sehen will.

Wer aber nicht sehen will, dem ist der Weg zur Erkenntnis verschlossen. Oft ist es dann blinder Glaube, der das Bemühen um eigene Erkenntnis zu ersetzen scheint. Das mag besonders auf manche Religionen zutreffen, in denen blinder Glaube an religiöse Dogmen von früher Kindheit an gleichsam eingeimpft wird. Schopenhauer nannte das „Abrichtung“, wobei er sogar meinte, dass an „Abrichtungsfähigkeit“ der Mensch alle Tiere übertreffen würde.5

Völlig anders hingegen in dem von Schopenhauer hochgeschätzten Buddhismus. Dort kommt es nicht auf blindem Glauben, sondern auf eigene Erkenntnis an, denn so heißt es zum Beispiel in einer „Lehrrede“ des Buddha:

Richtet euch nicht nach bloßem Hörensagen, nach heiligen Überlieferungen – sondern was ihr selbst als richtig oder schlecht erkannt habt, das nehmt an oder gebt auf. 6

Den Weg zu einer solchen „richtigen“ Erkenntnis sah Arthur Schopenhauer im Buddhismus. In einem Gespräch meinte er: Wenn man den Buddhaismus aus seinen Quellen studiert, da wird es einem hell im Kopfe.7 Ein „heller Kopf“ ist jedoch Voraussetzung jedes Philosophierens, den blinden Glauben aber überlasse man der Religion, die es nötig hat.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier
sowie zum Thema > Buddhismus .

Anmerkungen
1 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VII: Parerga und Paralipomena I, Zürich 1977, S. 161.
2 Schopenhauer , a. a. O., Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 448.
3 Deutsche Epigramme aus fünf Jahrhunderten, hrsg. von Klemens Altmann, o. J. und O., S. 24.
4 Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch L, 1796-1799.
5 Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga und Paralipomena II, S. 655.
6 Anguttara-Nikaya 3,65,8, gekürzt zit. aus: Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1974, S. 57 f.
7 Arthur Schopenhauer , Gespräche, neue Ausg. hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 104.

Schopenhauer und der Edle Achtfache Pfad des Buddha

Arthur Schopenhauer verehrte den Buddha als den Siegreich-Vollendeten, nannte sich Buddhist und den Buddhismus unsere allerheiligste Religion. 1 Daher liegt es nahe, im Zusammenhang mit Schopenhauers Lebensphilosophie auf den Edlen Achtfachen Pfad hinzuweisen, denn dieser steht im Mittelpunkt des buddhistischen Lebensweges.

Der Edle Achtfache Pfad ist die letzte der Vier Edlen Wahrheiten, die der Buddha bereits in seiner ersten öffentlichen Predigt in Benares verkündet hatte. Bei diesen Wahrheiten geht es um das Leid, seine Ursachen und den Weg zu seiner Überwindung – einen Weg, den der Buddha nach den alten überlieferten Schriften nicht nur verkündete, sondern auch vorlebte. Er wird auch mittlerer Weg genannt, weil er die beiden Extreme, nämlich Selbstpeinigung und Ausleben sinnlicher Genüsse, vermeidet.

Der Edle Achtfache Pfad besteht aus acht Stufen: 1. rechte Anschauung, 2. rechte Gesinnung, 3. rechtes Reden, 4. rechtes Handeln, 5. rechtes Leben, 6. rechtes Streben, 7. rechtes Überdenken, 8. rechtes Sich-Versenken. 2 Dieser Weg wird im Pfad zur Weisheit (Dhammapada), der ältesten Spruchsammlung buddhistischer Weisheiten, mit den Worten zusammengefasst:

Vermeide jede böse Tat,
Vermehre guter Werke Saat,
Beständig läutere den Geist,

Das ist der Weg, den Buddha weist. 3

Die ersten beiden Zeilen des obigen Verses betreffen die buddhistische Ethik. Nach Meinung des Indologen und Religionswisenschaftlers Helmuth von Glasenapp, würde sich diese „in völliger Harmonie“ mit der Schopenhauers befinden. 4

In diesem Zusammenhang wies von Glasenapp auf ein lateinisches Zitat hin, auf das sich Schopenhauer in seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral oftmals bezog und in deutscher Übersetzung lautet:

Verletze niemanden; vielmehr hilf allen, soviel du kannst. 5

Hierzu ein persönliches Wort zur Praxis dieser Ethik: Schopenhauer hat in seinen Schriften mehrmals sehr deutlich hervorgehoben, dass in seine Ethik und in die des Buddha – im Gegensatz zur Ethik der im Abendland vorherrschenden Religionen – auch die Tiere einbezogen sind. „Verletze niemanden“ bezieht sich somit auch auf das Verhältnis von Mensch und Tier. Bedeutet nicht dieser hohe ethische Anspruch, wenn er konsequent in das tägliche Leben umgesetzt wird, die Notwendigkeit, vegan zu leben, also alle tierische Produkte, soweit möglich, zu meiden?

So zitierte der buddhistische Autor Hellmuth Hecker in seinem Buch Die Ethik des Buddha einen Vierzeiler von Eugen Roth:

Es denkt der Mensch zufrieden froh:
Ich bin kein Schlächter, blutig roh;
doch da der Mensch kein Wurstverächter,
so trägt die Mitschuld er am Schlächter.
6

Die Lehre des Buddha geht davon aus, dass jede ethisch gute oder böse Tat, wozu auch das Schlachten von Tieren gehört, eine den Menschen prägende geistige Spur hinterlässt. Dementsprechend sind die heilsamen oder unheilsamen Auswirkungen auf dem buddhistischen Heilsweg, dem Edlen Achtfachen Pfad, und zwar sei es im gegenwärtigen oder in einem der künftigen Leben.

Somit kommt es entscheidend auf die Praxis an, denn was nützt ein solcher Pfad, wenn über ihn nur philosophiert, er aber nicht beschritten wird? Es ist wie bei der Weisheit, über die Arthur Schopenhauer schrieb: Die Weisheit, welche in einem Menschen nur theoretisch da ist, ohne praktisch zu werden, gleicht einer gefüllten Rose, welche durch Farbe und Geruch, Andere ergötzt, aber abfällt, ohne Frucht angesetzt zu haben. 7

Die „Frucht“ des Edlen Achtfachen Pfades ist die Erlösung von allem Leid oder – wie es Arthur Schopenhauer nannte – vom Jammer des Lebens. 8 Welch´ ein Optimismus!

H.B.

Weiteres > Leid und Erlösung
sowie zum > Buddhismus und zu > Schopenhauer .

Anmerkungen
1 S. hierzu Schopenhauers Briefe vom 2. Januar 1852 und 13. Mai 1856 an Julius Frauenstädt, in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 273 und 391; Gespräch mit Carl Georg Bähr am 1. Mai 1858, in: Arthur Schopenhauer , Gespräche, neue Ausgabe, hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 244.
2 Helmuth von Glasenapp, Die Weisheit des Buddha, Wiesbaden o. J., S. 126.
S. auch Einführung in die Vier Edlen Wahrheiten des Buddha mit dem Edlen Achtfachen Pfad > hier.
3 Vers 183, zit. aus: Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf / Köln, S. 92.
4 Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 100.
5 Ebd., S. 100 f.
6 Hellmuth Hecker, Die Ethik des Buddha, 2. Aufl., Hamburg 1976, S. 113.
7 Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 704.
8 Der Jammer des Lebens war wohl eine der Gründe, warum Schopenhauer sich vom Christentum abwandte und sich dem Buddhismus als einer nicht-theistischen Religion zuwandte, denn so schrieb er 1832 in sein Manuskriptbuch: „In meinem 17ten Jahre [,] ohne alle gelehrte Schulbildung wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche laut und deutlich aus der Welt sprach, überwandt bald auch die mir eingeprägten […] Dogmen, und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels , der Geschöpfe ins Daseyn gerufen, um am Anblick sich zu weiden: darauf deuteten die Data, und der Glaube, daß es so sei, gewann die Oberhand.“ (Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 4 I, Cholerabuch, München 1985, S. 96.)

Religion und eigenes Denken

„Im Grunde“, so meinte Arthur Schopenhauer, „haben nur die eigenen Grundgedanken Wahrheit und Leben: denn nur sie versteht man recht eigentlich und ganz. Fremde, gelesene Gedanken sind die Überbleibsel eines fremden Mahles, die abgelegten Kleider eines fremden Gastes“. 1

Dementsprechend kritisch stand Schopenhauer den Religionen gegenüber, die versuchen, ihre Dogmen den Menschen möglichst früh gleichsam einzuimpfen, ja sie ihnen mitunter sogar aufzuzwingen:

„Nicht nur das Aussprechen und die Mitteilung der Wahrheit, nein, selbst das Denken und Auffinden derselben hat man unmöglich zu machen gesucht, dadurch, daß man in frühester Kindheit die Köpfe den Priestern, zum Bearbeiten, in die Hände gab, die nun das Gleis, in welchem die Grundgedanken sich fortan zu bewegen hatten, so fest hineindrückten, daß solche, in der Hauptsache, auf die ganze Lebenszeit festgestellt und bestimmt waren.“ 2

Schopenhauers Kritik trifft jedoch nicht in gleichem Maße auf alle Religionen zu. Der Buddha zum Beispiel teilte seine anspruchsvolle Lehre nur jenen mit, von denen er erwartete, dass sie die nötige geistige Reife und Selbstständigkeit hatten, um diese Lehre zu verstehen. Er setzte die Fähigkeit zum eigenen Denken und eigener Erkenntnis voraus, wenn er etwa an seine Zuhörer eine Aufforderung richtete, die in der Religionsgeschichte wohl einmalig ist:

„Richtet euch nicht nach dem, was euch zu Ohren gekommen ist, nach dem bloßen Hörensagen … , nach Sammlungen von heiligen Überlieferungen …, nicht nach den Worten eines verehrten Meisters – sondern was ihr selbst als gut oder schlecht erkannt habt, das nehmt an oder gebt auf.“ 3

Deshalb kommt es in der Lehre des Buddha nicht auf den bloßen Glauben an. Nicht blindes Übernehmen irgendwelcher fremder, oft sogar aufgezwungener Glaubenssätze, sondern die auf Anschauung gegründete eigene Erkenntnis ist in der buddhistischen Lehre wie in Schopenhauers Philosophie von entscheidender Bedeutung. So ist es verständlich, wenn Arthur Schopenhauer beim Vergleich mit anderen Religionen die besondere Nähe seiner Philosophie zum Buddhismus mit den Worten hervorhob:

„Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den andern zugestehn.“ 4

H.B.

