Zur Ethik des Buddha

Die Ethik ist ein zentraler Teil der Philosophie des – wie er sich selbst nannte – „Buddhaisten“ Arthur Schopenhauer. Schon deshalb hatte für ihn die Ethik des Buddha besondere Bedeutung. In diesem Zusammenhang verglich Schopenhauer die christliche mit der buddhistischen Ethik, wobei er manche Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede feststellte. Vor allem hob er mehrmals lobend hervor, dass im Gegensatz zum Christentum die Tiere in die Ethik des Buddhismus voll einbezogen sind.

In ähnlichem Sinne wie Schopenhauer äußerte sich die Altbuddhistische Gemeinde in der von ihr herausgegebenen Schrift Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort. Dort wird zunächst auf einen Begriff verwiesen, der im Mittelpunkt der Ethik des Buddha steht, nämlich Metta. Dieses nur unzureichend übersetzbare Wort aus der altindischen Pali-Sprache bedeutet in der buddhistischen Lehre die allumfassende, also auch die Tiere einschließende Güte.

In der genannten buddhistischen Schrift geht es unter anderem um die Frage: „Sind die buddhistische Metta und die christliche Caritas ein und dasselbe?“

Antwort: „Insoweit sie sich auf die Menschen erstrecken, sind beide gleich. Beide kennen keinen Unterschied des Ranges, der Nationen, der Hautfarbe und der Rassen. Während sich aber die christliche Caritas bewußt nur auf die Menschen beschränkt, gibt es für die buddhistische Metta keine Grenzen: Wo immer auch Leid empfunden wird, ob hier oder in Fixsternenweite, wo immer ein Wesen – sei es Mensch oder Tier – unserer Hilfe , unsere Freundschaft und unser Mitgefühl braucht, so weit reicht auch die buddhistische Metta … Denn in der Buddhalehre ist das Tier, wie es Schopenhauer ausdrückt, nicht das von Grund aus ganz andere als er, sondern im wesentlichen dasselbe wie der Mensch. Er ist im besonderen keine Maschine, keine Sache, sondern ein Leidensgefährte, der unser tiefstes Mitleid verdient.“1

Die Ethik des Buddha unterscheidet sich auch dadurch grundlegend von der des Christentums, dass sie nicht auf göttlichen Ge- und Verboten, sondern auf eigener Erkenntnis beruht. So forderte der Buddha seine Zuhörer auf:

„Richtet euch nicht nach Sammlungen heiliger Überlieferungen, nicht nach eingewurzelten Anschauungen – sondern was ihr selbst als gut oder schlecht erkannt habt, das nehmt an oder gebt auf.“2

Da, wie Schopenhauer in seiner Philosophie immer wieder hervorhob, „die Anschauung die Basis aller Erkenntnis ist“, kommt es in der Ethik des Buddha auf die rechte Anschauung an. Sie ist Teil des Edlen Achtfachen Pfades, den der Buddha als Weg zur Erlösung lehrte.3

Mitleid war für Schopenhauer das Fundament der Ethik, “ denn grenzenloses Miteid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten“.4 Der Buddha hatte es vorgelebt. In einer Schrift über das Leben des Buddha heißt es :

Ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme hegt er zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid. 5

Der wahrscheinlich im 3. Jahrhundert in Sri Lanka geborene buddhistische Philosoph Aryadeva fasste die buddhistische Ethik in einem Wort zusammen: Ahimsa. Hierzu erklärte Helmuth von Glasenapp, Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen über die indischen Religionen, zur Bedeutung der Ahimsa: „Dieses Wort, das auch von Gandhi viel gebraucht wird, heißt an sich Nicht-verletzen, Nicht-schädigen, Niemand etwas zuleide tun, hat aber einen viel weiteren positiven Sinn, es bezeichnet auch die Freundlichkeit, das Wohlwollen, die sich im aktiven Verhalten gegen andere Wesen (einschließlich der Tiere) äußert. … Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß das, was hier als Kern des Buddhismus herausgestellt wird, sich mit dem Kern von Schopenhauers Lehre in völliger Harmonie befindet. Denn Schopenhauer gründet seine Moral auf das Mitleid, das ´nicht bloß mich abhält, den Andern zu verletzten, sondern mich antreibt, ihm zu helfen`.“6

