Arthur Schopenhauer : Ist Ethik lehrbar?

Am 26. April 2009 wurde in Berlin in einer Volksabstimmung entschieden, dass das Unterrichtsfach Ethik in den Klassen 7-10 in der bisherigen Form – als Pflichtfach für alle -weiter besteht. Ethik wird somit auch weiterhin an den Berliner Schulen in argumentativem Dialog unterrichtet. Die Initiatoren der Volksabstimmung („Pro Reli“) wollten erreichen, , dass in den Klasenstufen 7-10 die SchülerInnen zwischen den Fächern Ethik und Religion wählen können, also Religion zum Wahlpflichtfach wird. Unabhängig davon, ob Ethik in einem religionsneutralen oder konfessionellen Fach unterrichtet wird, stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist Ethik überhaupt lehrbar? Arthur Schopenhauer gab hierzu die Antwort: „Die Tugend geht zwar aus der Erkenntnis hervor, aber nicht aus der abstrakten, durch Worte mitteilbaren. Wäre dieses, so ließe sie sich lehren, und indem wir hier ihr Wesen und die zum Grunde liegende Erkenntnis abstrakt aussprechen, hätten wir jeden, der dies faßt, auch ethisch gebessert. So ist es aber keineswegs. Vielmehr kann man so wenig durch ethische Vorträge oder Predigten einen Tugendhaften zustande bringen, als alle Ästhetiken, von der des Aristoteles an, je einen Dichter gemacht haben.“ So ist laut Schopenhauer Tugend nicht lehrbar, sie ist angeboren. Um tugendhaft zu sein, brauche man keine Ethik gelernt zu haben. Auf die Tugend seien die abstrakten Dogmen ohne Einfluss. Alle Professoren der Ethik könnten nicht einen unedlen Charakter zu einem tugendhaften umformen. Wenn Tugend durch Morallehre verbessert werden könnte, müsste der ältere Teil der Menschheit besser als der jüngere sein.

H.B.

Weiteres zu Arthur Schopenhauer und seiner Philosophie
> www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de

7 Gedanken zu “Arthur Schopenhauer : Ist Ethik lehrbar?

  1. Soll das bedeuten, dass Unterricht im Schulfach Ethik völlig sinnlos ist? Das kann doch Arthur Schopenhauer nicht gemeint haben, denn gerade über Ethik hatte er viel geschrieben.

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  2. Es ist richtig, Arthur Schopenhauer hat viel über Ethik geschrieben. Jedoch hat Schopenhauer nicht Ethik gelehrt. Das geht schon aus dem Motto hervor, das er seiner „Preischrift über die Grundlage der Moral“ vorangestellt hatte: „Moral predigen ist leicht, Moral begründen ist schwer“.

    Schopenhauer hielt keinesfalls Ethik und Moral für unwichtig. Im Gegenteil! So sei, wie Schopenhauer hervorhob, allein auf der moralischen Seite der Welt Trost zu finden, die physische hingegen bleibe in ihren Resultaten für uns trostlos (Kap. 47 „Zur Ethik“ in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ II).

    Es wird auch von Schopenhauer nicht bestritten, dass es notwendig ist, auf das Verhalten der Menschen positiv einzuwirken. Dieses Verhalten wird nach Schopenhauer bestimmt durch den jeweiligen Charakter und die „Motive“. Der Charakter ist, wie Schopenhauer meinte, im wesentlichen angeboren und wird – wie wir heute wissen – auch noch in der frühen Kindheit geprägt. Danach ist er kaum noch änderbar. Die „Motive“ hingegen, die Menschen zum Handeln veranlassen, können sich ändern. So ist es möglich, durch Androhung von Strafe oder Versprechen von Belohnung im Diesseits oder Jenseits (Himmel / Hölle) das Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Damit ändert sich aber nicht der Charakter, sondern die „gute“ Tat ist lediglich das Ergebnis einer auf den eigenen Vorteil bedachten Überlegung.

    Solche egoistischen Überlegungen sind nach Schopenhauer nicht ethisch, denn Ethik ist nicht auf das eigene, sondern allein auf das Wohl des anderen Wesens (Mensch oder Tier) gerichtet. Dennoch können Handlungen, die durch Hoffnung auf Belohnung oder Angst vor Strafe begründet sind, für das andere Wesen oder die Gesellschaft insgesamt durchaus von Wert sein. In diesem Sinne hat das Unterrichtsfach Ethik seinen Wert, auch wenn es den menschlichen Charakter nicht zu ändern vermag, also aus einem Saulus keinen Paulus machen kann.

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  3. Ich möchte Wilhelm Busch dazu zitieren:

    „Man ist ja von Natur kein Engel,
    Vielmehr ein Welt- und Menschenkind,
    Und rings umher ist ein Gedrängel
    Von solchen, die dasselbe sind.