Weiteres zu > Schopenhauer und zum > Buddhismus.

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X: Parerga und Paralipomena II, Kap. 22. Selbstdenken, Zürich 1977, S. 538.
(2) Ebd., Kap. 15. Ueber Religion , S. 373 f.
(3) Anguttara-Nikaya 3, 65, 8 (Pali Text Society), zit aus: Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte. Übers. und hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln, S. 57 f.
Was die „Sammlungen von heiligen Überlieferungen“ anbetrifft, so gehört hierzu auch die im Pali-Kanon überlieferte Lehre des Buddha. Jedoch verlangt diese keinen „Glauben“ im Sinne der großen Glaubensreligionen, sondern nur Vertrauen auf den vom Buddha gelehrten Weg zur Erkenntnis. Es geht also hier um eigenes Denken und eigene Erkenntnis. Deshalb ist im Buddhismus die Meditation als Mittel zur Erkenntnis von zentraler Bedeutung.
(4) Schopenhauer, a. a. O., Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 17. Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen, S. 197.

Zur Ethik des Buddha

Die Ethik ist ein zentraler Teil der Philosophie des – wie er sich selbst nannte – „Buddhaisten“ Arthur Schopenhauer. Schon deshalb hatte für ihn die Ethik des Buddha besondere Bedeutung. In diesem Zusammenhang verglich Schopenhauer die christliche mit der buddhistischen Ethik, wobei er manche Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede feststellte. Vor allem hob er mehrmals lobend hervor, dass im Gegensatz zum Christentum die Tiere in die Ethik des Buddhismus voll einbezogen sind.

In ähnlichem Sinne wie Schopenhauer äußerte sich die Altbuddhistische Gemeinde in der von ihr herausgegebenen Schrift Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort. Dort wird zunächst auf einen Begriff verwiesen, der im Mittelpunkt der Ethik des Buddha steht, nämlich Metta. Dieses nur unzureichend übersetzbare Wort aus der altindischen Pali-Sprache bedeutet in der buddhistischen Lehre die allumfassende, also auch die Tiere einschließende Güte.

In der genannten buddhistischen Schrift geht es unter anderem um die Frage: „Sind die buddhistische Metta und die christliche Caritas ein und dasselbe?“

Antwort: „Insoweit sie sich auf die Menschen erstrecken, sind beide gleich. Beide kennen keinen Unterschied des Ranges, der Nationen, der Hautfarbe und der Rassen. Während sich aber die christliche Caritas bewußt nur auf die Menschen beschränkt, gibt es für die buddhistische Metta keine Grenzen: Wo immer auch Leid empfunden wird, ob hier oder in Fixsternenweite, wo immer ein Wesen – sei es Mensch oder Tier – unserer Hilfe , unsere Freundschaft und unser Mitgefühl braucht, so weit reicht auch die buddhistische Metta … Denn in der Buddhalehre ist das Tier, wie es Schopenhauer ausdrückt, nicht das von Grund aus ganz andere als er, sondern im wesentlichen dasselbe wie der Mensch. Er ist im besonderen keine Maschine, keine Sache, sondern ein Leidensgefährte, der unser tiefstes Mitleid verdient.“1

Die Ethik des Buddha unterscheidet sich auch dadurch grundlegend von der des Christentums, dass sie nicht auf göttlichen Ge- und Verboten, sondern auf eigener Erkenntnis beruht. So forderte der Buddha seine Zuhörer auf:

„Richtet euch nicht nach Sammlungen heiliger Überlieferungen, nicht nach eingewurzelten Anschauungen – sondern was ihr selbst als gut oder schlecht erkannt habt, das nehmt an oder gebt auf.“2

Da, wie Schopenhauer in seiner Philosophie immer wieder hervorhob, „die Anschauung die Basis aller Erkenntnis ist“, kommt es in der Ethik des Buddha auf die rechte Anschauung an. Sie ist Teil des Edlen Achtfachen Pfades, den der Buddha als Weg zur Erlösung lehrte.3

Mitleid war für Schopenhauer das Fundament der Ethik, “ denn grenzenloses Miteid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten“.4 Der Buddha hatte es vorgelebt. In einer Schrift über das Leben des Buddha heißt es :

Ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme hegt er zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid. 5

Der wahrscheinlich im 3. Jahrhundert in Sri Lanka geborene buddhistische Philosoph Aryadeva fasste die buddhistische Ethik in einem Wort zusammen: Ahimsa. Hierzu erklärte Helmuth von Glasenapp, Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen über die indischen Religionen, zur Bedeutung der Ahimsa: „Dieses Wort, das auch von Gandhi viel gebraucht wird, heißt an sich Nicht-verletzen, Nicht-schädigen, Niemand etwas zuleide tun, hat aber einen viel weiteren positiven Sinn, es bezeichnet auch die Freundlichkeit, das Wohlwollen, die sich im aktiven Verhalten gegen andere Wesen (einschließlich der Tiere) äußert. … Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß das, was hier als Kern des Buddhismus herausgestellt wird, sich mit dem Kern von Schopenhauers Lehre in völliger Harmonie befindet. Denn Schopenhauer gründet seine Moral auf das Mitleid, das ´nicht bloß mich abhält, den Andern zu verletzten, sondern mich antreibt, ihm zu helfen`.“6

Nichts zeigt deutlicher als die ethische Einstellung gegenüber Tieren, dass der Atheist Arthur Schopenhauer der atheistischen Ethik des Buddha sehr viel näher stand als der auf Menschen beschränkten christlichen Ethik. Daher konnte Schopenhauer auch im Hinblick auf die Ethik mit Recht feststellen: „Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maaßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den andern [Religionen] zugestehn.“7

In seinen Schriften zur Ethik schrieb Schopenhauer, er wisse „kein schöneres Gebet“ als das aus dem alten Indien: „Mögen alle lebende Wesen von Schmerzen frei bleiben.“5 Ganz in diesem Geiste des allumfassenden Mitgefühls und durchaus bezeichnend für die Ethik des Buddha ist der alte buddhistische Segenswunsch:

Mögen alle Wesen glücklich sein.

H.B.

Weiteres zu > Arthur Schopenhauer und zur > Lehre des Buddha .


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Symbol der > Altbuddhistischen Gemeinde
Rad der Lehre des Buddha (Edler Achtfacher Pfad)

Anmerkungen
(1) M. Keller-Grimm / Max Hoppe, Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort, Hrsg.: Altbuddhistische Gemeinde, Utting/Ammersee 1979, S. 141 f.
S. auch > Arthur Schopenhauer und die Altbuddhistische Gemeinde .
Die negative Einstellung des Christentums zu den Tieren trug erheblich dazu bei, dass der Gründer der Altbuddhistischen Gemeinde, Georg Grimm, sich von der christlichen Kirche abwandte und über Schopenhauer zur tierfreundlichen Lehre des Buddha kam (> Vom Priesterseminar zur Buddhalehre) .
(2) Helmuth von Glasenapp, Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, Düsseldorf/Köln 1974, S. 57 f.
(3) Weiteres zum > Edlen Achtfachen Pfad (der Vierten Edlen Wahrheit des Buddha).
(4) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden (Zürcher Ausgabe), Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, Zürich 1977, S. 275.
(5) Hellmuth Hecker , Das Leben des Buddha, Der innere und äußere Lebensgang des Erwachten dargestellt nach den ältesten indischen Quellen, Buddhistisches Seminar Hamburg 1973, S. 393.
Der Verfasser, der ein bekannter Vertreter des Buddhismus in Deutschland war, betonte in seinem Buch, in dem er auf die „liebevolle Gesinnung“ des Buddha gegenüber Tieren hinwies, deutlich den Gegensatz zum Christentum. So zitierte er z. B. (auf S. 393) aus Martin Luthers Tischgesprächen: „Alle Wälder und Hölzer sind unsere Jägerei … Denn es ist alles um unser, der Menschen Willen geschaffen.“ Hingegen „nahm der Buddha immer wieder … die verschiedensten Begebenheiten zum Anlaß, um die Menschen – Mönche wie Laien – daran zu erinnern, daß auch Tiere fühlende Mitwesen sind, die wie jedes Wesen Qual scheuen und Wohl suchen“(S. 395).
(6) Helmuth von Glasenapp , Schopenhauer und Indien, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 1955, S. 46 f.
S. auch: Herbert Becker , Buddhismus und Jainismus – Die Religionen der Ahimsa, in: Zurück zur Natur Religion? Wege zur Ehrfurcht vor allem Leben, hrsg. von Holger Schleip, Freiburg i. B. 1986, S. 178 ff. (Kurzfassung > hier).
(7) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 197.