Nichts zeigt deutlicher als die ethische Einstellung gegenüber Tieren, dass der Atheist Arthur Schopenhauer der atheistischen Ethik des Buddha sehr viel näher stand als der auf Menschen beschränkten christlichen Ethik. Daher konnte Schopenhauer auch im Hinblick auf die Ethik mit Recht feststellen: „Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maaßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den andern [Religionen] zugestehn.“7

In seinen Schriften zur Ethik schrieb Schopenhauer, er wisse „kein schöneres Gebet“ als das aus dem alten Indien: „Mögen alle lebende Wesen von Schmerzen frei bleiben.“5 Ganz in diesem Geiste des allumfassenden Mitgefühls und durchaus bezeichnend für die Ethik des Buddha ist der alte buddhistische Segenswunsch:

Mögen alle Wesen glücklich sein.

H.B.

Weiteres zu > Arthur Schopenhauer und zur > Lehre des Buddha .


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Symbol der > Altbuddhistischen Gemeinde
Rad der Lehre des Buddha (Edler Achtfacher Pfad)

Anmerkungen
(1) M. Keller-Grimm / Max Hoppe, Im Lichte des Meisters – Die Lehre des Buddha in Frage und Antwort, Hrsg.: Altbuddhistische Gemeinde, Utting/Ammersee 1979, S. 141 f.
S. auch > Arthur Schopenhauer und die Altbuddhistische Gemeinde .
Die negative Einstellung des Christentums zu den Tieren trug erheblich dazu bei, dass der Gründer der Altbuddhistischen Gemeinde, Georg Grimm, sich von der christlichen Kirche abwandte und über Schopenhauer zur tierfreundlichen Lehre des Buddha kam (> Vom Priesterseminar zur Buddhalehre) .
(2) Helmuth von Glasenapp, Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, Düsseldorf/Köln 1974, S. 57 f.
(3) Weiteres zum > Edlen Achtfachen Pfad (der Vierten Edlen Wahrheit des Buddha).
(4) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden (Zürcher Ausgabe), Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, Zürich 1977, S. 275.
(5) Hellmuth Hecker , Das Leben des Buddha, Der innere und äußere Lebensgang des Erwachten dargestellt nach den ältesten indischen Quellen, Buddhistisches Seminar Hamburg 1973, S. 393.
Der Verfasser, der ein bekannter Vertreter des Buddhismus in Deutschland war, betonte in seinem Buch, in dem er auf die „liebevolle Gesinnung“ des Buddha gegenüber Tieren hinwies, deutlich den Gegensatz zum Christentum. So zitierte er z. B. (auf S. 393) aus Martin Luthers Tischgesprächen: „Alle Wälder und Hölzer sind unsere Jägerei … Denn es ist alles um unser, der Menschen Willen geschaffen.“ Hingegen „nahm der Buddha immer wieder … die verschiedensten Begebenheiten zum Anlaß, um die Menschen – Mönche wie Laien – daran zu erinnern, daß auch Tiere fühlende Mitwesen sind, die wie jedes Wesen Qual scheuen und Wohl suchen“(S. 395).
(6) Helmuth von Glasenapp , Schopenhauer und Indien, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 1955, S. 46 f.
S. auch: Herbert Becker , Buddhismus und Jainismus – Die Religionen der Ahimsa, in: Zurück zur Natur Religion? Wege zur Ehrfurcht vor allem Leben, hrsg. von Holger Schleip, Freiburg i. B. 1986, S. 178 ff. (Kurzfassung > hier).
(7) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 197.