    In diesem Reich geborner Flegel,
    Wer könnte sich des Lebens freun,
    Würd es versäumt, schon früh die Regel
    Der Rücksicht kräftig einzubläun.

    Es saust der Stock, es schwirrt die Rute.
    Du darfst nicht zeigen, was du bist.
    Wie schad, o Mensch, daß dir das Gute
    Im Grunde so zuwider ist.“

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  4. Auch die obigen Verse von Wilhelm Busch zeigen dessen Nähe zu Arthur Schopenhauer. Busch beschäftigte sich seit etwa 1869 näher mit der Philosophie Schopenhauers. 1871 schrieb Wilhelm Busch in einem Brief: „Schopenhauer hat jedenfalls die ernstliche Absicht deutlich zu sein, sonst wäre seine Schreibweise nicht so bündig, wie sich´s ein Mathematiker nur wünschen könnte. Zudem ist er, mein´ ich, immer interessant, obgleich er stets dasselbe Thema variiert; denn dieses Thema ist ja unser Fleisch und Blut.“

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  5. Unbestritten, dass eine gewisse Moral in jedem Menschen von Kindheit an verwurzelt ist.
    Unbestritten aber auch, dass gerade heutzutage viele junge Menschen nochmal mit der Nase darauf gestoßen werden müssen, welche Handlungsweisen „unmoralisch“ sind.
    Und zwar unbeeinflusst von religiösem Fanatismus und Dogmatismus.
    Ethik als Pflichtfach – das würde ich auch in bayrischen Schulen begrüßen…

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  6. Unbestritten, dass man Menschen zu einem Verhalten bringen muss, dass dem Allgemeinwohl dient oder zumindest nicht schadet. Das hat aber, genau genommen, wenig mit „Ethik“ zu tun, denn die Motive für ein solches Verhalten bleiben zumeist egoistisch (Angst vor Strafe, Hoffnung auf Belohnung). Mitgefühl mit Mensch und Tier, auf das nach Schopenhauer wahre Ethik beruht, kann man allenfalls (wenn es als Anlage vorhanden ist) erwecken, aber nicht durch Erziehung „erzeugen“.

    Ein Mindestmaß an religiösem Dogmatismus halte ich für notwendig, wenn es darum geht, menschliches Verhalten zu beeinflussen. Der in der Kindheit eingepflanzte Glaube, „Gott sieht alles“ und belohne bzw. bestrafe den, der seine Gebote und Verbote beachte bzw. nicht befolge, hat seit Jahrtausenden die Menschen stärker beeinflusst als irgendwelche Vernunftsregeln oder staatlichen Gesetze, die man heimlich übertreten kann.

    Dennoch würde ich Ethik als Pflichtfach an bayrischen Schulen nicht begrüßen, da dieses Fach in Bayern, so nehme ich an, katholisch geprägt sein würde. Die katholische Kirche ist, wie viele in Tierschutzkreisen meinen, das Gegenteil von tierfreundlich, ja von ihrem Wesen her tierverachtend. Schon deshalb, aber auch im Hinblick darauf, dass die katholische Kirche gemäß ihrer Lehre notwendigerweise intolerant sein muss, kann ich mich als Tierrechtler und Schopenhauerianer nicht für Ethik als Pflichtfach in bayrischen Schulen begeistern.

    Übrigens, im überwiegend atheistischen Berlin gibt es bereits ansatzweise Tierschutzunterricht. Wie steht´s damit in Bayern?

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    1. Tierschutzunterricht in Bayern – das wäre ja mal ein Traum. Wird aber wohl auch erstmal einer bleiben.

      Ethik als zusätzliches Pflichtfach neben dem Religionsunterricht war mein Gedanke. Um ganz „unreligiös“ den Schülern zu zeigen, dass es auch andere Wertvorstellungen gibt, als die, die ihnen von den Kirchen eingebläut werden und sie dazu zu motivieren, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Dass ein Fach Ethik natürlich nicht kirchlich geprägt sein darf, setze ich voraus.
      Aber wie ich oben schon zum Tierschutzunterricht geschrieben habe – utopisch in Bayern. Hier sitzt die Kirche mit ihrer Pseudo-Moral noch viel zu tief in den Köpfen der Menschen.

      Und wenn auf diese Weise die Moral der jungen Leute „neu erweckt“ wird, indem sie ein Pflichtfach Ethik belegen müssen, um sich mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen, dann halte ich Ethik eben doch in gewissem Sinne für lehrbar. Wenn auch die Schlussfolgerungen, die sie daraus ziehen, ihre eigenen, nicht erlernten sind.

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