Tierethik und Buddhismus

Tierethik und Buddhismus sind Themen, an denen Arthur Schopenhauer sehr interessiert war und die dementsprechend in seiner Philosophie von besonderer Bedeutung sind.  Schopenhauers tiefe Verbundenheit mit dem tierfreundlichen Buddhismus zeigte sich zum Beispiel in einem seiner Briefe, wo er schrieb:

Den Hofrath Perner bitte ich auf das herzlichste von mir zu grüßen … Er ist ein höchst verdienter und verehrenswerther Mann: wer könnte das höher schätzen, als wir Buddhaisten! (1)

Der von Schopenhauer so hoch geschätzte Ignaz Perner gründete 1842 in München einen der ersten Tierschutzvereine der Welt. Schopenhauer war von dessen tatkräftigem Einsatz für den Tierschutz tief beeindruckt. (2) Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass Schopenhauer zur Erläuterung seiner Wertschätzung Perners sich als Buddhaist bezeichnete und damit auf den Zusammenhang zwischen Tierethik und Buddhismus hindeutete.

Der Buddhaist Arthur Schopenhauer hat mehrmals in seinen Schriften die im Gegensatz zum Christentum tierfreundliche Einstellung des Buddhismus lobend hervorgehoben, und zwar mit vollem Recht:

Zum Kern der Lehre des Buddha gehören die Vier Edlen Wahrheiten. Die letzte dieser Wahrheiten ist der Edle Achtfache Pfad, der auch die Grundsätze der buddhistischen Ethik enthält. (3)  Teil dieser Ethik sind das rechte Handeln und der rechte Lebenserwerb.

Rechtes Handeln bedeutet vor allem, möglichst kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen, was sich nicht nur auf Menschen, sondern – nach der buddhistischen Lehre selbstverständlich – auch auf Tiere bezieht. Dementspechend sind Berufe, in denen dieser ethische Grundsatz von vornherein verletzt wird, kein rechter Lebenserwerb. Hierzu werden unter anderem Berufe wie Schlächter, Jäger, Fischer, Händler mit Tieren, Fleisch oder Waffen u. dgl. gezählt. Der Buddha hatte solche Tätigkeiten als „grausames Handwerk“ eindeutig abgelehnt:

Da ist einer ein Schlächter, der Schafe und Schweine schlachtet, ist ein Vogelfänger, ein Wildsteller, ein Jäger, ein Fischer, ein  Räuber, ein Henker, ein Kerkermeister, oder was man da sonst noch anderes grausames Handwerk betreibt. Den heißt man einen Menschen, der ein Nächstenquäler, der Übung der Nächstenqual eifrig ergeben ist. (4)

Im sehr bedeutsamen Lankavatara- Sutra des Mahayana-Buddhismus wird das Mitleid mit allen Wesen als Kern der buddhistischen Ethik besonders hervorgehoben und dazu – durchaus folgerichtig – das Fleischessen entschieden verworfen.(5)

Jedoch nicht alle Buddhisten sind Vegetarier oder – was noch konsequenter wäre – Veganer. Daher ist es durchaus angebracht, wenn der buddhistische Autor Hellmuth  Hecker in seinem Buch Die Ethik des Buddha einen Vers von Eugen Roth zitierte:

Es denkt der Mensch zufrieden froh:
Ich bin kein Schlächter, blutig roh;
doch ist der Mensch kein Wurstverächter,
so trägt die Mitschuld er am Schlächter. (6)

Wie in Schopenhauers Ethik, so ist auch im Buddhismus die zugrunde liegende Gesinnung entscheidend für den moralischen Wert einer Handlung. Ein Beispiel für diese Gesinnung brachte der Buddha in einer seiner Reden zum Ausdruck:

Da hat einer das Töten verworfen, vom Töten hält er sich fern: ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme, hegt er zu allen lebendigen Wesen gütiges Mitleid. (7)

Hier ist eine Brücke über Jahrtausende hinweg zu Schopenhauers Mitleidsethik. In dieser auch die Tiere einbeziehenden Ethik zeigt sich besonders deutlich Schopenhauers Gemeinsamkeit  mit dem Buddhismus. Das Gemeinsame der Philosophie Schopenhauers mit dem Buddhismus geht jedoch weit über die Tierrethik hinaus, denn, so meinte Arthur Schopenhauer, „ueberhaupt ist die Uebereinstimmung mit meiner Lehre wundervoll“. (8)

H.B.

S. dazu > Schopenhauer und Buddhismus

> Tierethik und Schopenhauers Philosophie

Weiteres zur Tierethik  > Webseite und  > Blog ,

zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier .


Anmerkungen

(1) Brief vom 10. Mai 1852 an Adam von Doss, zit. aus: Arthur Schopenhauer, Gesammelte Briefe, hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 281.

(2) Mehr dazu > Ignaz Perner und Arthur Schopenhauer .

(3) S. ausführlicher > Die Vier Edlen Wahrheiten des Buddha .

(4) Zit. aus: Hellmuth Hecker, Die Ethik des Buddha, Ein Handbuch zu besonnener Lebensführung, Hamburg 1976, S. 112.

(5) Vgl. hierzu: Die makellose Wahrheit erschauen. Die Lehre von der höchsten Bewußtheit  und absoluten Erkenntnis. Das Lankavatara-Sutra, aus dem Sanskrit von Karl-Heinz Golzio, 2. Aufl., Bern-München-Wien 2003, Kap. 8: Warum man kein Fleisch essen soll, S. 247 ff.  Im übrigen ist diese höchst bedeutsame Quelle aus dem Mahayana-Buddhismus nicht nur für das Thema Fleischessen und Buddhismus wichtig, sondern sie zeigt auch vor allem mit ihrer monistischen Grundeinstellung eine erstaunliche, geradezu wunderbare Übereinstimmung mit Schopenhauers spirituell sehr tiefen monistischen Philosophie. (Weiteres: Das Lankavatara-Sutra des Mahayana-Buddhismus und die Philosophie von Arthur Schopenhauer > hier.)

(6) Helmuth Hecker, a. a. O., S. 113.

(7) Ebd., S. 110.

(8) Arthur Schopenhauer , Briefe, a. a. O., S. 384.

 

 

Schopenhauer – Vedanta – Buddhismus

Zu den ersten bedeutenden Abhandlungen über das Verhältnis der Philosophie  Arthur Schopenhauers zu den in Indien entstandenen Lehren, und zwar besonders zum Vedanta des Hinduismus und zum Buddhismus, gehörte das Buch, das  Max  Hecker 1897 unter dem Titel Schopenhauer und die indische Philosophie veröffentlichte.

Hecker kam dort zu dem Ergebnis, dass sich in seiner Untersuchung – abgesehen von kleinen Details – die “durchgängige Congruenz [Übereinstimmung] der Philosophie Schopenhauers und der Inder als eine wahrhaft überraschende herausgestellt” habe, “und zwar, ist die Schopenhauer’sche Philosophie durchweg eine Synthesis [Zusammenfügung] von Brahmanismus [aus dem der Hinduismus entstand], in Gestalt des Vedanta, und Buddhismus, deren Lehren in seinem Systeme zu höherer Einheit verbunden worden sind.

Wie Platon die Heraclit’sche Grundanschauung mit der des Parmenides in seiner Ideeenlehre verschmolzen hat, so Schopenhauer den brahmanischen und buddhistischen Idealismus. In der Lehre vom Willen als Ding-an-sich fliessen ebenfalls Vorstellungen des Brahmanismus und des Buddhismus zusammen, desgleichen in der Lehre von der Erlösung. Und wenn Schopenhauer im Jahre 1813 schrieb: ´Unter meinen Händen und vielmehr in meinem Geiste erwächst ein Werk, eine Philosophie, die Ethik und Metaphysik in Einem sein soll` -, so sehen wir jetzt, dass diese Metaphysik wesentlich brahmanisches [und somit hinduistisches], die Ethik buddhistisches Gepräge aufweist. Seine Metaphysik ist die pantheistische Identitätslehre des Vedanta, seine Ethik die ´Vernichtung des Durstes`, die Buddha lehrt.

´Ich ordne an, ihr Jünger`, sagt Buddha, ´dass ein Jeder in seiner eigenen Sprache das Wort Buddhas lerne` (1) – das Abendland kann sie [die Lehre des Vedanta und die des Buddhismus ] in der Sprache Arthur Schopenhauers lernen.”(2)

Johannes Volkelt meinte in seinem in mehreren Auflagen erschienenen Werk über  Schopenhauer, dass Hecker in seinem “gründlichen” Buch “den Zusammenhängen Schopenhauers mit der indischen Philosophie … in ausführlicher und verdienstvoller Weise nachgegangen” sei, er habe aber dabei “nicht selten die Ähnlichkeiten übertrieben und die Abweichungen allzu sehr zurücktreten lassen”.(3)

Auf Schopenhauers Verhältnis zu den Lehren des Vedanta und des Buddhismus ging auch Helmuth von Glasenapp in Das Indienbild deutscher Denker näher ein, wobei er deutlicher als Hecker die Unterschiede hervorhob. Aber trotz dieser vom Standpunkt der späteren indologischen Forschung betonten Differenzen erkannte von Glasenapp an, dass “Schopenhauer wie kein anderer sich die größten Verdienste um die Verbreitung der Kenntnis indischer Weisheit im Abendland erworben” habe. “Niemand hat mit so edler Begeisterung wie er [Schopenhauer] immer wieder auf die geistigen Schätze des Gangeslandes hingewiesen, niemand hat ihnen durch seine Schriften so viele Freunde im Westen erworben wie er”. (4)

Zum 140. Geburtstage Schopenhauers veröffentlichte die Schopenhauer-Gesellschaft ihr fünfzehntes Jahrbuch, “dessen Philosophischer Teil” wie es im Vorwort heißt, “von einem einzigen Gedanken beherrscht wird: Europa und Indien”. Diesen Teil eröffnete Franz Mockrauer, Vorstandsmitglied der Gesellschaft, mit seinem Beitrag Schopenhauer und Indien. Gleich im ersten Absatz hob der Verfasser hervor: “Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß die Lehre der Upanishads, des Vedanta und des Buddhismus ein Hauptbestandteil seiner [Schopenhauers] eignen Metaphysik geworden sind und an ihrer Gesamtgestaltung mitgewirkt haben.”(5)

Somit ist es durchaus verständlich, wenn Schopenhauerianer bei der Begegnung mit dem Vedanta oder dem Buddhismus den Eindruck haben, nicht wirklich fremden, sondern vertrauten Boden zu betreten. In diesem Sinne kann Arthur Schopenhauers Philosophie mit ihrer auch die Tiere einbeziehenden Mitleidsethik eine Brücke sein zu den altindischen Lehren, insbesondere zur Metaphysik des Vedanta und der allumfassenden Ethik des Buddhismus.

H.B.

S. auch
> Aranyakas – Upanishaden – Vedanta
> Schopenhauer und Buddhismus
> Schopenhauer : Metaphysik – jenseits der Physik

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie > hier .

Anmerkungen
(1) Hermann Oldenberg, Buddha, hrsg. von Helmuth von Glasenapp,
Stuttgart o. J. , S. 188.
(2) Max F. Hecker , Schopenhauer und die indische Philosophie, Köln 1897, S. 253 f.
(3) Johanners Volkelt, Arthur Schopenhauer , 3. Auflage, Stuttgart 1907,
S. 197 und 438 (Anm. 292).
(4) Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1960, S. 99.
(5) 15. Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft für das Jahr 1928, Heidelberg 1928, S. 3

Arthur Schopenhauer : Buddhismus

Sollte ich die Resultate meiner Philosophie, schrieb Arthur Schopenhauer, zum Maaßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den andern zugestehn.(1)

Wie nah Schopenhauer seine Philosophie zum Buddhismus sah, geht aus seinem Brief  vom 27. Februar 1856 an einen seiner Anhänger, Adam von Doss, hervor, in welchem er unter Hinweis auf übereinstimmende zentrale Aussagen seiner und der buddhistischen Lehre betonte: Überhaupt ist die Übereinstimmung mit meiner Lehre wundervoll, zumal ich 1814-1818 den ersten Band  [von „Die Welt als Wille und Vorstellung“] schrieb und von dem allen [d. h. vom Buddhismus] noch nichts wußte, noch wissen konnte.(2)

Wenn Schopenhauer mit obigen Worten auf die „wundervolle“ Übereinstimmung seiner Philosophie mit dem Buddhismus hinwies, so gilt das besonders für die Ethik. Schopenhauers Mitleidsethik entspricht weitgehend der buddhistischen Ethik, und zwar auch im Hinblick darauf, dass in ihr die Tiere voll einbezogen sind. Dazu heißt es in einem vom Buddhistischen Seminar Hamburg herausgegebenen Buch über das Leben des Buddha:

„Wie ist also die Haltung des Buddha zu den Tieren? Am kürzesten umrissen ist sie mit dem Wortlaut der vom Erwachten [dem Buddha] gegebenen Tugendregel:

Ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme
hegt er zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid.

Der westliche Mensch wird in der Regel in der Auffassung erzogen, er sei von Gott als Krone der Schöpfung erschaffen worden, ihm sei die Welt gegeben, Tiere, Wald und Feld stünden zu seiner Verfügung, er könne damit schalten und walten, wie er es für gut und richtig halte. So sagt Martin Luther: Alle Meere und Wasser sind unsere Trinkkeller; alle Wälder und Hölzer sind unsere Jägerei … Denn es ist alles um unser, der Menschen willen geschaffen. (Tischgespräche)“ (3)

Schopenhauer hatte diese im Vergleich zum Buddhismus fundamental andere Einstellung des Christentums zu den Tieren mit deutlichen Worten kritisiert und sie als Grundfehler des Christentums bezeichnet:

Ein […] nicht weg zu erklärender und seine heillosen Folgen täglich manifestierender Grundfehler des Christentums ist, daß es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat von der Tierwelt, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten lassen will, die Tiere geradezu als Sachen betrachtend; – während Brahmanismus [Hinduismus] und Buddhismus, der Wahrheit getreu, die augenscheinliche Verwandtschaft des Menschen, wie im Allgemeinen mit der ganzen Natur, so zunächst und zumeist mit der tierischen, entschieden anerkennen.(4)

Wie wichtig für Schopenhauer die tierfreundliche Einstellung des Buddhismus war, lässt sich schon daran erkennen, dass er die zu seiner Zeit gerade beginnende Gründung von Tierschutzvereinen in Deutschland  förderte, wobei er zu den ersten Mitgliedern des Frankfurter Tierschutzvereins gehörte.(5)

Aber nicht nur die Tierliebe, sondern überhaupt der Buddha und seine Lehre fanden Schopenhauers höchste Wertschätzung. So sagte er in einem Gespräch:  Wenn man den Buddhaismus aus seinen Quellen studiert, da wird einem hell im Kopfe. (6)

Dementspechend bezog sich Schopenhauer in seinen Schriften oft auf den Buddhismus. Dadurch trug er wesentlich dazu bei, dass der Buddhismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Europa nicht nur bekannt wurde, sondern auch zunehmend Anhänger fand. Ein hervorragendes Beispiel hierfür war Georg Grimm, der Gründer der Altbuddhistischen Gemeinde. Grimm, zunächst katholischer Priesterzögling, kam vom Christentum über Schopenhauer zum Buddhismus. Er wurde in Wort und Tat zu einem der bedeutendsten Verkünder der Lehre des Buddha in Deutschland. In seinem Hauptwerk Die Lehre des Buddho wies er zwar auf die – seiner Meinung nach – bestehenden Unterschiede zwischen der Philosophie Schopenhauers und dem Buddhismus hin, betonte aber zugleich auch die „staunenswerte Übereinstimmung zwischen den beiden Großen“, also zwischen Schopenhauer und dem Buddha.(7)

Je mehr Schopenhauer über den Buddhismus erfuhr, desto entschiedener wandte er sich  ihm zu. Schließlich nannte Schopenhauer sich und seine Anhänger in Briefen und Gesprächen sogar Buddhisten. So äußerte er sich zum Beispiel in zwei Briefen, in denen es um den Hofrat Ignaz Perner, „den berühmten Vorsteher aller Tierschutz-Gesellschaften“ ging. Er sei, wie Schopenhauer meinte, ein um den Tierschutz „höchst verdienter und verehrenswerter Mann: Wer könnte das höher schätzen als wir Buddhaisten!“(8) Auch in einem anderen Brief zeigte Schopenhauer seine besondere Zuneigung zum Buddhismus, denn dort bezeichnete er ihn als unsere allerheiligste Religion und den Buddha als den Siegreich-Vollendeten. (9)

Äußeres Zeichen von Arthur Schopenhauers Verehrung des Buddha und seiner tiefen Verbundenheit mit dem Buddhismus wurde eine Statue, die er wenige Jahre vor seinem Tode in seiner Wohnung aufstellte, und  über die er schrieb: Der Buddha […] steht auf einer schönen Konsole in der Ecke: so daß jeder beim Eintritt schon sieht, wer hier in diesen „heiligen Hallen“ herrscht.(10)

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H.B.

Weiteres

zu > Schopenhauer und seiner Philosophie  sowie zum > Buddhismus

Die  Vier Edlen Wahrheiten des Buddha

Vom Christentum zum Buddhismus   (Blogbeitrag)

Anmerkungen
(1) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden,
Band III, Die Welt als Wille und Vorstellung II (Kap.17), Zürich 1977, S. 197.
(2) Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. v. Arthur Hübscher,
2. Aufl., Bonn 1987, S. 384.
(3) Hellmuth Hecker, Das Leben des Buddha, Hamburg 1973, S. 393.
(4) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X, Parerga und Paralipomena II
(Kap. 15, § 177 Ueber das Christenthum), S. 408.
(5) S. dazu Arthur Schopenhauer : Tierschutz und Tierschutzvereine > hier.
(6) Arthur Schopenhauer , Gespräche, neue stark erw. Ausg.,
hrsg. v. Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 104.
(7) Vgl. > Georg Grimm – ein Lebensweg vom Christentum über Schopenhauer zum Buddhismus (dort Quellenangabe in Anm. 8).
(8) Brief v. 16. Sept. 1850 an J. Frauenstädt und v. 10. Mai 1852 an A. von Doss, in: Schopenhauer , Briefe, a. a. O., S. 247 und 281.
(9) Brief v. 2. Jan. 1852 an J. Frauenstädt,
in: Schopenhauer , Briefe, a. a. O., S. 273.
(10) Brief v. 13. Mai 1856 an J. Frauenstädt,
in: Schopenhauer , Briefe, a. a. O., S. 391.

ZEN und Schopenhauer

Im Mittelpunkt dieses Blogs steht Arthur Schopenhauers praxisorientierte Lebensphilosophie. Schon deshalb ist der folgende Beitrag keine wissenschaftlich-theoretische Abhandlung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ZEN und Schopenhauer.

ZEN, entstanden im Laufe von fast zwei Jahrtausenden aus buddhistischer und taoistischer Mystik, ist Spiritualität, welche die Grenzen des in Worten Beschreibbaren überschreitet. Dennoch gibt es inzwischen derart viele Bücher über ZEN, dass ganze Bibliotheken damit gefüllt werden können. Ich möchte nun gar nicht erst versuchen, das Unbeschreibbare zu beschreiben, sondern mich darauf beschränken, hier nur etwas von meinen persönlichen Eindrücken und Begegnungen mitzuteilen: 

Auf meinem kleinen Bücherbord am Esstisch, stets im Blickfeld, ist Arthur Schopenhauer präsent. Neben ihm ist noch etwas Platz. Zwei Bücher habe ich gewählt, die diesen Platz ausfüllen. Sie erschienen mir passend zu sein, um neben Schopenhauer zu stehen. Es sind uralte spirituelleTexte: “ Shinjinmei „, eine „Gedichtsammlung vom Glauben an den Geist“. Dieser älteste überlieferte Grundtext des ZEN stammt von Meister Sosan und ist etwa 1400 Jahre alt. Daneben steht das “ Lankavatara-Sutra “ mit dem Titel „Die makellose Wahrheit erschauen“. Es ist ebenfalls einer der wichtigsten heiligen Texte des Buddhismus. Der indische Mönch Bodhidharma brachte diese Schrift aus Südindien nach China, wo sie später zum Grundstein für den ZEN – Buddhismus wurde. Je mehr ich diese Urtexte auf mich einwirken lasse, desto deutlicher wird mir die enge spirituelle Nähe zu Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ – und das, obwohl weit mehr als ein Jahrtausend dazwischen liegt und zwischen der buddhistischen und unserer zutiefst vom Christentum geprägten Kultur eine Kluft besteht, die kaum zu überbrücken ist.

Eigentlich hatte ich nicht vor, mich über ZEN in diesem lebensphilsophischen, auf den Alltag bezogenen Blog zu äußern.   Ein Artikel in der „Berliner Zeitung“ vom 14.12.2010 veranlasst mich jedoch, hier über eine persönliche  Erfahrung zu berichten, die vielleicht von allgemeinem Interesse ist. Der Zeitungsartikel trägt die Überschrift „Die Knie müssen den Boden berühren  – Bei einer Zen-Meditation ist jedes Detail festgelegt“. Da ich selbst vor vielen Jahren Vorstandsmitglied der „Buddhistischen Gesellschaft Berlin“ war und einen „Buddhistischen Arbeitskreis“ geleitet hatte, kam ich öfters auch mit Praktizierenden des ZEN zusammen. Sie erzählten mir dabei einiges von ZEN – Veranstaltungen, was weitgehend mit der zitierten Artikel-Überschrift übereinstimmt. Hierzu ist mir vor allem ein Erlebnis bis heute nachhaltig im Gedächnis geblieben:

In meinem Arbeitskreis war ein Teilnehmer, der vom ZEN kam und mir durch sein besonderes Interesse auffiel. Er nahm auch an unseren Meditationen teil. Eines Tages bat er mich um ein Gespräch unter vier Augen. Was er mir mitzuteilen hatte, war erschütternd: Er könne nicht mehr an unseren Treffen und den Meditationen teilnehmen. Heftige Hustenanfälle und andere Beschwerden würden es ihm unmöglich machen. Auch bei ZEN – Sitzungen wäre er deshalb schon seit einiger Zeit nicht dabei, weil, wie er meinte, er dort wohl als störend empfunden werde. Er hätte eine Krankheit, die (jedenfalls zur damaligen Zeit)  unheilbar zum Tode führe: Aids! Ihm wäre es aber sehr wichtig, mit mir allein zusammenzukommen und über Schopenhauer zu sprechen. So trafen wir uns dann öfters an einem ruhigen Ort, und Schopenhauer war unser zentrales Thema. Dann näherte sich das Ende. Bei unserem letzten Treffen lasen wir gemeinsam, und zwar auf seinen Wunsch hin, Schopenhauer. Es war das Kapitel, das auch der Lübecker Ratsherr Buddenbrook in Thomas Manns gleichnamigen Roman während der letzten Stunden seines Lebens gelesen hatte: „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich“. Am nächsten Tag rief mein ZEN -Freund mich an, um sich zu bedanken – und  sich von meiner Frau und mir zu verabschieden …

Auf Wunsch seiner Schwester und seines Freundes hatte ich, als sich alle, die ihm nahestanden, zu seinem Gedenken versammelten, Worte des Abschieds gesprochen. Übrigens, von seinen ZEN – „Freunden“, die sicherlich von seinem Tod informiert waren, hatten wir dort niemand gesehen. Vielleicht war er für sie nicht mehr von Interesse, denn bei den letzten ZEN – Sitzungen konnte er nicht mehr ruhig sitzen und vom „richtigen Sitzen“ solle ja, wie manche Anhänger des ZEN behaupten, alles abhängen. Dementsprechend heißt es im bereits erwähnten Zeitungsbericht über eine ZEN – Veranstaltung: „Die Haltung ist das Glaubensbekenntnis“. Sollte es dabei wirklich nur um „Haltung“ gehen und dabei der Mitmensch, die Mitwesen vergessen werden, dann allerdings sehe ich einen Abgrund zwischen ZEN und Schopenhauer.

Vielleicht ist vieles, was sich bei uns als “ ZEN “ ausgibt, gar nicht ZEN, sondern cleveres Ausnutzen eines menschlichen Bedürfnisses, nämlich des Suchens nach Sinn und Wahrheit im Leben. Wundern würde mich das in unserer vom Kommerz beherrschten Zeit nicht. Inzwischen hat ja das Gewinnstreben alle Bereiche unserer Gesellschaft erfasst. Wenn möglich, versuche ich, solchem Zeitgeist auszuweichen. Deshalb  meide ich Veranstaltungen, die zwar einen spirituellen Anstrich haben, aber auf mich einen ziemlich geschäftigen Eindruck machen.  Ich denke dabei an die Worte des ZEN – Meisters Sosan:  „Der Weise ist frei von Geschäftigkeit“. Das Zitat habe ich einem kleinen Büchlein entnommen, das den Titel trägt: „Augenblicke der Stille“. Solche Augenblicke wünsche ich für die Weihnachtstage und das bald beginnende neue Jahr allen Freunden und Lesern dieses Blogs!
hb

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Schopenhauer : Gelassenheit – Gleichmut

Wir alle haben wohl schon Situationen erlebt, in denen  Gelassenheit die einzig angemessene Reaktion ist, um die Lage nicht noch zu verschlimmern. Gelassenheit ist, so Arthur Schopenhauer, wenn „Einer, nach vorhergegangener Überlegung, gefaßtem Entschluß oder erkannter Notwendigkeit, das für ihn Wichtigste, oft Schrecklichste kaltblütig über sich ergehen läßt oder vollzieht“.  Das dürfte einfacher gesagt als getan sein, denn wer bringt z. B. bei tief aufwühlenden menschlichen Auseinandersetzungen eine solche Kaltblütigkeit auf?  Hingegen kann es einfach sein, gegenüber Menschen, die einem gleichgültig sind, mit größerer Gelassenheit zu reagieren. So hat Gelassenheit auch etwas mit Gleichgültigkeit zu tun, wobei jedoch beide deutlich voneinander zu unterscheiden sind.

Gelassenheit hat nicht nur einen positiven Aspekt, denn sie kann auf Gefühlskälte oder, worauf Arthur Schopenhauer hinwies, „auf Phlegma und Stumpfsinn“ beruhen. Urspünglich jedoch hatte das Wort „Gelassenheit“ eine sehr tiefe Bedeutung. Laut „Wörterbuch der philosophischen Begriffe“ war „Gelassenheit ein Ausdruck von Mystik und Pietismus für die durch den Abstand von irdischen Dingen erworbene Ruhe in Gott“.

Eine ähnlich tiefe Bedeutung wie in der Mystik findet sich auch in dem von Schopenhauer hoch geschätzten Buddhismus. Dort wird das altindische Pali-Wort „Upekkha“ verwendet, welches zumeist mit “ Gleichmut “  übersetzt wird. Gleichmut ist eine der Eigenschaften, die im Buddhismus am höchsten gepriesen werden. Sie gehört nach der alten buddhistischen Lehre neben der Achtsamkeit zu einer der sieben Voraussetzungen, die zur Erleuchtung führen. Gleichmut, Güte, Mitleid und Mitfreude sind im Buddhismus die vier ?Göttlichen Zustände?. Hierbei darf jedoch Gleichmut ebenso wie Gelassenheit keinesfalls mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Die folgende Erzählung bringt das, in der für Zen charakterischen Weise, nämlich ohne lehrbuchhaftes Moralisieren, zum Ausdruck:

Der Zen – Meister Hakuin (1685-1768) wurde ob seines untadligen Lebenswandels allenthalben gepriesen. Ein schönes japanisches Mädchen, Tochter eines Lebensmittelhändlers, wohnte in der Nachbarschaft. Eines Tages entdeckten die Eltern, daß ihre Tochter schwanger war. Über den Vater schwieg sich das Mädchen aus, machte dem Ärger aber schließlich  ein Ende, indem sie Hakuin benannte. Zornig eilten die aufgebrachten Eltern zu dem Meister.
„Ist es so?“ Das war alles, was er sagte.

Das Kind wurde geboren und zu Hakuin gebracht, der zu dieser Zeit seinen guten Ruf schon verloren hatte, was ihn aber nicht weiter störte. Rührend sorgte er für das Baby. Ein Jahr später beichtete die reuige Mutter ihren Eltern, daß der echte Vater des Kindes ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitet.

Die Eltern eilten sofort zu Hakuin, fragten ihn nach dem Kind und sagten, sie wollten es wieder zurück haben.
„Ist es so?“ Das war alles, was er sagte, als er ihnen das Kind reichte.

(Aus: Augenblicke der Stille, Worte und Gedanken großer Zen – Meister,
ausgewählt und herausgegeben von Manfred Kluge, 1986, S. 104.)
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Arthur Schopenhauer : Tod und Nichtsein

Fast alle Menschen fürchten mehr oder weniger den Tod. Warum? Schon vor vielen Jahren fand ich bei Arthur  Schopenhauer dazu eine mich sehr überzeugende Bemerkung:

Wenn, was uns den Tod so schrecklich erscheinen läßt, der Gedanke des Nichtseins wäre, so müßten wir mit gleichem Schauder der Zeit gedenken, da wir noch nicht waren. Denn es ist unumstößlich gewiß, daß das Nichtsein nach dem Tode nicht verschieden sein kann von dem vor der Geburt, folglich auch nicht beklagenswerter. Eine ganze Unendlichkeit ist abgelaufen, als wir noch nicht waren: aber das betrübt uns keineswegs. Hingegen, daß nach dem momentanen Intermezzo eines ephemeren (vorübergehenden) Daseins eine zweite Unendlichkeit folgen sollte, in der wir nicht sein werden, finden wir hart, ja unerträglich. Sollte nun dieser Durst nach Dasein etwa dadurch entstanden sein, daß wir es jetzt gekostet und so gar allerliebst gefunden hätten? Gewiß nicht: Viel eher hätten die gemachten Erfahrungen eine unendliche Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese des Nichtseins erwecken können. Auch wird der Hoffnung der Seelen-Unsterblichkeit allemal die einer „besseren Welt“ angehängt – ein Zeichen, daß die gegenwärtige nicht viel taugt.

Dieser Gedanke Schopenhauers mag zwar überzeugend sein, ist aber dennoch nicht unbedingt tröstlich. Das eigentlich Tröstliche in Schopenhauers Philosophie ist deren Erkenntnis, dass hinter unserer Welt etwas anderes steht, das uns erst zugänglich wird, wenn wir diese Welt hinter uns gelassen haben.  Es lässt sich nicht mit Begriffen unserer Welt beschreiben und deshalb ist das Nichtsein kein absolutes, sondern das Ganz-Andere oder – wie es in dem Schopenhauer nahe stehenden Buddhismus heißt – das Leidlose, das wahre Glück.
hb

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Arthur Schopenhauer : Seelenwanderung und Wiedergeburt

Seelenwanderung – es ist mehr als nur ein Wort, denn es gibt Antwort auf eine bange Frage, die sich wohl schon jeder einmal gestellt hat: Was wird aus mir nach meinem Tod?  Bin ich dann völlig ausgelöscht, bin ich zu einem Nichts geworden? Arthur Schopenhauer schrieb dazu im 2. Band seines Hauptwerkes „Die Welt als Wille und Vorstellung“, und zwar im berühmten Kapitel „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich“:

Wir finden nämlich die Lehre von der Metempsychose ( Seelenwanderung ), aus den urältesten und edelsten Zeiten des Menschengeschlechts stammend, stets auf der Erde verbreitet, als den Glauben der großen Majorität des Menschengeschlechts, ja eigentlich als die Lehre aller Religionen, mit Ausnahme der jüdischen und der zwei von dieser ausgegangenen (Christentum, Islam) ; am subtilsten jedoch und der Wahrheit am nächsten kommend, … im Buddhismus.

Die Ausnahmen, auf die Schopenhauer oben hingewiesen hat, nämlich Christentum und Islam, sorgten jedoch mit Feuer und Schwert dafür, dass die Lehre von der Seelenwanderung heute im Westen mehr oder weniger nur von esoterischen Randgruppen vertreten wird. Diese Lehre, zu deren Anhängern auch Pythagoras und Platon gehörten und die auch in der altgermanischen Edda enthalten ist,  wurde von der christlichen Kirche als heidnisch angesehen und dementsprechend verfolgt.  Die Ausrottung der Katharer ist hierfür ein grausames Beispiel.

Da die menschliche Seele nach dem Tod auch in einen tierischen Körper „wandern“ kann, sind schon deshalb Mensch und Tier durch ein über den Tod hinausreichendes Band miteinander verbunden.  Eine praktische Konsequenz aus dieser Lehre war in vielen Fällen der Vegetarismus. So brandmarkte der vorsokratische Philosoph Empedokles:

Wollt ihr nicht endlich ein Halt gebieten dem scheußlichen Morden? Fühlt ihr nicht, dass ihr einander zerfleischt im finstern Wahne? …

Da schlachtet der Vater in arger Verblendung den lieben Sohn, der seine Gestalt gewandelt  hat, und spricht dabei noch ein Gebet! Die Knechte aber zögern, den sie Anflehenden zu opfern. Der aber hört nicht auf sein Wimmern, schlachtet ihn und bereitet so in seinem Hause ein gräßliches Mahl. So ergreift der Sohn den Vater und die Tochter die Mutter, rauben ihnen das Leben und verschlingen das Fleisch der Verwandten! …

Wehe mir, dass mich nicht vorher ein erbarmungsloser Tag sterben ließ, bevor ich den grausamen Gedanken faßte, meine Lippen an gräßlichem Fraße zu weiden! (Zitat aus: „Die Vorsokratiker“, herausgegegn von Wilhelm Capelle)

Der Kirche war dieser Zusammenhang bekannt. Deshalb sahen ihre Inquisitoren im Vegetarismus ein sicheres Anzeichen für Ketzerei. Im Gegensatz zu Indien, wo bis zu seiner gewaltsamen Eroberung durch den Islam weitgehend Glaubensfreiheit herrschte, konnte im Westen  die Kirche durch Androhung und Vollzug grausamer Strafen die Verbreitung der Seelenwanderungslehre und mit ihr die vegetarische Lebensweise verhindern.

Die Lehre von der Seelenwanderung hat jedoch weit über den Vegatarismus hinaus noch einen anderen höchst wichtigen Aspekt, nämlich den – worauf Schopenhauer hinwies –  der ewigen Gerechtigkeit

Der Mythos von der Seelenwanderung, so Arthur Schopenhauer (in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ I,  § 63),… lehrt, dass alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau  durch die selben Leiden wieder abgebüßt werden müssen; welches so weit geht, dass wer nur ein Tier tötet, einst in unendlicher Zeit auch als eben ein solches Tier geboren und den selben Tod erleiden wird.

Der Buddhismus lehrt  zwar wie andere aus Indien stammende Religionen die Seelenwanderung ( Metempsychose ), aber mit einem wichtigen Unterschied, den Schopenhauer klar erkannte und hervorhob: Die Seelenwanderungslehre  ist  relativ leicht verständlich und dem „normalen“ Menschen einfach zu erklären, somit exoterisch. Der Buddhismus enthält jedoch in seinem Kern eine noch tiefere Lehre, die von der Palingenesie.  Sie ist, wie Schopenhauer zu Recht meinte, „viel schwerer fasslich“, ja im Grunde esoterisch. Hierzu Schopenhauer (in „Parerga und Paralipomena“ II , Kap. 10 „Zur Lehre von der Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens  durch den Tod“, § 140)):

Sehr wohl könnte man unterscheiden Metempsychose ( Seelenwanderung ), als Übergang der gesamten sogenannten Seele in einen andern Leib, und Palingenesie, als Zersetzung und Neubildung des Individui, indem allein der  Wille beharrt und, die Gestalt eines neuen Wesens annehmend, einen neuen Intellekt erhält; also das Individuum sich zersetzt wie ein Neutralsalz , dessen Basis sodann mit einer andern Säure sich zu einem neuen Salz verbindet.

Aus (Büchern zum Buddhismus, auf die Schopenhauer hier verwies) …  geht  hervor, dass es im Buddhaismus, in Hinsicht auf die Fortdauer nach dem Tode, eine exoterische und eine esoterische Lehre gibt: erstere ist eben Metempsychose, wie im  Brahmanismus (Hinduismus), letztere aber ist eine viel schwerer fassliche Palingenesie, die in großer Übereinstimmung steht mit meiner Lehre vom metaphysischen Bestande  des Willens …

Da nach Schopenhauer alles in dieser Welt und damit auch alle Lebewesen nur Erscheinungsformen eines metaphysischen Willens sind,  werden die Lebewesen mit ihrem Tod als Erscheinungsformen zersetzt, bleiben aber in ihrem „wahren Wesen“, das im „Willen“ besteht, unzerstört, denn dieser „Wille“ manifestiert sich erneut, d. h., er bewirkt die Neuentstehung.

Diese Aussagen Schopenhauers finden sich in ihrem Kerngehalt nicht nur im Buddhismus, sondern auch in den von Schopenhauer hochgepriesenen altindischen Upanishaden, und zwar in der esoterischen Lehre vom Karma.  Das durch moralisch gute oder schlechteTaten eines Wesens angesammelte Karma bestimmt das Schicksal dieses Wesens und führt zwangsläufig zu dessen Wiedergeburt. Es ist in gewisser Hinsicht wohl mit dem zu vergleichen, was Schopenhauer „Wille“ nennt. Ausdruck dieses metaphysischen Willens ist der Wille zum Leben – ihm ist das Leben gewiss! In diesem Sinne, so  ist sich Arthur Schopenhauer sicher, kann der Tod lediglich unsere äußere Erscheinungsform, nicht aber unser „wahres Wesen“ zerstören.
hb

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Arthur Schopenhauer : Ganzheitliches Denken

Ganzheitlich – ist heute schon fast zu einem Modebegriff geworden. Oft wird dieses Wort  in Zusammenhang mit Gesundheit, Psychotherapie und anderen Heilverfahren gebraucht, um die Einheit von Körper, Geist und Seele zu kennzeichnen. Auch wenn es um das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, also um Ökologie, geht, wird das Ganzheitliche unseres Seins hervorgehoben.  Jedoch nur wenige Menschen sind sich bewusst, was dieses Wort im umfassenden Sinne bedeutet.

Bereits in der deutschen Mystik, wie z. B. bei Jakob Böhme, wird das Ganze als ein Gebilde angesehen, das mehr ist als die Summe seiner Teile.  Das bedeutet: Selbst wenn wir jeden Teil für sich verstanden haben, verstehen wir noch nicht das Ganze. Wenn wir zum Beispiel ein Lebewesen in seine Teile zerlegen (grausiger Gedanke!) und die Funktion jedes Organs, jedes Teils genaustens analysieren und verstehen würden, könnten wir immer noch nicht das Lebewesen in seiner Ganzheit vollständig erklären, denn was wir analysieren, ist eine Summe einzelner Leichenteile, nicht aber das lebendige Wesen.

Wissenschaft beruht jedoch weitgehend auf analytischen, also „zerlegenden“ Methoden. Eine Ganzheit wird zerlegt, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die dann  mitunter auf diese Ganzheit bezogen werden. Dabei werden zur Beschreibung Begriffe verwendet. Begriffe werden aber – wie schon aus dem Wort hervorgeht – dadurch gebildet, dass aus einem Ganzen das für ihn Typische herausgegriffen wird. Somit sind Begriffe Abstraktionen, welche die Wirklichkeit , das lebendige Ganze nur  annähernd beschreiben können.

Arthur Schopenhauer ist bereits am Anfang seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung auf die Probleme eingegangen, die sich in diesem Zusammenhang für die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkennntnis stellen:

Wollte die Wissenschaft die Kenntnis von ihrem Gegenstande dadurch erlangen, dass sie alle durch den Begriff gedachten Dinge einzeln erforsche, bis sie so allmählich das Ganze erkannt hätte; so würde teils kein menschliches Gedächtnis zureichen, teils keine Gewißheit der Vollständigkeit zu erlangen sein.

Ausgehend von Kants Kritik der reinen Vernunft, kam Schopenhauer zu der Erkenntnis, dass alles, was uns in dieser Welt als Vielheit erscheint, genauer:  was wir uns auf Grund unserer Gehirnfunktionen in Raum und Zeit als Vielheit vorstellen, ist Ausdruck einer EINHEIT, die Schopenhauer Wille nannte. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Weisheitslehrer im alten Indien. Nach den von Schopenhauer hoch geschätzten Upanishaden sind  alle Einzelwesen (Atman) Manifestationen von Brahman . Ja, wie man vielleicht übersetzen kann, die Einzelseele (Atman) ist in ihrem Wesen letztlich identisch mit der Weltseele (Brahman). Diese Aussage gipfelt in dem Lehrsatz, der nach Schopenhauers Überzeugung die tiefste indische Wahrheit enthält.: Tat Tvam Asi – „Das bist du“, d.h., „das Absolute ist mit dir wesenseins“.

Zu einer solchen tiefen Erkenntnis kann man nicht durch Vernunft, nicht durch wissenschaftliches Forschen, nicht durch begriffliches (diskursives) Denken gelangen. Es müssen dazu Grenzen unseres „normalen“ Denkens durchbrochen, es muss, wie es Schopenhauer nannte, das > principium individuationis überwunden werden.  Stark vereinfacht, aber dadurch vielleicht verständlicher gesagt: Es geht hierbei um eine fundamentale Richtungsänderung, nämlich vom ICH zum GANZEN.

Stellen wir uns zum Verständnis dessen, was sonst kaum zu verstehen ist, einmal den ganzen Kosmos als ein lebendiges Ganzes vor, von dem wir ein kleines Teilchen, so etwa wie das Blatt eines Baumes, sind. Das Teil mag untergehen, das Blatt mag sterben, das Ganze bleibt bestehen, der Baum lebt weiter. Wer so denkt, kommt zu einem völlig anderen Verständnis des Todes. Der wird vielleicht auch das berühmteste Kapitel in Schopenhauers Hauptwerk, in dem schon viele Menschen letzten Trost gefunden haben, verstehen, nämlich Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich.

Arthur Schopenhauer bekannte sich zum Buddhismus und bezeichnete sich und seine Anhänger als „Buddhaisten“. Aus buddhistischer Sicht  würde ich hier nicht allein das „Denken“ in den Vordergrund stellen, sondern vielmehr das in der Meditation erlebbare  ganzheitliche Schauen, das zu dem führen kann, was am Ende des buddhistischen Erkenntnisweges steht:  ERLEUCHTUNG.
hb

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Arthur Schopenhauer : Pessimismus als Lebensphilosophie ?

Positiv denken!  – so lautet der heute übliche Standardratschlag für Menschen, die niedergeschlagen oder sogar verzweifelt sind. Kann ein solcher Rat wirklich Menschen helfen, die sich durch unheilbare Krankheiten oder andere nicht änderbare Umstände in ausweglosen Situationen befinden? Abgesehen davon, dass oft diejenigen, die derartige Ratschläge geben, selbst nicht in solcher Lage sind, glaube ich nicht, dass man mit oberflächlichem Optimismus tatsächlich auf Dauer wirksam helfen  kann. Meine persönlichen Erfahrungen sprechen eindeutig dagegen!

Wie sind da die Erfahrungen anderer Menschen?  Mit besonderem Interesse habe ich daher Berichte von Menschen zur Kenntnis genommen, denen Schopenhauers Lebensphilosophie nachhaltig geholfen hatte. Das klingt unglaublich, denn gerade Arthur Schopenhauer gilt als Philosoph des Pessimismus.

Geht man der Sache auf den Grund, wird jedoch verständlich, warum Schopenhauers vermeintlich pessimistische Lebensphilosophie durchaus hilfreich sein kann.:

Pessimismus ist (laut „Wörterbuch der philosophischen Begriffe“, hrsg. von J. Hoffmeister, 2. Aufl.) die Ansicht, nach der Leben und Welt vom Schlechten und Bösen beherrscht werden. Sie kann eine in körperlichen und seelischen Störungen und Mängeln wurzelnde Stimmung sein …, sie kann sich aber auch zur philosophischen Lehre verhärten… Der Pessimismus bildet den Grundzug aller Erlösungsreligionen, besonders des Buddhismus, tritt in der griechischen Orphik, Mystik und Schicksalstragödie hervor, verbindet sich mit Motiven Des Alten Testaments  … im Christentum … (Welt als „Jammertal“) und wird von einzelnen Gnostikern , z. B. besonders von Marcion, für den „diese“ Welt keine Schöpfung Gottes, sondern die des Teufels ist, besonders scharf ausgeprägt. Eine allseitige Begründung des Pessimismus gab Schopenhauer. Er bezeichnete den Optimismus (im Zusammenhang mit Leibnitz und Hegel) als eine „ruchlose Denkungsart“, indem er sich darauf berief, dass sich in dieser Welt alle lebendigen Wesen nur dadurch erhalten könnten, dass sie sich gegenseitig auffressen.

Bereits der Buddha hatte mehr als 2000 Jahre vor Schopenhauer erkannt, dass  Welt und Leid untrennbar miteinander verbunden sind und dieses solange wir noch in dieser Welt sind, nicht aufgehoben werden kann:

Wahrlich ich sage euch: Ohne das Ende der Welt erreicht zu haben, ist dem Leiden kein Ende zu machen. Das aber verkünde ich: In diesem sechs Fuß hohen, mit Wahrnehmung und Bewußtsein versehenen Körper, da ist die Welt enthalten, ihr Entstehen und Vergehen, wie auch der zu der Welt Ende führende Pfad.

Aus dieser Aussage des Buddha wird deutlich, dass hier zunächst eine pessimistische Weltsicht zu Grunde liegt. Der vom Buddha gelehrte „Pfad“, der aus dieser Welt des Leides hinausführt, also die buddhistische Lebensphilosophie, ist jedoch überaus optimistisch, denn er verheißt das Ende allen Leides. Die Philosophie Schopenhauers ist wie die des Buddha, und zwar mit erstaunlicher Übereinstimmung, zutiefst eine Erlösungslehre. Sie geht zunächst von einer pessimistischen Weltauffassung aus, endet dann aber mit der begründeten Aussicht, aus dieser Welt des Leides erlöst zu werden.

So bietet Schopenhauers Lebensphilosophie allen denen Trost, welche die Welt sehen, wie sie ist, nämlich leidvoll, und sich dabei nicht durch einen oberfächlichen Optimismusglauben betäuben lassen. Ist nicht eine zunächst pessimistisch erscheinende Lebensphilosophie, die über dieses leidvolle Leben hinausblickt  und den Erlösungsgedanken  beinhaltet,  letztlich positives Denken? In diesem Sinne ist für mich Arthur Schopenhauer Optimist und wahrer Lebenshelfer.

hb

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Buddhistisches zu Schopenhauer : Meister Sosan

Meister Sosan (3. Patriarch des ZEN – Buddhismus in China, um 600 u. Ztr.):

Das Eine selbst ist alle Dinge, Und alle Dinge selbst sind eins. … Ist der Geist Nicht den Unterscheidungen unterworfen, Werden alle Daseinsformen des Kosmos EINHEIT. … Wenn unser Geist die Ruhe findet, Verschwindet er von selbst.
hb

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Buddhismus , ZEN und Schopenhauer

Gegen Ende seines Lebens notierte Arthur Schopenhauer in seinem Manuskript: “ Buddha, Eckhard und ich lehren im Wesentlichen das Selbe, Eckhard in den Fessel seiner christlichen Mythologie. Im Buddhaismus liegen die selben Gedanken, unverkümmert durch solche Mythologie, daher einfach und klar, soweit eine Religion klar seyn kann.“   Da ist es verständlich, wenn Schopenhauer mehrfach sich und seine Anhänger „Buddhisten“ nannte und dazu feststellte: „Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhismus den Vorzug vor den andern (Religionen) zugestehn. Jedenfalls muß es mich freuen, meine Lehre in so großer Übereinstimmung mit einer Religion (dem Buddhismus) zu sehn…“

An obige Worte Schopenhauers mußte ich denken, als ich mich etwas näher mit dem buddhistischen Lankavatara-Sutra befasste. Dieses Sutra ist eine grundlegende Schrift, ein heiliger Text des  späteren Buddhismus, des sog. Mahayana. Etwa im 6. Jahrhundert n. u. Ztr. brachte Boddhidharma, einer der bedeutendsten buddhistischen Lehrer und 1. Partriarch des chinesischen ZEN, das Lankavatara-Sutra von Indien nach China, wo es dann zum Grundstein des chinesischen Ch’an-Buddhismus wurde. Aus dieser buddhistischen Richtung und Elementen taoistischer Mystik hatte sich erst in China, später in Japan eine Lehre herausgebildet, die heute als ZEN bekannt ist.

Die Übereinstimmung einiger Richtungen des Buddhismus, insbesondere des Mahayana, mit Schopenhauers Philosophie, finde ich geradezu  unglaublich,  vor allem wenn man bedenkt, daß diese durch einen Zeitraum von mehr als 1500 Jahren und durch völlig verschiedene Kulturen von einander getrennt sind. Vielleicht ist diese Nähe Schopenhauers zum Buddhismus, insbesondere zum ZEN, eine der Gründe, warum in Japan – neben Indien – besonderes Interesse an Schopenhauers Philosophie besteht.

Schopenhauer gab seinen Anhängern  immer wieder den Rat, außer den altindischen Upanishaden auch die damals im Westen noch wenig verbreitete  buddhistische Literatur zu studieren.  Heute stehen uns dazu viele Quellen in guten Übersetzungen zur Verfügung, die Schopenhauer damals noch nicht zugänglich waren. Sie bieten eine wertvolle Ergänzung zu Schopenhauers Philosophie. Ja, nach meiner Erfahrung kann eine kurz gefasste ZEN-Weisheit  mitunter den Kern der Philosophie Schopenhauers besser treffen als manche akademische Abhandlung . So zum Beispiel diese:
„Ein und derselbe Mond spiegelt sich in allen Wassern. Alle Monde im Wasser sind EINS in ein und dem selben Mond.“
hb

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Arthur Schopenhauer : Wille zum Leben

Wille – das ist der zentrale Begriff in Arthur Schopenhauers Philosophie. Das kommt bereits im Titel seines Hauptwerkes „Die Welt als Wille und Vorstellung“ zum Ausdruck.  Es geht hierbei nicht um etwas bloß Abstraktes, Theoretisches, sondern ganz konkret um das Leben, um unser Dasein.

Arthur Schopenhauer:  “ Sieh dich um! Was da ruft ´Ich, Ich  will dasein`, das bist du nicht allein, sondern alles, durchaus alles, was nur eine Spur von Bewußtsein hat. Folglich ist dieser Wunsch in dir gerade das, was nicht individuell ist… Er entspringt nicht aus der Individualität, sondern aus dem Dasein überhaupt, ist in jedem, das da ist, wesentlich, ja ist das, wodurch es da ist… Was nämlich so ungestüm das Dasein verlangt, ist bloß mittelbar das Individuum; unmittelbar und eigentlich ist es der Wille zum Leben überhaupt, welcher in allen einer und derselben ist.“

Der „Wille“ ist auch in dem Schopenhauer nahe stehenden Buddhismus von zentraler Bedeutung. Das Sanskritwort „Karma“  heißt zwar wörtlich „Wirken“, „Tat“, bezeichnet aber genau genommen, den die Wiedergeburt erzeugenden heilsamen oder unheilsamen Willen. „Den Willen“, so sprach der Buddha, „bezeichne ich als die Tat, denn mit dem Willen wirkt man die Tat in Werken, Worten und Gedanken“. Zwar ist hier der individuelle Wille gemeint, doch im späteren Mahayana-Buddhismus, der wie Schopenhauers Philosophie von der EINHEIT allen Seins ausgeht, wird Karma auch im überindividuellen Sinne verstanden.

Wenn Karma – wie wohl fast alle in Indien entstandenden  Religionen (z. B. Buddhismus, Jainismus, Hinduismus) lehren – neue Wiedergeburten bewirkt, so stimmt diese Auffassung durchaus mit der Aussage Schopenhauers überein: „Dem Willen zum Leben, ist das Leben gewiß.“  In den  von Schopenhauer hoch geschätzten altindischen Upanishaden heißt es: “ Der Mensch besteht aus Wollen, und so groß das Wollen ist, mit dem er aus dieser Welt scheidet, so groß ist das Wollen, mit dem er nach dem Tode in jene Welt (das neue Dasein) eingeht.“  Also: Der Körper zerfällt, der „Wille“ aber bleibt.

H.B.

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Arthur Schopenhauer : Religion – "Lug und Trug"?

Religion ist nicht – wie oft behauptet – bloß eine Privatsache, sondern weit darüber hinaus auch eine Angelegenheit von großer gesellschaftlicher, ja politischer Bedeutung.  Dementsprechend hat in Deutschland Religion Verfassungsrang. Auch Arthur Schopenhauer hatte sich mit dem Thema „Religion“ intensiv auseinander gesetzt und sich hierzu ausführlich geäußert, und zwar besonders im Kapitel 15 von „Pererga II“ („Über Religion“). Dort lässt Schopenhauer in Form eines Dialoges einen „Mann des Volkes“ (Demopheles) mit einem „Freund der Wahrheit“ (Philalethes) über dieses Thema diskutierten.  Hierbei fordert der „Mann des Volkes“,  dass der Glaube jedes Menschen, also die Religion, auch dem „Freund der Wahrheit“ heilig sein solle. Dieser bestreitet das, denn er sehe nicht ein, warum er „der Einfalt des Andern wegen, Respekt vor Lug und Trug haben sollte“. Die Wahrheit hingegen würde er überall achten.

Arthur Schopenhauer hatte damit eine alte Streitfrage aufgeworfen, nämlich Wahrheit gegen Religion oder genauer: gegen „Lug und Trug“, für das er die Religion offenbar hielt. Der von den Religionen erhobenen Forderung, man müsse sie tolerieren, stellt der „Mann der Wahrheit“ die Frage entgegen: „Ziemt es Dem, Toleranz, ja zarte Schonung zu predigen, der die Intoleranz und Schonungslosigkeit selbst ist? Ich rufe Ketzergerichte und Inquisitionen, Religionskriege und Kreuzzüge, Sokrates´ Becher und Bruno´s und Vavini´s Scheiterhaufen zum Zeugen an!“

Eine überaus schwere Anklage, die da Schopenhauer gegen die Religionen erhoben hatte. Dennoch hielt er Religionen nicht für überfüssig. Für ihn war Religion die „Metaphysik des Volks“.  Menschen haben, so Schopenhauer , ein „metaphysisches Bedürfnis“ . Diesem Bedürfnis entsprechen mehr oder weniger die Religionen, denn bei schweren Schicksalsschlägen kann wohl niemand Trost und Kraft im Materialismus finden und das Metaphysische in der Philosophie ist nur wenigen zugänglich.

Gerade was die Religionen angeht, müssen Pauschalurteile vermieden werden. Schopenhauer selbst bezeichnete sich und seine Anhänger als „Buddhaisten“. Dem Buddhismus gab er den Vorzug vor allen anderen Religionen und die altindischen Upanishaden waren der Trost seines Lebens. In diesen uralten indischen Lehren, die wohl mehr Philosophie als Religion sind, fand sich Schopenhauer bestätigt. Es sind Lehren, die Wege zur Selbsterkenntnis und damit zur Erlösung aufzeigen. Die großen, weithin herrschenden monotheistischen  Religionen stehen dazu und damit auch zu Schopenhauer in schroffem Gegensatz.

Dort, wo der Glaube allein selig machend ist, geht es nicht – wie bei Schopenhauer – um ein philosophisches Ergründen der Wahrheit. Entscheidend  ist vielmehr der Glaube, dass das, was in „heiligen Schriften“ offenbart wurde, die Wahrheit sei. Ein Hinterfragen, ob es wirklich die Wahrheit oder doch nur „Lug und Trug“ ist, kann und darf es da nicht geben. Auch hieran zeigt sich, wie berechtigt die Forderung Schopenhauers ist, Philosophie und Religion strikt voneinander zu trennen. Übrigens, „wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt unchristliche Antworten“ (Wilhelm Busch).

H.B.

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